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Start in eine Solo-Wettfahrt auslösen kann, welch enormen Stressfaktoren der Skipper ausgesetzt ist, warum auch einer wie er bisweilen mit Seekrankheit zu kämpfen hat. Eine Biografie, die bei aller vermeintlichen Linearität durchscheinen lässt, wie erratisch sich manche Stationen im Leben von Boris Herrmann aneinander reihten.

      Im Rückblick wirkt alles logisch, fast wie nach einem Masterplan: Junger Fahrten- und Jollensegler liest in der Yacht vom MiniTransat-Race auf nur 6,50 Meter kurzen Hochseerennern, verbeißt sich in die Idee, findet Sponsoren, schafft es nach dem Abi irgendwie an die Startlinie, kommt auch sehr passabel über den Atlantik. Segelt danach wieder Jolle, während er für sein Betriebswirtschaftsstudium paukt. Hat schon Pläne. Steigt nach dem Examen auf in die Class40. Findet Anschluss an die Weltspitze, vor allem aber den Einstieg in die von Franzosen dominierte Hochseeszene. Springt in die Imoca-Klasse, überzeugt auch im Barcelona World Race. Holt mit Giovanni Soldini Rekorde auf Maserati, einem modifizierten VOR70. Wird Crewmitglied auf Idec Sport, einem der schnellsten Maxi-Trimarane. Und nun, der Höhepunkt, eine Vendée-Kampagne auf Malizia2 – Yacht Club de Monaco, einem der modernsten und besten Imocas, die je gebaut wurden.

      Es sieht aus wie ein einziger Lauf. Und in vieler Hinsicht ist es das. Doch es gab dazwischen auch Brüche, lose Enden, ungeahnte Weggabelungen. Sie sind typisch für einen Extremsport, der ebenso sehr von Sponsoring wie von Mäzenatentum getragen wird, der nicht bloß ein Business Case ist, ein ziemlich guter sogar, sondern auch Herzblut und Leidenschaft von seinen Förderern erfordert. Hochleistungssegeln ist ein Sport, zwischen dessen Erfolgen mitunter prekäre Durststrecken warten.

      WARTEZEIT

      Recht eigentlich hätte dieses Buch längst erscheinen sollen. Boris Herrmann wollte es schon 2011 schreiben, nach dem Erfolg beim Barcelona World Race, das er auf einem alten Boot als Fünfter beendete, seinem »Praktikum für die Vendée Globe«, wie er selbst einmal sagte. Damals peilte er den Mount Everest der Solosegler für 2012 an. Doch daraus wurde erst einmal nichts. Nicht 2012, auch nicht 2016.

      Und vielleicht hat er es als Erster geahnt. Als er mit Neutrogena auf halber Strecke um die Erde ist, in Gedanken schon fast zurück in Barcelona, schreibt er in einer E-Mail von Bord: »Jetzt noch an Kap Hoorn links abbiegen, und dann über den Atlantik nach Hause. Der Abstieg vom Gipfel. Doch das wird auch eine emotionale Serpentinenfahrt. Was kommt danach, wenn ich mit meiner Tasche am Steg stehe?«

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      A race we must win! Der Schutz der Meere ist ein zusätzliches Ziel für mich.

      Es kommt, erst einmal, die große Leere.

      Wochen der Ermattung nach dem unvorstellbaren Kraftakt. Monate der Suche – nach dem nächsten Sponsor, dem nächsten Projekt, ein bisschen auch nach sich selbst. Er hat die Latte stets extrem hoch gelegt. Hat einmal, fast kategorisch, abgelehnt, als Profi von Boot zu Boot zu springen, sich als Segelsöldner zu verdingen, wenn mal kein großes Projekt ansteht.

      Damals, auf einem Hochplateau, aber noch nicht auf dem Gipfel, hätte Boris Herrmanns Aufstieg zu Ende sein können. Er, dessen jungenhaftes Äußeres und stets kultiviertes Auftreten als Zeichen von Verletzlichkeit und mangelndem Biss missdeutet wurde, wäre um ein Haar an seinen eigenen, unwirklich hohen Ansprüchen gescheitert.

      INNERER RÜCKZUG

      Aber dann siegten, wieder einmal, seine Sturheit, seine Willensstärke, vor allem aber seine unbedingte Liebe zum Meer. Diese Liebe ist bis heute die wohl stärkste Triebfeder, die ihn motiviert. Sie lässt ihn durchhalten, wenn es hart kommt, weist ihm Varianten, wenn der direkte Kurs unmöglich ist.

      Wer lange mit ihm segelt, ahnt sie eher, als sie greifen zu können. Einmal, auf einer Überführung mitten auf dem Atlantik, kauert er achtern in Lee auf dem Deck, schaut der Spinnaker-Schot nach ins riesige Segel und weiter gen Horizont. Ein Ruhepol inmitten von Wind und fliegender Welle. Wortlos sitzt er so in der Hocke, minutenlang, das Gesicht glühend von der tief stehenden Sonne. Man würde gern wissen, was er denkt, was in dem Moment in ihm vorgeht. Doch er ist so versunken, so in sich gekehrt, dass es einem unbotmäßig erschiene, ihn jetzt mit einer Frage herauszureißen aus seinem inneren Monolog.

      »Ich mag es, mich manchmal in mich zurückzuziehen, inspiriert vor mich hin zu träumen, während ich steuere oder trimme«, sagt er. Es ist wie eine Art Kurzurlaub für seine Seele und das von Sinneseindrücken überflutete Gehirn, während das Boot unaufhaltsam durch die See prescht.

      TAUSENDSASSA

      Die Herausforderung zu überschätzen, die der Einhandsegler auf einem Imoca60 zu bewältigen hat, erscheint nahezu unmöglich. Er muss in Personalunion Skipper, Bootsmann, Trimmer, Navigator, Smutje und PR-Manager sein, und das 24 Stunden am Tag für 70 bis 80 Tage am Stück. Das erfordert Intelligenz, Intuition, Akribie, Multitaskingfähigkeit, Fitness und eine fast übermenschliche Resilienz gegenüber Rückschlägen.

      Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass Boris Herrmann die Vendée Globe erst im dritten Anlauf tatsächlich in Angriff nimmt: 2020. Denn solche Eigenschaften müssen sich entwickeln; kaum einer verfügt über so viel Erfahrung und Reife in jüngeren Jahren. Er wäre früher nicht annähernd so gut, so komplett gewesen wie gerade jetzt.

      Der Wahl-Hamburger, der jetzt für das Fürstentum Monaco startet, bringt noch mehr mit. Er kann nicht nur segeln, er kann seine extremen Erlebnisse auch anderen nahebringen: dreisprachig, mit dem ihm eigenen Stil und einem unter Profis raren Talent für die Erzählkunst, das sich nicht in Tweets und Posts erschöpft.

      Über die Jagd nach Rekorden schrieb er in der Yacht vor wenigen Jahren: »Moderne Offshore-Rennboote segeln derart schnell, dass wir den optimalen Kurs durch die Seen weit vorher erahnen müssen. Das Gehirn antizipiert die Verformung der Wellen, Kämme und Täler, projiziert eine imaginäre Piste, bevor sie sich für ein paar Sekunden genau dort vor uns auftut, wo wir hinsteuern.«

      Es liest sich wie eine Metapher auf sein Leben als Navigator und Solo-Skipper, der es vom kleinen, binnenländischen Zwischenahner Meer in den Olymp des Hochseesegelns geschafft hat, vom Opti zum Open60. Da führte eigentlich kein Weg hin. Boris Herrmann hat trotzdem einen gefunden.

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      Nach all den Jahren am Ziel – die Freude ist unbeschreiblich.

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      Nach jahrelangem Hinarbeiten auf die Teilnahme bei der Vendée spielen die Stunden Startverzögerung wegen Nebels keine Rolle mehr.

      VON

      JOCHEN RIEKER

      »ES GIBT ZWEI SCHRECKLICHE ERFAHRUNGEN FÜR EINEN MENSCHEN: SEINEN TRAUM NICHT ZU ERFÜLLEN, UND IHN ERFÜLLT ZU HABEN«

      BERNARD MOITESSIER,

      LA LONGUE ROUTE

      Es ist noch ganz still an diesem Samstagmorgen in dem charmanten Landsitz in Longeville-sur-Mer, eine halbe Autostunde südöstlich von Les Sables d’Olonne. In der weltentrückten, leicht angestaubten AirBnB-Bleibe mit den Ikea-Gästebetten hat das Team Malizia für eine Woche sein Hauptquartier bezogen – weit weg vom Trubel des Race Village.

      Der frische Nordwestwind, der gegen Nachmittag in der Biskaya Sturmstärke erreichen wird, drückt durch die alten Türen und Fenster und heult leise im Kaminzug. In der Nacht hat die Heizung den Dienst quittiert; jetzt in der Früh ist das Haus, in dem bis vor ein paar Stunden noch Korken, Stimmen und Gelächter ausgelassen durch die Räume flogen, merklich ausgekühlt.

      Es fühlt sich ein bisschen an wie Katerstimmung, als Boris Herrmann um halb Acht in Jogginghose und Fleecejacke die knarzende Treppe ins Erdgeschoss herunterkommt: seine Gesichtszüge noch leicht verknittert vom Schlaf und

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