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      »Ja, freilich. In einem Jahr geschieht allerlei. Und faul bist ganz bestimmt net gewesen. Die Wildenberger sind halt stolz auf ihren tüchtigen Doktor.«

      »So, so.« Max schüttelte leicht den Kopf, er schien noch immer nicht genau zu wissen, was er von alledem halten sollte. »Na, sei’s drum. Allerdings werde ich die ganze Schokolade net selbst essen. Die Kinder von Sankt Bartholomä freuen sich gewiss darüber.« Er hob die Schultern. »Ich sollte noch ein paar Hausbesuche machen und auch im Kinderheim vorbeischauen…«

      »Wennst schlau bist, lässt das heut ausfallen. Die Afra wird sonst bös’. Und schließlich warten alle nur auf dich, Doktor.«

      »Also schön, ich will niemanden enttäuschen. Kommst gleich mit, Christel? Du bist doch auch eingeladen, net wahr?«

      »Freilich, das lasse ich mir net entgehen.« Sie folgte Max und wollte eben die Tür zur Praxis schließen, als das Telefon sich meldete. Der junge Landarzt kehrte um, Christel lauschte kurz und konnte feststellen, dass es sich um keinen Notfall handelte. Aber ein wenig später würde Dr. Brinkmeier trotzdem zu seinem Geburtstagsfest kommen…

      *

      Dr. Julia Bruckner atmete auf, als sie Max Brinkmeiers Stimme hörte. Trotzdem zögerte sie kurz, sich zu melden. Schließlich hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, seit sie Wildenberg ohne Abschied verlassen hatte. Ob er ihr noch böse war? Sie hatte ein wenig Angst vor diesem Moment gehabt. Aber sie sehnte sich auch danach, wenigstens seine Stimme zu hören.

      »Max, hier ist Julia«, sagte sie schließlich leise. »Ich möchte dir zum Geburtstag gratulieren. Alles Liebe!«

      »Julia…« Obwohl er eigentlich damit gerechnet hatte, traf es ihn doch, ihre Stimme zu hören. Sie rief all die tiefe Sehnsucht in Max wach, die er sich in den vergangenen Wochen verboten hatte. Noch immer empfand er die Enttäuschung, das schwere Unglück, sie wieder verloren zu haben. Doch das innige Gefühl der wahren Liebe war stärker als alles andere. »Ich danke dir. Und ich bin froh, dass du dich endlich wieder bei mir meldest.«

      »Wirklich?« Er hörte die Erleichterung, meinte aber, dass auch Tränen in ihrer Stimme mitschwangen. »Oh, Max, ich vermisse dich so schrecklich! Ich weiß, ich habe kein Recht, das zu sagen, denn schließlich war es meine Entscheidung, Wildenberg wieder zu verlassen. Aber ich weine mich jede Nacht in den Schlaf. Immer muss ich darüber nachdenken, ob es nicht doch ein Fehler gewesen ist, fortzugehen. Ich bin schrecklich unglücklich.«

      Er schwieg kurz, musste sich dann erst räuspern, bevor er ihr versichern konnte: »Es war bestimmt ein Fehler, weil wir jetzt wieder getrennt sind. Aber es war für dich der einzige Weg.«

      »Das sagst du? Und ich dachte, du hasst mich. Dein Vater hat mir davon abgeraten, dich anzurufen. Und Anna Stadler…«

      »Ich weiß, sie hat es mir gesagt. Sie meinte es nicht böse, aber sie hat sich Sorgen um mich gemacht. Deine Abreise hat mir nämlich sehr zu schaffen gemacht.«

      »Ach, Max, ich hasse mich selbst dafür!«

      »Nicht, Julia, das bringt doch nichts. Wir wissen beide, dass die Station für dich an erster Stelle steht, das war schon immer so. Ich möchte dir keine Vorwürfe machen, denn ich verstehe dich. Es ist bitter für uns beide, aber momentan gibt es keine Lösung für unser Problem, das müssen wir akzeptieren.«

      »Ich hätte bei dir bleiben sollen. Man darf seine Entscheidungen wirklich nicht so leichtfertig ändern.«

      »Glaubst du, das hätte etwas gebracht? Du bist mit dem Herzen in Afrika geblieben. Wahrscheinlich hättest du mir irgendwann Vorwürfe gemacht, wenn auch nur unterbewusst. Und so etwas ist der Anfang vom Ende, das wissen wir doch beide.«

      »Vielleicht hast du recht. Aber ich hätte es darauf ankommen lassen. Wenn Tom nicht in Wildenberg aufgetaucht wäre, hätte ich nicht daran gedacht, wieder fortzugehen. Ich möchte, dass du etwas weißt: Ich habe unsere Heiratspläne wirklich ernst genommen. Es waren nicht nur Lippenbekenntnisse.«

      »Ich habe nie daran gezweifelt. Jedenfalls nicht an deinem guten Willen«, beteuerte er.

      »Was meinst du damit? Denkst du, ich wollte es nicht wirklich? Bitte, Max, wir sollten jetzt ganz ehrlich zueinander sein. Alles andere hätte keinen Sinn. Vielleicht wird es lange dauern, bis wir uns wiedersehen. Und ich möchte einfach nicht, dass sich falsche Töne einschleichen.«

      »Also gut, wenn du es hören willst, sage ich es dir: Wir wissen beide, dass du eine gewisse Scheu vor einer festen Bindung hast. Deine Mutter wurde geschieden, als du noch ein Kind warst. Du hast mir mal erzählt, dass sie die Scheidung nie verwunden hat und quasi an gebrochenem Herzen starb. Das ist etwas, das man nicht vergessen kann.«

      »Ja, das stimmt. Aber in unserer Beziehung ist alles anders. Wir lieben uns, ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Und ich habe keine Angst mehr, mich zu binden.«

      »Wirklich nicht? Ich erinnere mich an mehrere Anträge während der zehn Jahre in Afrika. Du hast mir jedesmal einen Korb gegeben. Vielleicht wolltest du es diesmal nicht so direkt…«

      »Max, ich bitte dich, wie kannst du mir so etwas unterstellen? Das ist unfair, ich bin der Entscheidung nicht ausgewichen.«

      Der junge Mann schwieg eine Weile nachdenklich, schließlich stellte er fest: »Dieses Gespräch läuft in eine Richtung, die ich nicht wollte. Es hat wenig Sinn, wenn wir uns jetzt gegenseitig Schuld zuweisen. Fakt ist nun mal, dass wir uns mit der räumlichen Trennung abfinden müssen, die Gründe sind ja hinlänglich bekannt. Ich weiß zwar nicht genau, wie wir es schaffen sollen, aber wir müssen lernen, damit zu leben.«

      »Ich glaube nicht, dass ich das kann. Nicht auf Dauer.« Julia seufzte bekümmert auf. »Die Arbeit in Holy Spirit hat nicht mehr die gleiche Qualität für mich wie früher. Ich empfinde noch eine gewisse Befriedigung, aber es ist alles anders geworden. Ich habe mir eingeredet, das läge an Grete Sörensen, die gegen mich intrigiert hat. Doch das stimmt nicht. Es liegt einzig und allein daran, dass du fort bist. Holy Spirit, das waren wir beide. Und das ist jetzt vorbei.«

      »Julia, sprich net so, das tut mir weh. Es klingt so endgültig. Und es macht das Opfer, das unsere Trennung für mich darstellt, irgendwie sinnlos.«

      »Ja, du hast recht. Ich wollte dir auch nix vorjammern, schon gar net an deinem Geburtstag. Ich bin sehr froh, dass wir wieder miteinander reden. Vielleicht schaffen wir es ja tatsächlich, irgendwie mit der Situation umzugehen.«

      Max lächelte flüchtig. »Das schaffen wir ganz bestimmt. Ich melde mich bald wieder bei dir. Jetzt muss ich rauf, meine Geburtstagsfeier findet sonst noch ohne mich statt.«

      »Grüß alle von mir. Bis bald…«

      Der junge Landarzt legte den Hörer auf und blickte noch eine Weile sinnend vor sich hin. Er hatte sich in gewisser Weise vor diesem Telefonat gefürchtet. Nachdem Julia einfach abgereist war, ihm nur ein paar Zeilen dagelassen hatte, war Max sozusagen in ein schwarzes Loch gefallen. Die neuerliche Trennung hatte ihm schwer zu schaffen gemacht. Und er war eine ganze Weile sehr wütend und enttäuscht gewesen.

      Nun aber hatte er seine Gefühle wieder im Griff und war erleichtert, auf einer vertrauten Ebene mit Julia in Kontakt zu kommen. Das war zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung…

      Im ersten Stock des Doktorhauses wohnte Josef, Max hatte die Wohnung darüber. Bei den Mahlzeiten gesellte er sich stets zu seinem Vater, um der Hauserin keine unnötige Arbeit zu machen. Und auch die Geburtstagstafel war in der guten Stube von Brinkmeier senior gedeckt. Als Max erschien, wurde er gleich mit guten Wünschen empfangen.

      »Alles Gute, Bruderherz, leben sollst«, meinte Lukas jovial. Der jüngere Brinkmeier führte den Erbhof der Familie in Wildenberg und sah Max überhaupt nicht ähnlich. Er war ein Abbild der früh verstorbenen Mutter mit dem dunklen Haar und den samtbraunen Augen. Leider hatte er aber nicht deren sanftes Wesen geerbt; im Gegenteil. Lukas war ein auffahrender und oft unbeherrschter Mensch. In jungen Jahren war er neidisch auf seinen klügeren Bruder gewesen, und dieses Gefühl der ewigen Unterlegenheit hatte sich erst in letzter Zeit relativiert.

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