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du die alle vorladen?«

      »Auf jeden Fall. Es geht um 19-fachen Mord!«

      Elke hob die Hände. »Das kannst du gerne machen, aber ich sage dir gleich, dass das nichts bringt. Von denen wird dir keiner sagen, mit wem Kabaoglu zusammen war oder ob die was im Schilde führten. Wenn es um was Handfestes wie Alibis ginge, wäre ich bei dir, aber so …«

      Marie seufzte. »Könnten eure Teams die Augen nach Altay offen halten?«

      »Natürlich. Ich gebe sein Bild und die Informationen gleich weiter.«

      Kaum war Marie wieder an ihrem Arbeitsplatz, erwartete sie die nächste Überraschung: Arthur Thewes kam herein und legte ihr einen Notizzettel auf den Tisch.

      »Was ist das?«, fragte sie.

      »Stations- und Zimmernummer von Wolfgang Boskop im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Boberg.«

      »Was soll ich damit?«

      »Hinfahren. Es scheint, als gehe es stramm bergauf mit ihm. Er hat heute Morgen selbst darum gebeten, mit der Polizei zu sprechen, und wir als Freund und Helfer …«

      »Ist das nicht Markus’ und Johannes’ Aufgabe?«

      »Die machen gerade eine Zeugenbefragung in Norderstedt. Ich möchte nicht, dass Boskop oder seine Ärzte es sich anders überlegen, deshalb ist es jetzt dein Job. Also los, worauf wartest du?«

      Die dritte Überraschung des Tages war Boskop selbst: Er war kaum wiederzuerkennen. Er saß im Bett, das Rückteil fast senkrecht, und begrüßte Marie freundlich. Ruß, Staub und Blut hatten ihn am Ort der Explosion offenbar schlimmer verunstaltet als die Brandwunden. Zwar war seine linke Gesichtshälfte von der Schläfe bis zum Kinn mit Verbänden abgedeckt, aber die Nase und die rechte Seite des Gesichts wirkten komplett unbeschädigt.

      »Guten Morgen«, sagte er. Er nuschelte ein wenig; vermutlich schränkte die Verletzung die Kieferbewegung ein. Trotzdem klang seine Stimme fest, der Blick aus seinen Augen war klar. »Sie sind von der Polizei, nehme ich an?«

      »Kriminaloberkommissarin Schwartz von der Mordkommission.« Marie zeigte ihren Dienstausweis.

      Boskop schaute nur flüchtig darauf, dann nickte er. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf die Stühle aus Metallrohr und Plastik, die an einem kleinen Esstisch in der Ecke standen.

      Sie zog sich einen heran und nahm Platz. »Herr Boskop«, begann Marie, »ich weiß, Sie haben selbst um das Gespräch gebeten, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir jederzeit abbrechen können, wenn es Ihnen zu viel wird.«

      Boskop lächelte, soweit es sein verschorftes Gesicht zuließ. »Vielen Dank, es wird schon gehen. Die Ärzte hier leisten fantastische Arbeit.«

      »Das ist schön zu hören. Herr Boskop, würden Sie mir bitte die Geschehnisse vorgestern früh am Flughafen aus Ihrer Sicht erzählen?«

      »Also, da war dieser Koffer –«

      »Bitte fangen Sie weiter vorne an. Wann sind Sie in den Flughafen gekommen?«

      »Das muss kurz vor sieben gewesen sein … Der Mann, der mit dem Koffer, ist der tot?«

      »Was? Ja, er ist … Wieso wollen Sie das wissen?«

      »Ich habe Angst. Das … in dem Koffer war eine Bombe! Das war doch ein Terrorist! Wenn der mich erkennt, dann … Aber er ist ja tot. Das ist … schrecklich, natürlich ist das schrecklich, aber …«, er lachte heiser, »was soll ich sagen – es ist mein Glück. Das ist … Das klingt ganz furchtbar, oder?« Er drehte den Kopf zur Seite.

      »Herr Boskop, Sie können beruhigt sein. Der Mann ist bei der Explosion ums Leben gekommen, und wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Sie haben nichts zu befürchten.« Dass sie nicht sicher waren, welche Rolle der flüchtige Altay in der Sache spielte, verschwieg Marie fürs Erste. Der wiederum wusste aller Wahrscheinlichkeit nach nichts von Boskop, also war dieser so oder so nicht gefährdet.

      »Wirklich?«, fragte Boskop.

      »Auf jeden Fall. Sie waren also etwa um sieben am Flughafen. Was wollten Sie dort?«

      »Einkaufen.«

      »Einkaufen?«

      »Ja, der Supermarkt am Flughafen hat ab morgens um sechs geöffnet, auch sonntags. Ich hatte keine Wurst mehr und keinen Kaffee, und ich wohne in der Nähe des Flughafens.«

      »Was haben Sie dann im Terminal 1 gemacht? Der Supermarkt ist ein Stockwerk tiefer.«

      »Ich liebe die Atmosphäre dort. Alle sind so aufgeregt, sie brechen auf in ferne Länder, alle freuen sich … Ich lebe alleine, wissen Sie. Ich nehme gerne Anteil an der Freude und Aufregung anderer Leute. Können Sie das verstehen?«

      »Ich weiß nicht. Ich finde es sehr hektisch dort.«

      »Jedem das Seine, Frau Schwartz. Oder muss es Frau Kommissarin heißen?«

      »Was hatten Sie mit dem Koffer zu tun? War es Ihrer?«

      »Wozu sollte ich denn einen Koffer zum Einkaufen mitnehmen?«

      »Also, was war mit dem Koffer?«

      »Nun ja … Der Koffer stand da, ein paar Meter von den ganzen Warteschlangen entfernt, und keiner war da, der auf ihn aufpasste. Verstehen Sie, er war … herrenlos. Man hört ja allerlei über herrenlose Gepäckstücke, und dazu diese ganzen Durchsagen: ›Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.‹ Da habe ich mich gefragt, ob das alles mit rechten Dingen zugeht.«

      »Und was haben Sie dann gemacht?«

      »Ich wusste nicht recht, was man in so einer Situation macht, da habe ich mir den Koffer erst einmal angesehen.«

      »Sie haben ihn sich angesehen? Wieso haben Sie nicht der Polizei Bescheid gesagt?«

      »Ach, das wäre doch peinlich gewesen. Ich meine, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass da tatsächlich eine Bombe drin war? Nachher hätten die meinetwegen den Flughafen evakuiert, nur wegen eines Koffers voller dreckiger Unterhosen oder was die Türken sonst so einpacken. Nein, ich dachte, ich schaue mir das erst genauer an.«

      »Was vermuteten Sie denn zu sehen?«

      »Ja, was weiß ich – irgendwas. Wie wenn man bei einem kaputten Auto die Motorhaube aufmacht und reinschaut, auch wenn man keine Ahnung davon hat.«

      »Und was ist danach geschehen?«, fragte Marie.

      »Da war was am Griff«, sagte Boskop. »So was wie ein Schalter. Mit Kabeln.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Natürlich! Ich wollte zur Polizei, aber dann kam dieser Mann, der sah arabisch aus oder vielleicht türkisch, ich weiß es nicht, und der schrie mich an und stieß mich weg.«

      »Und was dann?«

      »Er hat nach dem Koffer gegriffen, und ich dachte, er will den Schalter drücken und die Bombe in die Luft jagen. Ich hatte Angst um mein Leben, verstehen Sie? Deshalb habe ich versucht, ihm den Koffer wegzunehmen, damit er nicht an den Schalter kommen kann. Ich konnte doch nicht zulassen, dass jemand einfach so aus fehlgeleitetem Fanatismus diese ganzen Menschen umbringt!«

      »Wie kommen Sie darauf, dass er ein Fanatiker war?«

      »Das … nun ja, es war ein südländischer … Welchen Grund sollte sonst so jemand haben, ein Selbstmordattentat zu begehen? Das kann doch nur ein Islamist gewesen sein. Und im Fernsehen sagen sie auch, dass der IS dahintersteckt.«

      »Ich verstehe«, sagte Marie. »Aber konkrete Hinweise auf das Motiv des Täters haben Sie nicht, richtig?«

      »Konkrete Hinweise – er hat nicht ›Allahu Akhbar‹ gerufen, wenn Sie das meinen. Doch es war ein Türke oder sonst so ein Orientale, und er hatte eine Bombe. Und ich kann eins und eins zusammenzählen.«

      »Sie wollten ihm also den Koffer wegnehmen?«

      »Ja,

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