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Das Schweigen der Aare. André Schmutz
Читать онлайн.Название Das Schweigen der Aare
Год выпуска 0
isbn 9783839267103
Автор произведения André Schmutz
Жанр Триллеры
Издательство Автор
Da hatte Sophia recht; aber eine vergangene coole Party war noch lange kein Grund, einen freien Abend für ein ekliges Bierfest zu vergeuden. Auf der anderen Seite wollte Alva dem Enthusiasmus ihrer Freundin keinen Dämpfer versetzen. Deshalb hörte sie sich sagen:
»Okay, wann geht es los?«
»Um 20.30 Uhr, treffen wir uns direkt am Eingang beim Stufenbau.«
»Abgemacht«, beendete Alva das Gespräch. Kaum hatte sie aufgelegt, bereute sie bereits die gemachte Zusage. Die Aussicht, die kommenden Stunden in erster Linie mit Kafka und Bier zu verbringen, verursachten ihr eine leichte Übelkeit. Alva überlegte sich, ob sie die Zusage zum Bierfest wieder rückgängig machen sollte. Sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Es blieben die trüben Aussichten und die dunklen Gedanken. Novemberblues.
Alva merkte deshalb nicht, wie der Gast am Tisch neben ihr aufstand, sich kurz am rechten Ohrläppchen kratzte und zügig das Lokal verließ.
Kapitel 13
Bern, Waisenhausplatz, 22. November 2019, 12:40
Während der Mittagspause hatte sich Max Obermaier, der bayrische Gastkommissar, zu Lisa an den Kantinentisch gesetzt und sie mit seiner einfallslosen Angeberei genervt. Am liebsten hätte ihm Lisa direkt ins Gesicht gesagt, dass er sie mit seinem Gesülze in Ruhe lassen soll. Sie hatte aber ein Einsehen mit dem Gast aus Bayern und musste nun dafür büßen. Endloses Gefasel. Obermaier lobte gerade seinen Kollegen Trachsel über den grünen Klee. Weltklasse sei es gewesen, wie Trachsel den Fall mit dem Sturz von der Kirchenfeldbrücke in Rekordzeit gelöst hatte. Man sei sehr stolz in Schrobenhausen, dass man mit Leuten wie Trachsel zusammenarbeiten dürfe. Zum Kotzen.
Schließlich passierte das Unerwartete. Obermaier fand für Lisa den Ermittlungsfaden wieder, wenn auch unbeabsichtigt.
Irgendwann waren die Berichte über die Heldentaten von Obermaier und Trachsel erschöpft. Obermaier war deshalb dazu übergegangen, Lisa mit Komplimenten zu überhäufen und ihr mehr oder weniger eindeutige Avancen zu machen.
»Frau Manaresi, für mich sind Sie die Aphrodite Berns«, säuselte Max Obermaier in Lisas Ohr. Lisa war kurz versucht, ebenfalls die griechische Mythologie zu bemühen und ihm zu antworten:
»Und Sie für mich die Schrobenhausener Hydra.« Sie ließ es im letzten Moment bleiben.
»Die Männer stehen auf Sie, Frau Manaresi. Aber das wissen Sie selbst. Erst vor drei oder vier Tagen hat sich ein ziemlich schräger Typ direkt hier bei uns auf der Hauptwache nach Ihnen erkundigt. Der wollte eine Menge über Sie wissen. Was Sie in Ihrer Freizeit tun, wo Sie gerne essen gehen und …«
»Und Sie gaben bereitwillig Auskunft. Die Polizei, dein Freund und Helfer.«
»Wo denken Sie hin, natürlich nicht. Datenschutz ist mir heilig. Erst recht, wenn es dabei um Kollegen geht. Einzig Ihre Schwäche für Roastbeef im Restaurant Schwarzwasserbrücke ist mir herausgerutscht. Das ist ja zum Glück keine sensible Information.«
Allmählich kam sich Lisa wie in einem schlechten Film vor. Sie hatte immer mehr den Verdacht, dass die Schrobenhausener Polizei den Kollegen Obermaier nach Bern abgeschoben hatte, um für ein paar Monate in Ruhe arbeiten zu können. Dass der Austausch eine Belohnung für außerordentliche Leistungen sein sollte, konnte sie sich nicht vorstellen.
»Herr Obermaier, es geht niemanden etwas an, was ich gerne und wo esse«, entgegnete Lisa lauter als geplant. Obermaier zuckte leicht zusammen.
»Es tut mir leid. Zur Wiedergutmachung lade ich Sie zu Ihrem Leibgericht ins Restaurant Schwarzwasserbrücke ein. Wann immer Sie wollen.«
»Danke, das brauchen Sie nicht. Erzählen Sie mir lieber, was an dem Mann, der sich über mich erkundigt hat, so schräg gewesen ist«, wiegelte Lisa ab.
»Nun, die Fragen, die er gestellt hat. Und dann hatte er auf der rechten Seite ein völlig verkrüppeltes Ohr. Es sah aus, als ob ihm jemand einen kleinen Blumenkohl an den Kopf genäht hätte.«
»Können Sie mir genau sagen, wann dieser Mann hier aufgetaucht ist?«
»Das muss am Freitag gewesen sein, das heißt am 16. November – vor vier Tagen. Ich weiß das so genau, weil Trachsel und ich gerade zum Feierabendbier aufbrechen wollten. Es war gegen 15.30 Uhr.«
Auch wenn womöglich alles reiner Zufall war, wurde Lisa das Gefühl nicht los, dass mit dem Auftauchen dieses Fremden und seiner Fragerei irgendetwas nicht stimmte.
Hier war er also wieder, der Faden.
Lisa beschloss, mit Zigerli darüber zu sprechen. Der würde ihr wahrscheinlich auch nicht weiterhelfen können. Aber Lisa hatte in solchen Gesprächen schon oft neue Ermittlungsansätze gefunden. Sie hoffte, dass es auch dieses Mal so sein würde.
Lisa traf sich kurz nach Arbeitsschluss mit Zigerli im Restaurant Tibits beim Hauptbahnhof. Ungeduldig berichtete sie ihm über das Gespräch mit Obermaier. Es tat ihr gut, dass Zigerli ihre Meinung teilte, was die Fragerei dieses fremden Mannes betraf. Hier stimmte etwas nicht. Hier stank etwas. Und zwar gewaltig.
Natürlich hatte Lisa Obermaier bereits gefragt, ob er den Namen des Fremden registriert hatte oder ob er irgendwelche andere Information über ihn hatte. Nichts.
Aber es gab dieses Blumenkohl-Ohr. Das war immerhin etwas. Vielleicht konnte man diesbezüglich im Internet etwas finden? Handelte es sich um eine geburtliche Missbildung oder um einen erst später erlittenen Unfall? Das würde Knochenarbeit werden, zumal sie nicht auf die Datenbanken der Polizei zugreifen konnten, auch wenn sie diese direkt vor ihrer Nase hatten. Wenn Trachsel herausfinden würde, dass sie private Ermittlungen über die IT-Systeme der Berner Kriminalpolizei anstellten, wäre die Polizeikarriere zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Bei solchen Dingen kannte Trachsel keinen Spaß. Und bei Lisa erst recht nicht.
Die halbe Nacht surfte Lisa im Web. Sie hatte das Gefühl, Hunderte von Suchbegriffen und Kombinationen ausgetestet zu haben. »Bern«, »Missbildung«, »Ohr«, »Unfall«, »chirurgisch«. Die Liste wurde immer länger. Das Resultat war immer dasselbe. Nichts.
Am folgenden Morgen hatte sich Zigerli bei verschiedenen Kollegen im Dezernat und der ganzen Hauptwache erkundigt, ob jemandem am vergangenen Freitag ein Mann mit einem Blumenkohl-Ohr auf der rechten Seite aufgefallen war. Zigerli ging es nicht besser als Lisa. Nichts.
Sollten sie nach der Algengeschichte bereits wieder in eine Sackgasse geraten sein? Sie hatten zum Glück nicht allzu lange Zeit, darüber zu grübeln.
Kapitel 14
Bern, Stufenbau, 22. November 2019, 23:30
Leider übertraf das Bierfest Alvas schlimmsten Befürchtungen. Bereits kurz vor Mitternacht hatte sie das Gefühl, von einer einzigen Horde stinkender und rülpsender Biersäufer umgeben zu sein. Alles kam ihr total primitiv vor. Niveaulos.
Auf drei Ebenen verteilt, gab es verschiedene Bars. Ungefähr in der Mitte des stufenförmigen und verwinkelten Baus befand sich eine Bühne, auf welcher abwechselnd lokale Bands ihr mehr oder weniger großartiges Schaffen zum Besten gaben. Überall konnte Bier der Marke Felsenau bestellt werden. Wenn man wollte, auch in rauen Mengen. Im stolzen Eintrittspreis von 60 Schweizer Franken war nämlich unlimitierter Bierkonsum inbegriffen. Der Renner unter den Bieren war das Bärner Müntschi3, ein helles naturtrübes, süffiges Bier. Alva hatte knappe zwei Stunden mit der kleinen Flasche, ihrer ersten, gekämpft. Ein 20-jähriger Jungberner hatte Alva schließlich erlöst, indem er die noch halbvolle Bierflasche unabsichtlich umkippte. Zumindest glaubte dies Alva. Keine drei Minuten später tauchte der junge Herr bereits wieder auf – mit einem neuen, prall gefüllten Bärner Müntschi.
»Tut mir leid, dass ich dein Bier verschüttet habe,« lallte der offensichtlich nicht mehr nüchterne Jüngling. Man sah ihm an, dass er Alva am liebsten ein echtes Bärner Müntschi auf ihren Mund gedrückt hätte. Sein bisheriger Bierkonsum