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sagen, ob es sich dabei um einen Freier oder um einen Zuhälter gehandelt hatte.

      »Wie sah er aus?«, drängte Devaux, bekam aber nur »groß!« zur Antwort.

      »Und? Weiter?«

      »Ja, nix weiter! Sehr groß! Ich habe den Mann nur ein paarmal aus der Entfernung gesehen!«

      Mehr war beim besten Willen nicht aus der jungen Frau herauszubringen. Deswegen zog Devaux ab, um in Maastrichts einschlägigen Gegenden und Kneipen weiterzurecherchieren.

      Der Chef selbst indessen verfolgte zusammen mit Locki neben der DNA eine weitere interessante Spur: Während seine Sekretärin mit Unterstützung ihres Computers und mithilfe von Interpol alles tat, um den Gencode einem polizeibekannten Typen zuordnen zu können, kümmerte er sich um die Schlangenlederschuppen, die von der Spurensicherung an der verbliebenen Hand der Toten gefunden worden waren.

      »Sie stammen von einem Schuh. Genauer gesagt, von dem rechten Stiefel, mit dem der Mörder auf ihrer Brust gestanden hat«, hatte Angelika ihm erklärt und dabei mit Jussuf Abdalleyahs neuerlicher Hilfe anschaulich demonstriert, wie sich die arme Frau mit ihrer linken Hand nach Leibeskräften gewehrt hatte, indem sie den Stiefel wegzudrücken versuchte. »Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um einen Stiefel und nicht um einen Schuh handelt, den das bedauernswerte Opfer trotz ihrer Schwäche so umklammert hatte, dass sogar ein paar der angeklebten Fingernägel abgebrochen sind!«

      Als Fabienne Loquie ihrem Chef mitteilte, dass die DNA nicht amtsbekannt sei, beauftragte er sie damit, in sämtlichen Schuhläden des Dreiländerecks – beginnend in Maastricht – nach dem Verkauf von Schlangenlederstiefeln zu fragen. »Adressenrecherche übers Internet, Befragung übers Telefon! Größe 45; das kann doch nicht so schwer sein«, hatte er wegen des bisher mäßigen Erfolges geknurrt, bevor er grußlos das Kommissariat verlassen hatte.

      Lockis kleine Lästerei – »Und was ist mit Amazon?« – hatte er geflissentlich überhört. Le Maire wusste, dass es, wenn überhaupt jemandem, nur seiner Sekretärin gelingen würde, die Herkunft der Schlangenlederstiefel herauszubekommen. Was täte ich nur ohne Locki?, hatte er sich gedacht und sich dabei trotz seiner miesen Laune ein stilles Lächeln abgerungen.

      *

      Die Suche nach einem Mann, der Schlangenlederstiefel trug und der vermutlich – so hatte Le Maire es sich aufgrund der Schuhgröße von einem forensischen Sachverständigen der Mordkommission Lüttich statistisch errechnen lassen – wahrscheinlich um die 1,90 Meter groß sein musste, lief auf Hochtouren. Während Locki seit Tagen mit Schuhherstellern landauf und landab sowie mit Schuhgeschäften im Umkreis von 50 Kilometern mailte, skypte, simste und telefonierte, durchforsteten Pierre und Devaux die Datenbanken nach groß gewachsenen Kriminellen, die ins Raster passen könnten. Weil dies bisher zu keinem Erfolg geführt hatte, verlor Le Maire die Geduld und ließ Herbert Demonty die Dateien nach sadistischen Triebtätern durchsuchen.

      Weil er selbst diese Art der trockenen Schreibtischarbeit hasste wie die Pest, hatte er sich dazu entschlossen, ›Feldstudien‹ zu betreiben, indem er unter die Leute ging und nach großen Männern mit passendem Schuhwerk Ausschau hielt. Dabei konnte er gut nachdenken. Also meldete er sich für den Rest des Tages ab und fuhr nach Aachen, obwohl ihm klar war, dass der Mörder sicherlich nicht dort zu finden war. Aber wer wusste das schon?, dachte er sich.

      Mit einer Zigarette im Mundwinkel und beiden Händen in den Hosentaschen schlenderte er durch die Altstadt seines neuen Wohnortes. Im Geiste ging er durch, was er wusste.

      Clermont ist zwar belgisch, die Tote aber eine Niederländerin mit indonesischem Migrationshintergrund, fasste er seine Erkenntnisse in einem Satz zusammen.

      Als er gerade die mit Menschenmassen durchzogene Adalbertstraße hinunterlief und über all den Köpfen einen Hinterkopf herausragen sah, riss es ihn. »Nein, das kann nicht sein«, grummelte er, während er versuchte, sich durch die entgegenkommenden Menschen schneller nach vorne zu drücken als diejenigen, die in dieselbe Richtung liefen wie er. Mit seinen 1,65 Meter hatte er es allerdings schwer, sich gegen die vielen Menschen durchzusetzen und den Abstand zu dem großen Mann zu verringern. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zwischendurch hochzuhüpfen, um zu sehen, wohin der Unbekannte lief. Dabei kam er sich vor wie ein Ausdruckstänzer. »Merde!«, fluchte er und erwog sogar, seinen Dienstausweis zu zücken und »Polizei im Einsatz!« zu rufen, um schneller vorwärtszukommen. Dies erschien ihm dann aber doch etwas zu albern. Als Le Maire am Kugelbrunnen angelangt war, war der große Mann plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, einfach weg. Und weil sich dort die Einkaufsstraße gleich mehrfach teilte, wusste Le Maire nicht weiter. Er hatte im Moment keine Ahnung, was er tun sollte; mithilfe seines Aachener Kollegen Peter Dohmen eine Fahndung nach einem großen Mann herausgeben? So ein Schwachsinn, ich blamiere mich doch nicht ausgerechnet hier in Deutschland, besann er sich, während er verärgert auf dem Platz vor dem »Aquis Plaza« herumirrte. Er musste aufgeben, ob er wollte oder nicht. Obwohl es ihn ärgerte, war ihm klar, dass die Wahrscheinlichkeit winzig war, dass er hier in Aachen denjenigen großen Mann auf Anhieb gefunden hatte, den er und seine Leute mit Hochdruck suchten. Er beruhigte sich rasch wieder. Um ganz runterzukommen, beschloss er, sich erst einmal ein Bierchen zu gönnen. Aber wo, in Gottes Namen, gab es hier in Aachen ein belgisches Bier?

      *

      Frederic hatte sich tatsächlich bis zum Abend gedulden müssen, um sein geliebtes Jupiler genießen zu können. Er saß mit Angelika im »Sel et Poivre« in Eynatten, einem Geheimtipp im Aachener Umfeld mit einer hervorragenden Küche und fairen Preisen. Trotzdem mochte Frederic solche schicken Speiselokale nicht besonders. Aber wenigstens lag das beliebte Restaurant in Belgien, weswegen es dort belgisches Bier und – so hoffte er trotz des gehobenen Niveaus – auch belgische Fritten gab. Es ärgerte ihn, dass seinem Leibgericht irgendwie immer der Ruf anhaftete, eine hundsgewöhnliche Billigspeise zu sein, die von Ignoranten sogar als Fast Food bezeichnet wurde.

      Trotz seiner nachmittäglichen Schlappe und des vermutlich megafeinen Essens, das ihn gleich erwarten würde, fühlte Frederic sich gut. Der Ober hatte ihm versichert, dass er anstatt Kroketten »selbstverständlich« auch Fritten bekommen würde. Dementsprechend gut gelaunt ging er nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Angelika saß allein da und betrachtete die wunderschöne Dekoration der gemütlichen Gaststube. Dabei hörte sie zufällig mit, wie ein Mann am Nebentisch der Frau, die ihm gegenübersaß, mehr oder weniger beiläufig erzählte, dass in Homburg in einem Garten direkt gegenüber der Brasserie »Grain d’Orge« eine Madonnenfigur aus Marmor gestohlen worden sei. Den Brauereigasthof kennen wir auch, dachte Angelika. Homburg lag nur etwa zehn Kilometer von Clermont, dem Fundort der Frauenleiche, entfernt. Angelika lauschte weiter, wie die Frau am Nebentisch über ihren nächsten Urlaub zu sprechen begann, der sie wohl nach Isny im Allgäu und an den Bodensee führen sollte.

      »Ach, da bist du ja wieder«, bemerkte sie erfreut, als Frederic an den Tisch zurückkam. »Sag mal, was hältst du davon, wenn wir gelegentlich wieder nach Oberstaufen fahren, um uns dort ein paar Tage zu erholen?«

      Frederics Augen begannen zu leuchten. »Eine gute Idee! Wir können dann bei Gustl …«

      »Nein! Dieses Mal gehen wir nicht ins ›Hotel Tyrol‹!«, fuhr Angelika sofort dazwischen.

      »Weshalb denn nicht?«, wunderte sich Frederic. »War etwas nicht in Ordnung, als wir im letzten Winter mit den Dohmens dort gewesen sind?«

      »Im Gegenteil«, wehrte Angelika lachend ab. »Das Hotel ist in jeder Hinsicht top. Aber du versumpfst immer mit Gustls Stammgästen an der Hotelbar und ich kann schauen, wo ich bleibe!« Weil sie wusste, wie sie Frederic packen konnte, schlug sie ihm vor, bald mit Eleonore und Bert Olbrich zum Skilaufen in den etwas mondänen Allgäuer Tourismusort zu fahren. »Die Olbrichs waren gerade dort. Und laut Eleonores Aussage war es fantastisch. Die Wanderwege rund um Oberstaufen müssen grandios sein und …«

      »Dann von mir aus lieber ohne die Olbrichs in ein anderes Hotel deiner Wahl!«, wehrte Frederic ab. Er mochte Angelikas Freundin Eleonore, aber Bert konnte er nicht lange ertragen. Der Psychologieprofessor nervte Frederic bei jedem Zusammentreffen von der ersten Sekunde an, weil er ihn und die anderen Leute um sich herum ständig zuschwafelte. Und weil der Schwätzer

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