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geworden?«

      »Mit den neuen Tabletten hat es nachgelassen. Sag einmal, Doktor, steht die Frau vom Neumann net in der Hoffnung? Das ist doch das Madel vom Zinzer-Hof droben, wart einmal… In die Stadt ist sie gezogen, wollte was Besseres sein. Und wo ist sie jetzt wieder gelandet? Ja, mei, im alten Häusel vom Untersbacher. Kein Mensch hat es noch wollen und…«

      »So, Milli, da ist dein Rezept, das war alles für heut.« Max Brinkmeier schaute die Alte, die sich überrumpelt fühlte, fragend an. »Oder hast sonst noch Beschwerden?«

      »Na, nix.« Sie verließ beleidigt das Sprechzimmer. Der Doktor hatte einfach keinen Sinn fürs Zwischenmenschliche. Bevor Milli die Praxis verließ, warf sie noch einen neugierigen Blick auf Sabine Neumann, die nach ihr das Sprechzimmer betrat…

      Max Brinkmeier begrüßte die junge Frau freundlich und wollte wissen, wie sie sich fühle. »Beschwerden?«

      »Keine. Ich fühle mich rundum wohl«, versicherte die junge Lehrersfrau.

      »Schön, wir machen heut die dritte Vorsorgeuntersuchung.« Er warf einen Blick in ihre Patientenkarte. »Aber etwas wüsste ich doch noch ganz gern; wie schaut es mit dem Seelenleben aus?« Der junge Landarzt wusste, dass Sabine Neumann schon öfter mit Depressionen zu kämpfen gehabt hatte. Als junges Mädchen war sie in psychologischer Behandlung gewesen. Nach der Heirat mit Christian hatte sich ihr Zustand stabilisiert. Doch die Schwangerschaft schien wieder ein wenig Unordnung in das Seelenleben der sensiblen Frau gebracht zu haben.

      »Ganz gut. Ab und an bin ich ein bissel ängstlich und traurig. Dann hab’ ich das deutliche Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Ich weiß, es ist ein Schmarrn. Und ich versuche dann auch allerweil, mich zusammenzureißen. Aber das gelingt mir doch net immer.«

      »Das sollen Sie auch gar nicht erst versuchen. Was hatten wir denn abgemacht, wissen Sie es noch?«

      »Ich kann meinen Mann net immer damit belästigen. Und ich will das auch nicht. Der Christian freut sich aufs Baby, für ihn ist alles in bester Ordnung. Und im Grunde genommen ist es das ja auch. Ich habe keinen vernünftigen Grund, mich zu beschweren.«

      »Sabine, Sie setzen sich schon wieder selbst ins Unrecht und unter Druck. Das ist falsch. Ihre Empfindungen sind ebenso richtig oder wichtig wie die Ihres Mannes. Und Sie wissen doch, dass es nix bringt, seine Gefühle zu unterdrücken. Sie werden nur stärker, und dann kriegen wir ein echtes Problem.«

      »Sie meinen, ich muss wieder in Behandlung? Das will ich net.«

      Dr. Brinkmeier schaute seine Patientin ernst an. »Sie haben sich im Leben manche Chance verbaut, weil Sie sich nichts zutrauen. Die Matura geschmissen, Lehrstellen abgebrochen. Sie haben mir das doch alles erzählt.«

      Sabine senkte den Blick, trotzig erwiderte sie: »Ich bin halt dumm, dafür kann ich nix.«

      »Das stimmt so nicht. Sie können schon etwas dafür, weil Sie nämlich net dumm sind, im Gegenteil. Sie müssen nur endlich

      lernen, zu Ihren Schwächen und Ängsten zu stehen. Reden Sie über alles mit Ihrem Mann, das wird Ihnen beiden helfen.«

      »Ich hab’ es schon getan, und der Chris war auch net sauer auf mich. Aber richtig beruhigt hat mich das Gespräch net. Die Angst, dass was schiefgeht mit unserer Ehe, unserem Leben, die werde ich einfach net los. Auch wenn ich mich noch so sehr darum bemühe, ich kann es nicht schaffen.« Sie warf dem Landarzt einen verschämten Blick zu. »Das ist es, was ich falsch mache, net wahr? Ich setzte mich wieder selbst unter Druck. Wenn ich das nur lassen könnte! Aber es kommt automatisch. Wissen Sie, Herr Doktor, daheim auf dem Hof meiner Eltern, da hab’ ich auch nie was richtig gemacht. Mein Bruder, der war ihr Liebling, der hatte von Anfang an einen Stein im Brett. Ich konnte mich noch so sehr anstrengen, es hat nie gereicht. Deshalb bin ich auch von daheim weg, nachdem ich die Matura geschmissen hatt’. Ich wollte neu anfangen, es diesmal allein schaffen.«

      »Und das haben Sie, Sabine. Sie führen eine glückliche Ehe, werden bald Mutter. Es gibt keinen Grund, sich zu beklagen.« Max lächelte ihr freundlich zu. »Und auch keinen, sich zu ängstigen. Denken Sie daran, das Kind in Ihrem Bauch erlebt alles mit.«

      »Allein deshalb will ich meine Ängste endlich in den Griff kriegen. Mein Butzerl soll ein glücklicher Mensch werden, ganz frei und selbstbewusst. Wenn ich das schaffe, dann bin ich schon zufrieden.«

      Während Sabine sich im Doktorhaus aufhielt, nutzte Christian eine Freistunde, um Arbeiten zu korrigieren. Es hielt ihn dabei nicht im muffigen Lehrerzimmer. Er hatte sich auf dem Gelände des Internats unter einen großen Baum auf eine Bank gesetzt. Herrlich war es da im lichten Schatten, beim Gezwitscher der Vögel und der leisen, lauen Brise, die vom Untersberg her wehte.

      Der junge Lehrer war so in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie sich ihm jemand näherte. Erst als das Madel artig fragte: »Haben Sie einen Moment Zeit für mich, Herr Neumann?«, schaute er auf und in das lächelnde Gesicht von Peggy Andersen. Sofort setzte Christian eine strenge Miene auf, denn Peggy gehörte zu der Sorte Mädchen, auf die seine Frau am Wochenende offensichtlich angespielt hatte. Sie war sehr frühreif, benahm sich bereits wie eine erwachsene Frau, die es darauf anlegte, ihn zu verführen. Auch wenn der junge Lehrer an dem Mädchen kein Interesse hatte, war er doch sehr darauf bedacht, nichts falsch zu machen. Wie leicht konnte er in Verruf kommen, besonders hier auf dem Land…

      »Worum geht es?«, fragte er knapp.

      »Darf ich mich zu Ihnen setzen? Es dauert auch net lang.«

      »Hast du denn jetzt überhaupt frei? Ich wusste nicht, dass heute Unterricht ausfällt.«

      »Ach, ich… fühle mich nicht gut.« Sie hustete künstlich. »Ich bin eigentlich auf dem Weg zu meinem Zimmer, weil ich mich hinlegen wollte. Aber da habe ich Sie gesehen und da ist mir eingefallen, dass ich noch eine Frage wegen der Arbeit am Mittwoch habe. Darf ich?«

      »Von mir aus. Aber ich habe nicht viel Zeit. Und du solltest dich auch untersuchen lassen.«

      »Es wird schon wieder.« Sie schenkte ihm ein schmelzendes Lächeln. Unauffällig wanderten ihre Finger auf seine Hand. Er zog sie rasch zurück und bedachte die Schülerin mit einem unfreundlichen Blick. »Was soll der Unsinn, Peggy? Was willst du also wissen? Mach es bitte kurz.«

      Sie setzte einen Schmollmund auf, der sicher an die hundertmal vor dem Spiegel geübt worden war. »Ich möchte gern wissen, warum Sie so unfreundlich zu mir sind, Herr Neumann. Ich mag Sie wirklich sehr. Wissen Sie, ich fühle mich hier oft einsam. Und wenn ich an Sie denke, dann habe ich so ein warmes Gefühl. Fast wie bei meinem Vater!«

      Er atmete innerlich ein wenig auf, blieb aber auf der Hut. »Das ist schön, hat aber nichts mit der Arbeit zu tun. Also, was möchtest du zum Thema Indien wissen?«

      »Ich…, ach, mir wird auf einmal so schwindlig!«

      Ehe Christian Neumann reagieren konnte, war Peggy in seine Arme gesackt. Sie schmiegte sich an ihn und murmelte: »Halten Sie mich bitte ganz fest, dann wird es gleich wieder gehen.«

      Doch er dachte nicht daran, schob sie von sich und erhob sich. Hastig raffte er seine Papiere zusammen und forderte: »Komm mit, wir gehen zur Mutter Oberin, die kann den Schularzt verständigen. Und dann…«

      »Nicht nötig!« Peggy sprang auf, lächelte verschmitzt und war im nächsten Moment bereits verschwunden.

      Der junge Lehrer wusste nicht, was er davon halten sollte. »So ein Biest«, murmelte er ärgerlich und ahnte zugleich, dass das nicht der letzte Zwischenfall dieser Art bleiben würde. Da blühte ihm wohl noch einiges…

      *

      Anna Stadler verdrehte die Augen. »Mei, Alois, net schon wieder! Ich hab’ wirklich keine Lust, dir zum tausendsten Mal zu erklären, warum ich net mit dir ausgehen mag!«

      Alois Burgmüller, Großbauer, Viehhändler und ehrenamtlicher Ortsvorstand von Wildenberg, machte eine beschwichtigende

      Geste und versicherte der hübschen Apothekerin: »Ganz ohne Hintergedanken, ein einfaches Abendessen, ich verspreche es!«

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