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war, ist genauso unbegründet, wie von den Straffälligkeiten einer kleinen Zahl von Migranten auf die Migranten insgesamt zu schließen.

      Wenn das Magazin Der Spiegel in seiner englischsprachigen online-Nachrichtenversion als Überschrift formuliert: «Return of the Ugly German», dann ist das pauschalisierend und irreführend. Eine vergleichbare Überschrift: «Arrival of the Ugly Muslim», nach den Silvesternachtübergriffen in Köln würde wohl gerade von den Spiegel-Verantwortlichen als unzumutbar zurückgewiesen.

      Als Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE, den Versuch andeutete, die Sorgen der Betroffenen ernst zu nehmen, wurde sie von Parteigenossen sogleich in die Riege der rechtsextremen AfD eingeordnet. Rein politisch motivierte Parteistrategie verhinderte ein Bemühen um eine differenzierte Bewältigung der Situation.

      So verwundert es nicht, dass für die «Linke» die Zeit zu einer Generalabrechnung mit den «Rechten» gekommen zu sein scheint. Die feine, aber wichtige Unterscheidung zwischen Rechtsextremen und Rechten wird aufgelöst; es geht darum, alles zu verleumden, was angeblich «rechter» Gesinnung und «rechten» Tendenzen zugeordnet werden kann. Das ist genauso unangemessen, wie die feine, aber wichtige Unterscheidung zwischen Linksextremen und Linken aufzulösen und alle Linken insgesamt für die Straftaten verantwortlich zu machen, die regelmäßig von den Linksextremen verübt werden.

      Horst Seehofer, damals Parteivorsitzender der CSU und Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, hat sich nach den Ereignissen in Chemnitz mit der Feststellung zu Wort gemeldet, die Migration sei «die Mutter aller Probleme» in Deutschland. Das sieht mancher anders. Festzuhalten ist, dass die vergangenen fünf Jahre Deutschland zunehmend in eine Identitätskrise getrieben haben, die es in diesem Ausmaß seit der Gründung der Bundesrepublik und auch im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung nicht gegeben hat.

      Hunderte Bürger standen am 5. und 6. September 2015 am Hauptbahnhof in München und hießen mit Applaus, Lebensmitteln, Kinderspielzeug und Sachspenden tausende Flüchtende aus Syrien willkommen. Im Oktober 2015 tauchten Gerüchte in der Presse auf, die Bundesregierung rechne mit einem Zuzug von bis zu 1,5 Millionen «Flüchtlingen» nach Deutschland und dem Nachzug von vier bis sechs Angehörigen je akzeptiertem Asylbewerber. Eine repräsentative Umfrage zu derselben Zeit ergab, dass drei Viertel der Befragten durch die massive Einwanderung verursacht wesentliche Veränderungen der deutschen Gesellschaft erwartet.1 Die International New York Times machte sich Gedanken, wie der fremdkulturelle Zustrom nach Deutschland die Identität Deutschlands verändern und wie die Bevölkerung langfristig auf diese Veränderungen reagieren wird.2 Ende November 2015 warnte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in einem Beitrag in der Tageszeitung Die Welt vor unbegrenztem Zuzug von Flüchtlingen aus Kulturen, «in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind».3

      2015 erhielt ein Muslim den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ein Muslim wurde Co-Direktor der Passionsfestspiele in Oberammergau. Eine türkisch-stämmige Berlinerin mit Kopftuch erhielt von einem Berliner Gericht knapp 9000 Euro «Schmerzensgeld» zugesprochen, weil das Land Berlin ihr auf Grund des Neutralitätsgesetzes eine Stelle im Schuldienst verweigert hatte. Alsbald gingen zehntausende Ostdeutsche auf die Straße und protestierten gegen die gefühlte «Islamisierung Deutschlands». Brandanschläge wurden verübt auf Menschen, die sich aktiv gegen Rechtsradikale einsetzen. Am 13. März 2016 zog die Partei «Alternative für Deutschland» in mehrere Landesparlamente ein; in Sachsen-Anhalt erhielt sie 24 % der Stimmen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Attraktivität für Wähler, die bisher für DIE LINKE und die SPD votiert hatten. Seit 2018 ist die AfD nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen Landesparlamenten der Bundesrepublik vertreten.

      Rassismus-Vorwürfe fanden sich gegen die Rentnerin, die es nicht wagte, einem Schwarzen ein Zimmer zu vermieten. 2015 meldeten Zeitungen, in einigen Gemeinden seien alteingesessene Mieter von den Behörden aus ihren Wohnungen in kleinere Räume umgesiedelt worden, um Platz für Migranten zu schaffen. Bürgermeister mehrerer Ortschaften, in denen Flüchtende aus Syrien einquartiert wurden, sahen sich veranlasst, die Neuankömmlinge auf bestimmte Verhaltensregeln hinzuweisen und wurden dafür mit massiver Kritik überzogen. Nach einem Anti-Terror-Alarm an einer Berliner Grundschule am 6. Juni 2018 beschwerten sich Eltern, dass die Durchsagen der Polizei nur auf Deutsch, nicht aber zusätzlich auch auf Türkisch und Arabisch erfolgt seien. Jeder Konsument der Medien in Deutschland ist nahezu Tag für Tag einer Vielzahl solcher Meldungen ausgesetzt. Entsprechende Meinungskommentare sind an der Tagesordnung.

      Worum geht es?

      Wir durchleben den Übergang Deutschlands aus der Ära des Nationalstaats hin zu einer neuen politischen Struktur. Die Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts gründeten in der Vorstellung, dass es wohldefinierte «Deutsche», «Franzosen», «Schweden», «Engländer» gibt, die in ihren nationalstaatlichen Grenzen leben und durch nationale Geschichte und Eigenarten verbunden sind. In den politischen Strukturen, die sich jetzt bilden, leben Menschen aus aller Welt zusammen, die nicht mehr durch historische Gemeinsamkeiten eine Identität als Volk besitzen, sondern als Individuen und Gruppen unterschiedlicher kultureller Prägung eine irgendwie geartete Einheit bilden.

      Dieser Übergang, das sei hier in aller Deutlichkeit betont, ist unvermeidlich und unwiderruflich. Ob man die damit verbundenen Veränderungen erfreulich findet oder nicht, ist jedermanns persönliche Angelegenheit. Die Abneigung gegen diesen Wandel wird erst dann zu einem öffentlichen Problem, wenn sie zu Handlungen führt, die anderen Menschen ein Leid zufügen. Es gibt keinen einzigen aus der Vernunft geborenen Grund für eine «Fremdenfeindlichkeit». Aber die Emotionen, die durch Fremdes hervorgerufen werden, sind in der Bevölkerung nicht einheitlich.

      Ein Zusammenleben in einer kulturell heterogenen Gesellschaft ist vielen Menschen in Europa ungewohnt und nicht wenigen wohl auch unangenehm. Andere begrüßen diesen Wandel und halten die neuen Gegebenheiten für einen Gewinn, für eine Bereicherung des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens. Damit ist ein wesentliches Element der folgenden Erörterung angedeutet. Es sind nicht so sehr die wissenschaftlich oder im gelehrten Diskurs relevanten Fakten, die für den alltäglichen Umgang mit den Begleiterscheinungen und den Folgen des Wandels entscheidend sind. Es sind die Emotionen, die der Wandel bei den Betroffenen auslöst. Sie entfalten sich durch die äußeren Umstände im Inneren der Menschen und kommen dann öffentlich zum Ausdruck.

      So werden sie nicht selten auf die Straße getragen, sie bestimmen das Wahlverhalten, sie äußern sich in Wort- und Schrift-Beiträgen in den Medien und auch in ganz privaten Verhaltensweisen, die freilich nur gelegentlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit finden. Manche dieser Emotionen erscheinen im Zuge einer von der Vernunft geforderten Political Correctness als nicht wünschenswert. Ihre Skandierung im öffentlichen Raum ist von höchster politischer Instanz als eine «Schande für Deutschland» bezeichnet worden.

      Dieses Buch spricht einige Aspekte der komplexen Natur des Übergangs Deutschlands in eine neue politische Realität an, für die es kein Vorbild gibt – weder die großen USA noch die kleine Schweiz taugen als solches. Das zukünftige Deutschland wird nur noch wenig gemein haben mit dem Deutschland, das sich zwei Jahrhunderte lang bemüht hat, eine deutsche Nation zu sein. Das ist nicht zuletzt an dem zunehmenden Einfluss der englischen Sprache auf die deutsche Sprache abzulesen. Eine «reine» deutsche Sprache wird es in Zukunft noch weniger geben als bisher. Deutschland öffnet sich der globalen Kommunikation; die deutsche Sprache kann sich genauso wenig abgrenzen wie die deutsche Nation. Doch nicht nur der Nationalismus ist unwiderruflich überholt, auch die demokratische Verfassung erscheint aufgrund wachsender internationaler Vernetzung zunehmend unrealistisch.

      Den Übergang in die ethnisch und kulturell noch sehr viel stärker als bisher vielfältige Gesellschaft in geordnete Bahnen zu lenken, das ist Aufgabe der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verantwortungsträger. Sie sind imstande, durch öffentliche Aussagen die Meinungen und Empfindungen der Menschen zu beeinflussen. Wenn man ein Defizit in der gegenwärtigen Situation benennen möchte, dann wäre das der Mangel an Aufklärung über die Unvermeidlichkeit der zunehmenden Einbindung eines jeden Landes, nicht nur Deutschlands, in die internationalen Netzwerke des Handels. Deutschlands Wohlergehen hängt in erster Linie von seinen

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