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sind wir getrennt, im Wesen sind wir eins, eins in Gott. Noch im ärmlichsten Menschen, im verachtetsten Tier und Ding ist Gott verborgen, ringt Gott nach Offenbarung. Und diesen göttlichen Funken, diese göttliche Einheit hinter aller getrennten Erscheinung, hinter Armut, Eiter und Niedrigkeit zu suchen und zu lieben, ist unsere religiöse Aufgabe, ist der Sinn unseres Lebens: "Wer sich noch nicht zerbrach — Sich öffnend jeder Schmach — Ist Gottes noch nicht wach. — Erst wenn der Mensch zerging — In jedem Tier und Ding — Zu lieben er anfing."

      So fleht der Dichter aus der Dumpfheit und Einsamkeit irdischer Gebundenheit: "O Herr, zerreiße mich!" so braust der Bittgesang der neuen Menschheitsgemeinde:

      Komm, Heiliger Geist, du schöpferisch!

      Den Marmor unserer Form zerbrich!

      Daß nicht mehr Mauer krank und hart

      Den Brunnen dieser Welt umstarrt,

      Daß wir gemeinsam und nach oben

      Wie Flammen ineinander toben!

      — — — — Daß nicht mehr fern und unerreicht

      Ein Wesen um das andere schleicht,

      Daß jauchzend wir in Blick, Hand, Mund und Haaren

      Und in uns selbst dein Attribut erfahren.

      Im Dichter wird dieses Gebet zuerst und zutiefst erfüllt: "In dieser Welt der Gesandte, der Mittler, der Verschmähte zu sein, ist dein Schicksal," kündet ihm der Erzengel — "Daß dein Reich von dieser Welt nicht von dieser Welt ist," diese Erkenntnis, "ist, o Dichter, dein Geburtstag". Und so offenbart und erlöst der Dichter hinter der Welt der Erscheinung die wahre Welt. Von der Welt der Armen, der Dienstboten, der Sträflinge, der Droschkengäule, der Nattern, Kröten und des Aases zieht er den täuschenden Schleier der Erscheinung und offenbart das Geheimnis Gottes. Er will nichts sein als "Flug und Botengang" des Ewigen, "eine streichelnde Hand", die allen einsam-ängstenden Kreaturen von der göttlichen Wärme und Liebe mitteilt. Nicht die "Eitelkeit des Worts" nur die Reinheit und Güte der Seele gibt ihm die Macht zur Offenbarung und Erlösung: "Der gute Mensch" ist der Befreier der Welt:

      Und wo er ist und sein Hände breitet...

      Zerbricht das Ungerechte aller Schöpfung,

      Und alle Dinge werden Gott und eins.

      Nicht die Erscheinung zu fliehen und vor der Zeit abzustreifen, sondern die Erscheinung zu durchseelen, zu vergöttlichen, ist der Sinn der Schöpfung, nachdem sie einmal im Sündenfall der Vereinzelung von Gott abgefallen ist. In der Welt will Gott offenbart und erlöst werden. Ergreifend spricht sich das im "Zwiegespräch an der Mauer des Paradieses" aus, wo Adam, müde des Erscheinungswandels, zur alten paradiesischen Einheit in Gott zurückverlangt und ihn anfleht: "Höre auf, mich zu beginnen!", Gott aber weist ihn zurück in die Welt:

      Kind, wie ich dich mit meinem Blut erlöste,

      So wart' ich weinend, daß du mich erlöst.

      Werfel ist ursprünglich, innig, oft franziskanisch-kindlich in seiner Religiosität; gerade, sicher und sehnend wächst seine Dichtung zum Himmel auf, wie ein gotischer Turm (erst im "Gerichtstag" gewinnt die Reflexion zersetzend Macht). Rainer Maria Rilkes, des älteren Pragers (geb. 1875), religiöse Lyrik ist mehr die Zierart am Turm, die Fülle und Unruhe der gotischen Skulpturen, der Heiligen, Tiere und Ornamente. Sie hat keine ursprüngliche, eigenmächtige Strebe- und Baukraft. Rilke ist der Ausgang eines alten Kärntner Adelsgeschlechtes, verfeinert, müde, heimatlos. In steten Reisen wechselte er zwischen Wien, München, Berlin, Rußland, Paris, Italien. Er lebt wie seine Gestalten "am Leben hin" nicht ins Leben hinein, durchs Leben hindurch. Die tiefsten Offenbarungen gibt ihm nicht das unmittelbare Leben, sondern das mittelbare: die Kunst. Erst in den Worpsweder Malern und ihrer Atmosphäre wird ihm die seelische Bedeutung der Landschaft, erst in der Kunst und dem Künstler Rodin die religiöse Bedeutung des Menschen Erlebnis. Rodin, bekennt er, habe ihn "alles gelehrt, was ich vorher noch nicht wußte, geöffnet durch sein stilles, in unendlicher Tiefe vor sich gehendes Dasein, durch seine sichere, durch nichts erschütterte Einsamkeit, durch sein großes Versammeltsein um sich selbst". Sein Buch über Rodin ist wohl sein tiefstes und reichstes Werk. Wie Rodin, der Gotiker unter dem Bildnern, den menschlichen Körper auflöst in Seele, so löst Rilkes "Stundenbuch" mit den drei Büchern "Vom mönchischen Leben", "Von der Pilgerschaft" "Von der Armut und vom Tode" die Körper und Dinge in Gott. "Es gab eine Zeit, wo die Menschen Gott im Himmel begruben... Aber ein neuer Glaube begann... Der Gott, der uns aus den Himmeln entfloh, aus der Erde wird er uns wiederkommen." So offenbart Rilke Gott in den Kindern, den Mädchen, dem Volk, den Armen, den Bauern, der Landschaft, und mehr als in den Menschen in den Dingen: "Weil sie, die Gott am Herzen hingen — Nicht von ihm fortgegangen sind." Aber diese Offenbarung wächst nicht wie bei Werfel aus unmittelbarem Lebensanteil und -zwiespalt und heiliger Gewißheit, sie wächst aus der Sehnsucht des heimatlosen Zuschauers und Künstlers und aus dem Wissen um viele religiöse Vorstellungen und Symbole. Ein russischer Mönch ist der Träger und Schreiber des Stundenbuches, und der ganze Stimmungsreichtum russischer Klöster, Kuppeln, Ikone, Gossudars wird genutzt. Anderen religiösen Gedichtzyklen, wie den "Engelliedern" und den "Liedern der Mädchen an Maria" werden präraffaelitische Erinnerungen zu Stimmungsträgern. Und die "Neuen Gedichte", die in der Fülle ihrer Bilder die Beziehungen der individuellen Erscheinungen zu den letzten Prozessen und Formen des Daseins gestalten wollen, tun dies nicht aus der drängenden Einheit und Tiefe eines ursprünglichen Weltgefühls, sondern im seelischen oder gedanklichen Umkreisen eines Themas. Oft gestaltete, künstlerisch schon reizvoll umspielte Themen locken Rilke besonders: Abisag, David vor Saul, Pieta, Sankt Sebastian, Orpheus und Eurydike, Alkestis, Geburt der Venus, Eranna an Sappho usw. In diesen Lebensbildern sucht und schafft die Seele sich Heimat, der das Leben selber sich verschließt. Und sie bringt ihnen all ihre menschliche und künstlerische Feinfühligkeit und Bewußtheit als Gastgeschenk. Frühzeitig hat Rilke sich seinen Sprachstil geschaffen von solcher Eigenheit, daß er die Grenze der Manier streift. Unscheinbare Worte weiß er neu zu beseelen, verbrauchte Bilder auf ihren Ursinn zurückzuführen, Gleichnisse preziös auszubauen. Durch Assonanz, Binnenreim und Häufung des Endreims weiß er der Sprache eine slawische Weichheit und Klangfülle zu geben. Im letzten Gedichtbuch, der "Neuen Gedichte zweiter Teil", gewinnt jedoch das Artistische bedenklich Raum.

      Die Neigung zur Mystik ist Gefahr und Flucht für eine Zeit, die die Form der Persönlichkeit wiedergewinnen, nicht aufgeben soll. Nicht ichflüchtig, sondern im tiefsten ichsüchtig mußte der Lyriker werden, der zur Form der neuen Lyrik: zur Form des neuen Menschen vordringen wollte. Und wenn niemand durch die Zeit hindurch zu ihr drang, wenn selbst Richard Dehmel, dem stärksten Bildner, deren zersetzte Elemente bröckelnd in den Händen blieben, so konnte nur der die reine Form der Persönlichkeit, des neuen Menschen bilden, der es von Anfang an außer der Zeit und gegen de Zeit unternahm. So ist die Persönlichkeit und Dichtung Stefan Georges (geb. 1866) Form geworden.

      Der Wille zur Form war das Wesengesetz Georges von früh auf. Er selbst weist darauf hin, daß ihm die Formkräfte des römischen Imperiums, des Katholizismus, der rheinischen Landschaft im Blute mitgegeben seien. Zuerst wurde dieser Formwille ästhetisch seiner bewußt. Die "Blätter für die Kunst" die er 1892 gegründet, förderten — beeinflußt von den Präraffaeliten und von französischen Lyrikern, wie Baudelaire, Verlaine, Mallarmé, Villiers — eine "Kunst für die Kunst", sahen "in jedem Ereignis, jedem Zeitalter nur ein Mittel künstlerischer Erregung". Aber hinter diesem Willen zur ästhetischen Form rang und schuf bei George — nicht bei seinen Mitläufern — der Wille zu Lebens- und Wesensformen. Und weil er diese in der eigenen Zeit nicht fand, weil aus deren zersetzten Elementen auch keine reinen Formen zu bilden waren, floh seine Seele "vorübergehend in andere Zeiten und Örtlichkeiten", um dort die Urformen des Menschentums in ihrer Reinheit wieder zu suchen und bildhaft zu erneuern. In Algabal, dem römischen Priesterkaiser, fand er sein antikes Gegenbild: den Jüngling, den es verlangte, unabhängig von einer zergehenden Um- und Außenwelt ein Leben und Reich reiner Schönheit, reiner Formen zu schaffen:

      Schöpfung, wo nur er geweckt und verwaltet,

      Wo außer dem seinen keine Wille schaltet,

      Und so er dem

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