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und legt ihn auf seinen Teller. Er überlegt kurz und platziert dann ein zweites Stück darauf.

      »Jetzt kommt die Zeit der Neuorientierung«, kündigt er an und greift zur Sauciere. »Es weht ein anderer Wind, verstehst du, was ich meine, Güntherlein?«

      Nein, ich verstehe gerade rein gar nichts. Der Geruch und der Anblick des Essens auf Wolfgangs Teller nehmen meine Sinne vollends in Anspruch. Er will mir doch hoffentlich nicht noch mehr von meinem Anteil rauben, befürchte ich. Da langt das Monster wieder zu.

      Ein, zwei, drei, nein, sogar vier Schöpflöffel ergießen sich über den mittlerweile in Soße ertrunkenen Braten. Die Maronenspätzle häufelt Wolfgang von allen Seiten dazu, um zuletzt drei Möhrchen obenauf zu stapeln. Der Teller ist so brechend voll, dass ein einziges Reiskorn vermutlich eine mittelschwere Lawine auslösen würde.

      Nervös tripple ich von einem Pfötchen auf das andere. Huhu! Ist da nicht noch etwas? Ein Versprechen? Für einen Paragrafenreiter wie den Forsberg muss so was doch eine Bedeutung haben?

      »Ah, du wolltest auch was?«, reagiert Wolfgang endlich. Wie gesagt, ich mag den Kerl nicht, aber ich schätze, was sein Wort betrifft, ist er zuverlässig. Voller Vorfreude schlecke ich mir mit der Zunge über meine Schnauze. Hunger, das ist das Gefühl, das in dieser Sekunde vorherrscht. Wolfgang nimmt den Salatteller, den Gabriele für ihn bereitgestellt hat, und platziert darauf das winzig kleine Endstück vom Schmorbraten. Einen Daumen oder höchstens anderthalb breit.

      »Versprochen ist versprochen«, sagt Wolfgang in einer derart gehässigen Weise, dass ich ihn am liebsten ins Hosenbein beißen würde. Aber bei einem Polizisten spare ich mir das besser, die wissen sich zu wehren.

      »Das kleine Güntherlein kommt dann mal mit«, fordert er in einem zuckersüßen Ton und steht auf. Von der gedeckten Tafel greift er sich im Vorbeigehen noch ein paar Kohlrabistifte und zwei, drei Möhrchen. Was soll denn das, frage ich mich. Will er mich etwa zum Veganer umerziehen? Davon kann ich krank werden.

      »Vitamine können nie schaden«, behauptet mein Aufpasser, trabt in die Küche und macht sich auf einem Schneidebrett an sein ungeheuerliches Werk. Mit einem großen Fleischmesser hackt er alles, was er zuvor aufgetürmt hat, lieblos in hässliche Fetzen – das Drama schiebt er mit der Klinke vom Brett direkt in meinen Plastikfressnapf. Den, den Siggi und Hanne nur pro forma eingepackt haben, denn für gewöhnlich speise ich von feinster Keramik. Ich blicke geknickt auf das Ergebnis im Napf, fiepe und sehe Wolfgang erwartungsvoll an. Das traurige Etwas da soll ich doch nicht ernsthaft meinem Körper zuführen? Das kann nicht sein Ernst sein: Erst mal ist das viel zu spärlich und zweitens absolut unter meiner Würde.

      »Ist das nicht gut genug für den kleinen Feinschmecker?«, stellt Wolfgang nun endlich die richtige Frage.

      Korrekt, denke ich, der Junge hat es erkannt.

      Doch gar nichts checkt er. Wolfgang packt das Trockenfutter aus der Ecke, das Gabriele sicherheitshalber besorgt hat, falls es mir nicht schmecken sollte, was eigentlich bis eben außer Frage stand. Er reißt die Packung auf und schüttet eine Ladung davon in den Napf. Mir wird fast übel bei dem Anblick.

      »Besser so?«, fragt der Soziopath gehässig.

      Ich drehe meinen Kopf weg – schon lange hat mich niemand mehr so beleidigt. Bevor ich den Fraß anrühre, sterbe ich lieber.

      »Ist dem Herrn Günther wohl nicht exquisit genug«, säuselt Wolfgang. »Na, da kann ich helfen.«

      Er greift in Gabrieles Kräutertopfecke und pflückt ein Stück Petersilie heraus, das er zwischen die Trockenfutterkringel steckt. Die Freude, die ihm all das bereitet, ist unübersehbar. Mit einem fiesen Lächeln fügt er hinzu: »Lass es dir schmecken, Güntherlein.«

      Ich hasse ihn. Abgrundtief. Weit mehr, als je ein Hund einen Menschen gehasst hat. Doch auch das kümmert den Tierfeind wenig. Als wäre nichts geschehen, macht er auf dem Absatz kehrt und lässt mich mit dem Elend an Hundefraß allein.

      Aus dem Wohnzimmer höre ich ihn schmatzen und das, während ich in der Küche quasi am Verhungern bin. Das interessiert Wolfgang nicht die Bohne, anscheinend hat er sich sogar den Fernseher angemacht. Irgendetwas Brutales, das passt zu ihm. Laute Schüsse fallen und ich wünsche mir, die wären echt.

      Eine gute halbe Stunde tripple ich in der Küche auf und ab. Bei Hanne und Siggi zieht das immer. Irgendwann traben sie mit einem schlechten Gewissen an, und spätestens da ist eine dicke Scheibe Lyoner fällig. Doch Wolfgang ist immun gegen jede Form von Mitgefühl – ein Herz aus Vulkangestein. Er gibt nicht nach und ich schon fünfmal nicht. Keinesfalls! Die Pampe im Napf rühre ich nicht an, selbst wenn mein Magen bereits ein wahres Konzert veranstaltet.

      Keine Ahnung, wie lange ich in der Küche schon vor mich hin geschmort habe – ganz ohne Schmorbraten –, als die Unglücksbotschaft eintrifft. Die Titelmusik vom Tatort, der Klingelton des Hilfssheriffs, mischt sich in die Dauerschießerei im Wohnzimmer und bereitet der Essenstragödie urplötzlich ein Ende. Wie schnell werden solcherlei Querelen nebensächlich – wenn ein echtes Unglück passiert.

      »Hallo, Hase. Ist bei dir alles klar?«, höre ich. Im gleichen Moment schweigt der Fernseher.

      Heimlich, still und leise tapse ich in den Flur. Das will ich haarklein mitbekommen. Bombensicher macht Gabriele Wolfgang wegen der Schmorbratenaktion in dieser Sekunde die Hölle heiß, überlege ich.

      »Was sagst du? Ein Kerl mit Sturmmaske … schließt die Türen! Sofort! Und bringt euch in Sicherheit. Weiß die Polizei Bescheid? Gabriele, hallo … Hase, hörst du mich?« Wolfgangs Miene verdüstert sich. Als er noch einmal versucht, Gabriele an den Apparat zu bekommen, meldet sich niemand. »Gar nicht gut«, murmelt er und tippt erneut auf seinem Handy herum. »Herbert, hier ist Wolfgang. Schick bitte mal zwei Streifenwagen hoch zur Ell zum Garten der Sinne. Da scheint sich ein vermummter Typ herumzutreiben. So schnell wie es geht, bitte!«

      Mir wird heiß. Irgendetwas stimmt bei Gabriele nicht. Das macht mir Angst. Was, wenn ihr etwas passiert? Das wäre eine Katastrophe. Wo soll ich dann die Woche über unterkommen?

      »Super. Danke! Ich bin auch gleich da«, sagt Wolfgang in meine Gedanken hinein und springt auf. Der Teller mit dem Schmorbraten steht halb verzehrt vor ihm. Was für eine Verschwendung!

      Obwohl …, denke ich. Mit ein bisschen Glück bin ich den Knaben bald los. Was soll ich als Dackel dort schon ausrichten können? Ich halte hier die Stellung, und er kann den großen Retter spielen und am besten Gabriele gleich danach mit nach Hause bringen. Doof nur, dass jetzt der Fernseher aus ist.

      »Los, auf, Günther!«

      Der Schlachtplan von Wolfgang sieht offensichtlich anders aus: Ich soll mit. Warum gerade ich? Sonst heißt es doch immer, ich sei ein verhätscheltes, kleines Schoßhündchen. Sind in einer solchen Angelegenheit die Helden von der Hundepolizeistaffel nicht weit eher gefragt?

      Doch Herr Hauptkommissar kennt keine Gnade. Ein paar Augenblicke später stehen wir vor seinem Kombi.

      »Rein mit dir!«, sagt Wolfgang mit einer Stimme, die keinerlei Widerspruch zulässt. Der Kerl bugsiert mich in den Kofferraum und dort muss ich hinter den hochgezogenen Gittern verharren wie ein Strafgefangener. Voller Angst und halb verhungert, so fährt er mich in einem Affenzahn in die Kampfzone, dabei bin ich Pazifist.

      Von Besseringen aus brauchen wir länger als Wolfgangs Kollegen. Als wir oben am Parkplatz des Gartens der Sinne vorfahren, sichern Beamte das Gelände ab.

      »Mensch, was ist denn hier los?«, höre ich Wolfgang zu sich selbst sagen.

      Sogar ein Krankenwagen mit Blaulicht steht parat. Das komplette Programm. Die Atmosphäre ist noch finsterer als bei einer Folge vom Saar-Tatort, und da kann ich schon kaum hinsehen.

      Wolfgang steigt aus und ich bete, dass er mich hier hinten vergisst. Doch Pustekuchen, auch dieser Wunsch erfüllt sich nicht. Herr Kommissar öffnet mir mit der Instruktion »Du bleibst bei Fuß« den Kofferraum. Bedauerlicherweise, denn im Auto hätte ich mich weitaus sicherer gefühlt als dort draußen, wo es nur so von aufgeregten Sicherheitskräften wimmelt.

      Wolfgang

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