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James Handley hält dies noch für eine Untertreibung. Die wahre Zahl läge um 30 Prozent höher.

      1893 ist bereits ein Fünftel der Glasgower Bevölkerung katholisch, in ganz Schottland sind es etwas über sieben Prozent. Und beim Zensus von 2011 erklären sich knapp 16 Prozent zur katholischen Kirche und 32 Prozent zur Church of Scotland gehörig. Hingegen leben in Glasgow mehr Katholiken als Church-of-Scotland-Anhänger. Das Verhältnis beträgt hier 27 zu 23 Prozent. Addiert ist dies allerdings nur noch die Hälfte derjenigen, die überhaupt Angaben zu ihrer Religion machen.

       Protestantische Iren in Glasgow

      Nicht nur Katholiken kommen von Irland nach Glasgow, sondern auch Protestanten, die etwa ein Viertel der Neubürger stellen. Anders als ihre katholischen Landsleute erfahren sie nicht das Schicksal von unwillkommenen Fremden. Vielmehr verbünden sie sich mit der einheimischen protestantischen Bevölkerung gegen die katholischen Einwanderer und bilden nun häufig die Speerspitze der sektiererischen und rassistischen Kampagnen gegen katholische bzw. irische Neubürger. Das Gros der protestantischen Einwanderer verdingt sich in der Glasgower Industrie (namentlich auf den Werften) und etabliert sich schnell. Man bleibt „Ulsterman“ und ist in religiösen und anderen Gesellschaften organisiert wie dem militant anti-katholischen Oranier-Orden, dessen Wiege 1795 in Loughall in der Ulster-Grafschaft Armagh stand. Die eingewanderten Ulster-Protestanten kommen vor allem aus den Hochburgen des Oranier-Ordens in Ulster und stärken den Orangismus in Glasgow. 1870 wird in Irvine an der Ayrshire-Küste die erste Versammlungshalle des Oranier-Ordens auf schottischem Boden eingeweiht.

      In den 1870ern erlebt der anti-katholische Bund in Glasgow einen Boom. Messbar ist dies u. a. an den alljährlichen „The Twelfth“-Paraden. Am 12. Juli feiert der Oranier-Orden den Sieg des protestantischen Wilhelm III von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, über seinen katholischen Widersacher James II 1690 in der Schlacht am Boyne, einem Fluss in Irland. Wilhelms Sieg zementierte damals die protestantische Präsenz und Vorherrschaft in Ulster. Nicht wenige irische Katholiken empfinden diesen Gedenktag eher als Provokation. 1868 waren in Glasgow nur 600 Menschen zur „The Twelfth“-Parade gekommen, nun sind es regelmäßig um die 10.000. Drei Viertel der Logen-Master im schottischen Oranier-Orden stammen aus Irland.

      Noch heute ist der Westen Schottlands der Teil der britischen Insel, der der irischen Provinz Ulster konfessionell und „ethnisch“ am ähnlichsten ist. Bedeutete die schottisch-protestantische Einwanderung nach Ulster im 17. Jahrhundert eine westliche Ausdehnung Schottlands, so bildet im 19. Jahrhundert die irisch-katholische und irischprotestantische Emigration nach Schottland eine östliche „Verlängerung“ Ulsters. Und beide Einwanderergruppen haben im Reisegepäck den Konflikt in ihrer Heimat.

      Die protestantischen Einwanderer in Glasgow finden sich schon deshalb besser zurecht, weil sie die Nachfahren jener Schotten sind, die sich im 17. Jahrhundert im Zuge der Plantation in Ulster niederließen. Zwischen den westschottischen Protestanten und ihren Glaubensbrüdern in Ulster existieren über viele Generationen hinweg familiäre Beziehungen. Außerdem ist ihr Glauben mit dem der schottischen Mehrheitsgesellschaft kompatibel.

      Im Vergleich zu Liverpool, wo es bereits sehr frühzeitig zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die katholischen Iren kommt, halten sich aber in Glasgow die Feindseligkeiten zunächst in Grenzen. Dies liegt zum einen daran, dass die Zahl der irisch-katholischen Einwanderer in Liverpool noch größer ist als in Glasgow und ihre Anwesenheit somit spürbarer. Zum anderen befindet sich die schottische Industrie zum Zeitpunkt der Einwanderungswellen auf dem Höhepunkt ihrer Expansion und ist deshalb in der Lage, ein größeres Potenzial an billigen und ungelernten Arbeitskräften zu integrieren.

      Trotzdem werden auch in Schottland die Neuankömmlinge als politische, soziale und kulturelle Herausforderung betrachtet, die – aufgrund ihrer Militanz und radikalen Ideen – das einträgliche Bündnis mit England gefährden. Und während in Liverpool das Sektierertum mit der Zeit weitgehend verschwindet, hält es sich in Glasgow hartnäckig. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

      ImageDie Vorherrschaft der Presbyterianer im protestantischen Lager, die gegenüber dem Katholizismus unversöhnlicher sind als die Anglikaner. Die anglikanische Church of England lehnt zwar die Hierarchie der katholischen Kirche sowie die Position des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden ab, behält aber Elemente des katholischen Gottesdienstes bei. Die Church of Scotland repräsentiert mit ihrer presbyterianischen Organisation und ihrem calvinistischen Glauben einen kulturell schärferen Bruch mit dem Katholizismus als die Church of England.

      ImageDie geografische Nähe Glasgows zur irischen Provinz Ulster und der von dort betriebene Konfliktexport.

      ImageDie enge Verbindung zwischen den Werften in Belfast und Glasgow. Die Belfaster Werften, auf denen vornehmlich Protestanten arbeiten, sind das industrielle Rückgrat des militanten Loyalismus und anti-katholischen Sektierertums. Zunächst gehen Glaswegians nach Belfast, um dort den Schiffbau zu erlernen. Später übernimmt das Belfaster Unternehmen Harland & Wolff Werften am Clyde, bringt seine anti-katholische Einstellungspraxis und protestantische/loyalistische Facharbeiter mit, die nun weiteres Öl ins sektiererische Feuer schütten.

      ImageEin Freimaurertum, das in Glasgow und Schottland stärker in der Arbeiterschaft verankert und anti-katholischer orientiert ist als anderswo auf der britischen Insel.

      Die anhaltenden Anfeindungen durch das protestantische Sektierertum und der Wunsch, sich eigene kulturelle und soziale Institutionen zu schaffen, lassen im irisch-katholischen Milieu Glasgows schließlich auch das Projekt eines eigenen Fußballklubs entstehen. Der Anstoß dazu wird aus Edinburgh kommen, wo man der Entwicklung in Glasgow ein paar Jahre voraus ist.

       KAPITEL 2

       Der Fußballklub Celtic wird im November 1887 gegründet. Initiator ist der aus Irland stammende Mönch Walfrid, der mithilfe eines Klubs Geld für seinen „The Poor Children’s Dinner Table“ einspielen möchte. Celtic kann von anderen Klubs gute Spieler holen und steigt binnen kurzer Zeit zum fußballerischen Repräsentanten der irischstämmigen, katholischen Community in Schottland auf.

      Celtic ist einige Jahre jünger als seine langjährigen Lokalrivalen Rangers, Queen’s Park und Partick Thistle. Bereits 1867 wird der Queen’s Park Football Club in Glasgow gegründet; er ist heute der älteste noch existierende Fußballklub in Schottland. Der Klub gilt als Erfinder des „passing game“ (Flachpassspiel), das später auch auf dem Kontinent Verbreitung findet. Seine Heimstätte ist das Nationalstadion Hampden Park, das seinen Namen John Hampden (1594–1643), einem Führer der englischen bürgerlichen Revolution, verdankt.

      Queen’s Park ist ein nobler Klub und feiert auch noch heute das Amateurideal mit dem Motto: „Ludere Causa Ludendi“ – „to play for the sake of playing“. Im Laufe der 1990er Jahre wurden die harschen Amateurbestimmungen allerdings gelockert. Seither dürfen auch Ex-Profis und von Profiklubs ausgeliehene Spieler für Queen’s Park spielen. Aktuell spielt der Klub in Schottlands dritter Liga. Bei seinen Heimspielen verlieren sich meist nur noch 800 Zuschauer im riesigen Hampden Park. Die Arena bietet heute 52.000 Plätze und war vor dem Bau des Maracanã in Rio de Janeiro (1950) mit einem Fassungsvermögen von 150.000 Zuschauern das größte Stadion der Welt.

      Als sich Schottland und England am 30. November 1872 im West of Scotland Cricket Ground von Partick (seit 1912 ein Glasgower Stadtteil) zum weltweit ersten offiziellen Fußball-Länderspiel überhaupt

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