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verpackt in eine Charakteristik der Pfälzer. Dieses Selbstporträt ist klug und voller Einsichten und demonstriert, was ihm manche absprechen wollen – Selbsterkenntnis. Es sei deshalb hier ausführlich wiedergegeben: »Die Pfalz beheimatet – soweit sich solche allgemeinen Feststellungen treffen lassen – einen fröhlichen und weltoffenen Menschenschlag, der viel Sinn für gesellschaftliches Zusammenleben und die Freuden der Zeit hat und dem dogmatischen Denken abgeneigt ist. Das rheinfränkische Erbe und die sich aus der Grenzlage ergebenden französischen Einflüsse mögen hierbei Zusammenwirken. Neben einem ausgeprägten Sinn für Toleranz besteht jedoch häufig ein allzu starkes und unangenehmes Selbstgefühl. In diesem »lautstarken« Auftreten hat auch der »Pfälzer Krischer« seinen Ursprung. Bei aller Aufgeschlossenheit und praktischen Intelligenz haben die Pfälzer keine ausgeprägte musische Veranlagung. Der Historiker Karl Hampe faßt seine Meinung über die Bewohner dieser Landschaft in dem Satz zusammen: »Der Pfälzer ist zu allen Zeiten, soweit wir seinen Charakter zurückverfolgen können, diesseitsfreudig und zugreifend, auf das Praktische gerichtet; die bedeutenden Männer, die die Pfalz hervorgebracht hat, sind zu allen Zeiten nahezu ausschließlich dem praktischen Leben zugewandt gewesene Auch Wilhelm Heinrich Riehl, der Verfasser des ersten volkskundlichen Buches über die Pfalz, beklagt das geringe Interesse des pfälzischen Volkes am geistigen Streben vor allem auf dem Gebiet der Kunst.«8 Nach dieser Selbsteinschätzung bleibt unerfindlich, weshalb die »offizielle« Biographie von Werner Maser den Bundeskanzler als Leser und Kenner von James Joyce, Charles Péguy, Georges Bernanos, Werner Bergengruen und Franz Kafka in Anspruch nimmt. Helmut Kohls an Heinrich Böll gerichtete Frage, warum er nicht wie Zuckmayer schreiben könne, dementiert diese Behauptung. Daß er sich vor einem Besuch bei Ernst Jünger über Léon Bloy ins Bild setzen läßt, weist ihn nur als höflichen Menschen aus.

      Die ersten Stufen der Karriereleiter nimmt Helmut Kohl schnell: 1946 Eintritt in die CDU in Ludwigshafen, 1947 Mitbegründer der Jungen Union daselbst, 1953 Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der CDU der Pfalz, 1954 bis 1961 stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union Rheinland-Pfalz, 1955 bis 1966 Mitglied des Landesvorstandes der CDU Rheinland-Pfalz, 1959 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Ludwigshafen. Am 19. 4. 1959 Einzug in den Mainzer Landtag, 1960 bis 1969 Vorsitzender der CDUStadtratfraktion in Ludwigshafen, am 25. 10. 1961 Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz.

      Helmut Kohl pflegt einen robusten Stil der politischen Auseinandersetzung. Die Prügelei mit einer sozialdemokratischen Klebekolonne im ersten Bundestagswahlkampf ist dabei eine eher komische Begebenheit am Rande. Anders die allein machtpolitisch zu verstehenden Auseinandersetzungen mit dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister Dr. Hans Klüber von Ludwigshafen. Hier bleiben tiefe Verletzungen zurück, allerdings wächst auch die Einsicht des jungen Politikers, daß Aggressivität von den Bürgern in der Wahlkabine nicht honoriert wird.

      Da Helmut Kohl von Anfang an zu politischem wie beruflichem Aufstieg in der CDU entschlossen war, spielt ein bürgerlicher Beruf in seinen Überlegungen kaum eine Rolle. Nachdem er sich sein Studium zum Teil als Steinschleifer bei BASF verdient hat, tritt er 1958 als Direktionsassistent in die Eisengießerei Mock ein, wechselt aber schon zum 1. 4. 1959 in den Landesverband Chemische Industrie Rheinland-Pfalz. Hier ist er als Referent für Wirtschafts- und Steuerpolitik tätig, doch vertauscht er die Rolle des Lobbyisten schon bald mit der des politischen Funktionärs. Die Partei ist praktisch von Anfang an Berufung, Beruf und Heimat. Helmut Kohl ist der erste klassische Berufspolitiker ohne Wurzeln in einem anderen gesellschaftlichen Milieu. Vieles, was ihm Erfolg gebracht hat, aber auch seine Begrenzungen haben hier ihren Urgrund. Niemand, der Helmut Kohls emotionale Bindung an seine Partei nicht zu teilen vermag, wird ihn jemals ganz verstehen – auch der Autor nicht.

      Vor dem weiteren Aufstieg Helmut Kohls lag jetzt eine Barriere aus den Anfangsjahren der zweiten deutschen Republik. Peter Altmeier, der erste Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, hatte sich um die Identitätsfindung des Landes große Verdienste erworben. Aber er war zugleich ein typischer Vertreter jener Generation, deren Mangel an Einsicht schließlich den Ausbruch von 1968 auslöste, ein Mann, der die Zeit nicht mehr verstand und dem deshalb die Macht entglitt, was sich auch in den Wahlergebnissen ausdrückte. Helmut Kohl schaffte sich zielgerichtet personelle Stützpunkte in Landesverband und Fraktion, drängte in beiden die katholisch-konservativen Altmeier-Freunde zurück, wurde 1963 Fraktionsvorsitzender, 1964 Vorsitzender des Bezirksverbandes Pfalz und 1966 Landesvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz. Als die CDU 1967 in den Landtagswahlen mit 46,7 Prozent ein achtbares Ergebnis erzielte, wurde Altmeier noch einmal Regierungschef, allerdings auf Zeit. Die Politik bestimmte bereits sein präsumtiver Nachfolger, der ihm mit Bernhard Vogel und Heiner Geißler auch zwei neue Minister verordnete. Als Altmeier 1969 die Staatskanzlei verließ, verabschiedete er sich öffentlich von allen, die ihn begleitet hatten, einschließlich seines Fahrers – allein Helmut Kohl blieb unbedankt.

      Die rheinland-pfälzischen Jahre Helmut Kohls waren gute Jahre für ihn wie für das Land. Eine zweite Landesuniversität, 13 000 neue Arbeitsplätze in der Eifel, die Abschaffung der Konfessionsschule, eine Verwaltungsreform und das erste Kindergartengesetz zeigen eine effiziente und erfolgreiche Regierung. Neue Namen wie Hanna-Renate Laurien, Wilhelm Gaddum, Franz Klein, Richard von Weizsäcker und Norbert Blüm tauchen in der Umgebung Helmut Kohls auf. Die Wähler honorieren diesen »Modernitätsschub« bei den Landtagswahlen mit einer absoluten Mehrheit 1971 und 53,9 Prozent im Jahre 1975. Angesichts solcher Erfolge ist es akademisch zu fragen, ob Helmut Kohl die Macht erstrebte, um ein Programm durchzusetzen, oder ob er sich ein Programm erfand, mit dem er die Macht behalten konnte. Zwar deutet manches auf das letztere – in einem moralischen Sinne problematisch wäre dies jedoch nur dann, wenn das Programm zum Machterhalt gesellschaftlich schädlich ausgefallen wäre. Doch das haben nicht einmal seine politischen Gegner behauptet. Helmut Kohls Ehrgeiz blieb nicht auf das Land der Rüben und Reben beschränkt. Als Landesvorsitzender war er kraft Amtes Mitglied des Bundesvorstandes, 1967 wurde er auch in dieses Gremium gewählt, 1969 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden bestellt.

      Dies geschah genau zu jener Zeit, da das erste christlich-demokratische Zeitalter in der Republik zu Ende ging und mit Kurt Georg Kiesinger der letzte große Staatsschauspieler der Gründergeneration die Bühne verließ. Doch da die Niederlage bei den Bundestagswahlen 1969 knapp ausgefallen war und die CDU deshalb die neue sozialliberale Koalition als etwas Unnatürliches, der Republik Wesensfremdes betrachtete, vermochte sie die Oppositionsrolle innerlich nicht anzunehmen. Die Macht, die Kiesinger in einem Moment der Unaufmerksamkeit entglitten war, sollte Rainer Barzel, der geschmeidige Fraktionsvorsitzende, in den Jahren der Großen Koalition zurückgewinnen. Die Ansprüche des Provinzpolitikers aus Mainz auf die Führung der Partei wurden deshalb zu Beginn eher belächelt denn als ernsthafte Bewerbung akzeptiert. Außerdem unterlief Helmut Kohl ein schwerer Fehler, der selbst seine Anhänger im linken Spektrum der CDU verunsicherte. Auf dem Mitbestimmungsparteitag der CDU in Düsseldorf 1971 stimmte er gegen eine von ihm mitformulierte, den Sozialausschüssen entgegenkommende Mitbestimmungsvorlage und verhalf so dem von Alfred Dregger vorgelegten Gegenentwurf des hessischen Landesverbandes zum Sieg. War es Rücksichtnahme auf die CSU, wie Kohl damals in das entsetzte Schweigen seiner Anhänger hinein verkündete, oder ein schlichter »Blackout», wie er später behauptet hat? Beides war keine Empfehlung für einen zukünftigen Bundesvorsitzenden, und so hatte Barzel leichtes Spiel. Doch Barzels Fundament war brüchig. Er war zu glatt, um den knorrigen Fundamentalisten der »Hallstein-Doktrin« Halt zu geben, und zu weich, um eine neue Politik zu formulieren. Als das konstruktive Mißtrauensvotum gegen Brandt mißlang, war Barzel schon ein geschlagener Mann. Die Bundestagswahlen von 1972, in denen die SPD 45,8 Prozent der Stimmen errang, bestätigten nur, was alle im Lande fühlten: Eine neue Zeit war angebrochen. Jetzt galt auch für die CDU der Satz Tancredis aus Lampedusas Leopard: »Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, dann ist es notwendig, daß alles sich ändert.« Am 12. 6. 1973 wurde Helmut Kohl auf dem 21. Bundesparteitag der CDU in Bonn mit 520 von 600 gültigen Stimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.

      Der Neuanfang war schwierig. Die Partei war das Gewand des jeweiligen Dogen, doch nun gab es keinen Dogen mehr, und zurück blieb ein Häufchen Samt. Der neue Generalsekretär Kurt Biedenkopf, wie auch sein Nachfolger Heiner Geißler, machten aus dem Kanzlerwahlverein eine Partei. Neue Themen, eine neue soziale Sensibilität und die Hinwendung zu Frauen und jungen

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