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Goettle und die Blutreiter. Olaf Nägele
Читать онлайн.Название Goettle und die Blutreiter
Год выпуска 0
isbn 9783839267462
Автор произведения Olaf Nägele
Жанр Триллеры
Издательство Автор
Luis trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ach ja, du Dummschwätzer? Und wie sieht dieser ominöse Plan aus?«
Viktor grinste und tätschelte Luis die Wange. »Warte es ab. Du erfährst es früh genug.«
Gewissen.
Es pikst, sticht und beißt wie ein Insekt, das sich von Zweifeln nährt. Seltsam genug, dass sich das gute Gewissen sehr viel seltener spürbar ins Bewusstsein schiebt, fast so, als gehöre es zum Standardrepertoire des Gefühlslebens.
Andreas Goettle ging das Gespräch mit seiner Haushälterin eine Weile nach. Natürlich hatte sie recht. Wenn er nicht zur Anhörung wegen seiner Amtsenthebung erschien, konnte dies als Affront gegen den Erzbischof und Desinteresse an seiner Aufgabe ausgelegt werden. Timmermann war eh nicht gut auf ihn zu sprechen, weil Pfarrer Goettle seinen detektivischen Spürsinn entdeckt und bereits dreimal eingesetzt hatte. Immer wieder war er ermahnt worden, seine Gemeindearbeit nicht zu vernachlässigen, was er seiner Ansicht nach gar nicht getan hatte. Doch unter seinen Schäfchen gab es halt einige, die nicht aufhören wollten zu blöken. Die Beschwerden rissen nicht ab und schließlich fällte der Erzbischof die Entscheidung, Goettle vorerst von seiner Arbeit freizustellen. Selbst als der Kirchenvorstand sich auf Goettles Seite geschlagen und um seine Wiedereinstellung gebeten hatte, zeigte sich Timmermann nicht diskussionsbereit. Immerhin blieb ihm das Wohnrecht im Pfarrhaus erhalten, weil sein Vertreter aus Bad Waldsee nicht bereit war, seine Bleibe aufzugeben.
Andererseits sah Biberachs Ex-Gemeindepfarrer es als seine oberste Pflicht an, dem Kollegen Seegmüller in dieser schweren Stunde beizustehen. Vor allem interessierte ihn, wie es dem Täter gelungen war, die hoch gesicherte Kostbarkeit zu stehlen. Seegmüllers Schilderungen waren wenig aufschlussreich gewesen. In seiner Aufregung hatte er von Schmierfinken, Störenfrieden, Verfolgung und einigem mehr gesprochen und diese Aufzählung ohne kausalen Zusammenhang vorgetragen. Wie konnte es also sein, dass die sonst durch eine Alarmanlage gesicherte Reliquie gestohlen worden war? Hatte die Täterin oder der Täter die Sicherungseinrichtung manipuliert oder gar außer Kraft gesetzt? Wie konnte die Diebin oder der Dieb in die abgeschlossene Kirche gelangen und entkommen? Was wollte die Person mit der Reliquie? Sie verkaufen? Andreas Goettle konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Schmuckstück einen Abnehmer finden konnte. Händler, selbst diejenigen, die Marktplätze im Geheimen beherrschten, wären sich der Brisanz des Gegenstands bewusst und würden von dieser heißen Ware die Finger lassen.
»So, da ist sie ja, die Basilika«, riss ihn der Taxifahrer aus den Gedanken. »Zwölf Euro fuffzich. Machen wir fünfzehn.«
Als er den verdutzten Blick seines Fahrgastes sah, konnte der Droschkenlenker ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Spaß. Ich habe gedacht, ich hole mir einen Teil der Kirchensteuer wieder.«
»Wenn der Trick öfters fonktioniert, hen Se die bald wieder henna«, erwiderte Andreas Goettle, bezahlte und stieg aus.
Auf dem Münsterplatz herrschte gemächliches Treiben. Einige Passanten schlenderten vorbei, betrachteten die Auslagen der Geschäfte. Einige studierten die Plakate an der Touristeninformation. Über allen wachte die Basilika in ihrer ganzen barocken Pracht. Andreas Goettle ließ sich einen Moment von dem beeindruckenden Anblick gefangen nehmen. Die imposante Klosterkirche auf dem Martinsberg erinnerte ihn daran, dass er ein winziges Rädchen im Getriebe des Weltenlaufs war, gefangen in einer Zeit, in der die Kirche die Menschen mit ihren Botschaften immer seltener erreichte. Als die Basilika erbaut worden war, hatten die Äbte ihre Macht mit dem repräsentativen Gebäude untermauert und die Bevölkerung damit eingeschüchtert. Es war nicht so, dass er sich diese Zeit zurückwünschte. Goettle war sich bewusst, dass im Namen des Herrn nicht nur gerechte Entscheidungen gefällt worden waren. Aber ein wenig mehr Demut könnte der Gesellschaft nicht schaden, dachte er.
Der Geistliche konnte sich nicht gegen die Ergriffenheit beim Anblick des »Schwäbischen St. Peters« wehren. Langsam ging er auf das Gebäude zu, das mit jedem Schritt mehr gegen den Himmel wuchs.
Ein roter Schriftzug an der Mauer zum Aufgang erhaschte seine Aufmerksamkeit. »Bluttritt ist Tierquälerei«, war dort zu lesen.
»Aha, des isch ja interessant«, murmelte Biberachs Gemeindepfarrer und setzte seinen Weg fort.
Sebastian Seegmüller erwartete seinen Gast in seinem Büro. Er sah mitgenommen aus, die Sorgenfalte auf seiner Stirn hatte an Tiefe gewonnen und Goettle schätzte, dass sein Kollege seit dem Zwischenfall wenig Schlaf gefunden hatte. Dennoch hielt es ihn nicht auf seinem Stuhl. Unruhig umkreiste er seinen Schreibtisch und wiederholte die Worte »unfassbar«, »Katastrophe« und »Gotteslästerung« wie ein Mantra.
Andreas Goettle sah ihm eine Weile zu. »Herr Kollege, dän Sie mir oin G’falla ond setzet Se sich. Sonschd kennet Se sich heut Obend a Paar neue Schuah kaufa. So viel, wie Sie romlaufet.«
Seegmüller blieb einen Moment stehen, blickte ihn mit leeren Augen an, setzte seine Wanderung fort und warf die Arme theatralisch in die Höhe.
»Was sollen wir tun?«, presste er hervor. »Der Blutritt kann ohne die Reliquie nicht stattfinden. Außerdem ist sie Bestandteil des Altars. Die Vitrine kann nicht leer bleiben. Die Besucher werden Fragen stellen. Wir müssen sie finden! Doch wo sollen wir suchen? Was ist, wenn sie außer Landes ist? In den Händen dunkler Mächte? Es ist so furchtbar!« Er schlug die Hände vor das Gesicht und stöhnte.
»Jetzt no net hudla. Seit geschdern fehlt das Heilige Blut und die Prozession findet in acht Tag statt. Des isch net viel Zeit, aber mir könnet die Reliquie finda, wenn mir ganz genau nochdenket. Also, no mol von vorn. Sie waret grad dabei, des Heilige Blut aus dem Altar zum hola, um es in der Tresor zum bringa. Dann hen Se a Geräusch vor der Kirch g’hört …«
»Ja. Als ob jemand eine Spraydose betätigt. In letzter Zeit haben wir öfter Schmierereien im Umfeld der Kirche. Angebliche Tierschützer werfen uns vor, dass die Pferde bei dem Blutritt leiden müssten. An der Lautstärke der Blasmusik, zudem sei das Gehen über das Kopfsteinpflaster nicht gut für die Gelenke der Tiere und, und, und. Verquerer Unfug. Ich habe also das Geräusch gehört, habe die Reliquie zurück in den Altar gelegt und bin nach draußen gerannt …«
»Ond hen vergessa, die Alarmolag wieder eizumschalta«, unterbrach Goettle die Erzählung Seegmüllers.
Der nickte stumm.
»Des war natürlich segglbleed … also net so guad. Was isch danoch passiert?«
»Na ja, es ging alles ganz schnell. Ich bin raus aus der Kirche, sehe diese beiden dunklen Gestalten fliehen, will hinterherrennen, trete auf eine Spraydose, komme zu Fall und dann herrschte Dunkelheit. Als ich wieder aufwachte, sah ich das offene Kirchentor. Mein erster Gedanke war: Ich muss nach dem Heiligen Blut sehen. Aber da war es schon weg.«
Andreas Goettle rieb sich über das Kinn. Die Schilderung des Weingartener Pfarrers ergab nicht sehr viele Anhaltspunkte für eine Ermittlung.
»Hen Se die Gestalta erkannt, die vor Ihne g’floha sen? Könntet des die Tierschützer g’wesa sei? Oder gibt’s no meh Leut, die was an die Kirchamauer sprühet?«
Seegmüller schüttelte den Kopf. »Nein, es war zu dunkel, ich habe niemanden erkannt. Ich könnte nicht mal sagen, ob es Männer oder Frauen waren. Sie hatten ja diese Kapuzenpullis an. Und die Tierschützer kenne ich nicht wirklich. Es gibt ein paar Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschule, die hin und wieder Flugblätter in der Stadt verteilen. Aber die haben mit den Schmierereien nichts zu tun. Das hat die Polizei herausgefunden. Ich habe ja wegen der Graffitis Anzeige gegen unbekannt erstattet.«
»Irgendwie kann i mir des au net vorstella, dass die so gewieft vorganget. Die oine lenket Sie ab ond die andere verstecket sich in dr Kirch, um die Reliquie zum klaua. Die hen ja net wissa könna, dass Sie die Alarmolag net wieder anstellet, bevor Se nauslaufet. Des passt net z’samma.«
Pfarrer Seegmüller heulte auf. »Ja, streuen Sie ruhig Salz in meine Wunden. Ich weiß, dass