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sich gleich hinter mich!“

      Und Anna Kuhnert, Lieschens zweitbeste Freundin, hatte das für eine Aufforderung gehalten, Selma Wagenschütz zu übertrumpfen. Sie hatte das festgeklebte Blatt vom Deckel losgerissen und in lakonischer Kürze außer ihrem Namen nur „Ich“ dahintergeschrieben.

      Seitdem war es mit dem Aussehen des Albums bergabgegangen. Minna Wagner, Lieschens drittbeste Freundin, die berühmt war, daß sie den Stammbüchern stets künstlerischen Schmuck verlieh, hatte eine große Enttäuschung bereitet. Nach der Rückgabe stellte sich heraus, daß sie nur ein „Abziehbild“ hineingezaubert, das ihr nicht einmal recht gelungen war.

      Eigentlich hätte nun das Stammalbum, auf Anraten Großvaters, aus dem Verkehr gezogen werden sollen, aber da war gerade damals ein adliges Mädchen, Frieda von Bergholz, in die Klasse aufgenommen worden, deren Beitrag dem Album gewiß zur Zierde gereicht hätte. Da die Adlige auf Ehrenwort versprach, mit dem Album recht sorgfältig umzugehen, hatte sie es bekommen. Als sie es zurückgab, erschien es merkwürdig dünn, und Frieda von Bergholz gestand dann auch, daß sie sich beim Einschreiben die Mitte des Albums ausgesucht und jedesmal ein Blatt ausgerissen hatte, wenn ihr etwas mißglückt war. Zuerst hatte sie sich verschrieben, dann, als sie radieren wollte, war ein Loch entstanden und nachher die Schrift wieder schief geworden. Schließlich hatte sie kein Blatt mehr ’rausreißen können, weil sonst eine Seite mitgegangen wäre, „auf der schon was stand“. Kurz, sie hatte Blut geschwitzt, ehe sie ihr armseliges Verslein: „Schiffe ruhig weiter …“ im Buche hatte. Dabei war ihr noch ein grober Fehler unterlaufen: „In hertzlicher Erinnerung“ hatte sie unterzeichnet.

      Lieschen Lemke seufzte tief auf und blätterte nachdenklich weiter. Auf einer der nächsten Seiten, gerade hinter dem Beitrag von Carla Petersen, fand sich mit ausnehmend kräftigen Zügen eingetragen ein lateinischer Spruch:

      „Non sentiunt viri fortes in acie vulnera!“

      Es sah aus, als ob ein junger Titan sich dort verewigt hätte — aber dieses Sprüchlein stammte nur von Edwin.

      Lieschen blickte zu dem Bruder hinüber und seufzte wieder — diesmal noch vernehmlicher.

      Edwin drehte sich wütend um: „Hör uff mit det Jepiepe, ick kann nischt arbeeten, wenn du immerfort so stöhnst!“

      „Ich wollte dich bloß was fragen — was das hier auf deutsch heißt —“ sagte Lieschen.

      Edwin sah sie verachtungsvoll an — dann entschloß er sich doch zur Antwort und übersetzte den Vers: „Tapfere Männer fühlen in der Schlacht ihre Wunden nicht!“

      „Weißte, was Selma Wagenschütz sagt? Weil du dich gleich hinter Carla Petersen eingeschrieben, bist du ihr Bräutigam!“

      „Selma Wagenschütz is een Kamel —“ sagte Edwin, aber er war blutrot geworden.

      „Und weißt du, was Anna Kuhnert sagt? Sie hat dich neulich mit Carla Petersen auf der Bülow-Promenade gesehen!“

      „Wenn ick die Kuhnert treffe, haue ick ihr eene runter—“ sagte Edwin.

      Lieschen steckte das Buch in die Tischschublade, ging gelassen nach der Tür und sagte — während sie aufblickte: „Und es ist doch wahr, ihr seid Braut und Bräutigam — wir alle haben euch ja gesehen!“

      Dann schlug sie rasch die Tür zu und raste davon, denn Edwin hatte Miene gemacht, ihr nachzulaufen.

      Der gute „Bongtong“

      Um fünf Uhr — genau mit dem Glockenschlag — kam Herr Anton Fiedler, der Hauslehrer, um Edwin Nachhilfeunterricht zu erteilen. Wenn er es sich auch nicht abgewöhnt hatte, sein Taschentuch nach Gebrauch jedesmal wieder in kleine Quadrate zu falten, so war — im Laufe der Jahre — doch eine wohltuende Veränderung mit dem jungen, schüchternen Manne vorgegangen.

      Statt des schwarzen Rockes mit dem etwas speckigen Kragen, trug er jetzt einen modernen Jackettanzug, und statt des linkischen, gedrückten Benehmens, zeigte er ein sicheres, energisches Auftreten.

      Minna, das Dienstmädchen, dessen Bewunderung für Herrn Fiedler den höchsten Grad erreicht hatte, brachte verlegen das Tablett mit dem Kaffeegeschirr herein und stolperte dann — sich mit den Füßen im Teppich verwickelnd — zur Tür hinaus. Trotzdem sie dem jungen Mann nun doch unermüdlich Beweise ihrer Zuneigung gegeben, schien er bis heutigen Tages keine Ahnung davon zu haben, in welche Gemütsverfassung er sie gebracht und wie sehr er sogar ihr Traumleben beeinflußte.

      Nun hatte er sich die Brille geputzt — mit einem rotseidenen Tüchelchen, das ihm Frau Lemke geschenkt, und dann begann der Unterricht. Man mußte es Herrn Fiedler lassen, er verstand es vorzüglich, selbst einen so harten und widerwilligen Kopf, wie ihn Edwin besaß, mit dem nötigen Weisheitsquantum vollzutrichtern.

      Gegen Ende der Stunde öffnete sich plötzlich die Tür wie immer — ehe Herr Fiedler fortging — erschien Frau Lemke, um sich nach den Fortschritten ihres Sohnes zu erkundigen. Während sie sonst einen blauen Schlafrock bei diesen Gelegenheiten trug, hatte sie heute — da sie es beinahe verschlafen — in der Eile nur eine großgeblümte Matinee — wie sie diese Flanellnachtjacke nannte — übergeworfen. Ihr Gesicht war etwas entstellt, weil die Backe angeschwollen war und sich das Stickmuster des Sofakisssens, ein Papagei, darauf abgedrückt hatte.

      „Wat ick leide, is unmenschlich“ — sagte sie — „Onkel Karrel, obschon ick ihn sonst nicht beistimmen kann, hat janz recht, wenn er sagt, det in die Zehne keene Nerven nicht sind dürften. Det mißte der liebe Jott so injericht’t haben, det man sich die Zehne, wie die Näjel von die Beene, mit ’ne Schere selba abschneiden könnte, wenn sie schlecht jeworden sind.“

      Herr Fiedler war ebenfalls der Ansicht, daß dies jedenfalls am praktischsten wäre.

      „Ick würde mir —“ sagte Frau Lemke, als sie ihr Spiegelbild erblickte — „in die Vafassung heite janich vor Ihn’n sehen lassen, aba et handelt sich um wat Beson’neres, wat ick mit Sie besprechen möchte. Edwin“, — wandte sie sich an ihren Sohn — „biste fertich, denn kannste jehen, wir brauchen dir momentan nich!“

      Etwas widerwillig packte Edwin seine Bücher zusammen und verschwand.

      „Et quält mir wat —“ sagte Frau Lemke, „und ick weeß nich, wie ick Sie det bejreiflich machen soll. Jleich in’n Anfang, als Sie bei uns kamen, hab’ ick schon mal mit Sie drieba jesprochen.“

      Herr Fiedler saß in respektvoller Haltung auf der Stuhlkante und machte kleine, zustimmende Verbeugungen, obwohl er sich nicht recht erinnern konnte, was Frau Lemke meinte.

      „Sie müssen mir mehr in die Mache nehmen“ — sagte Frau Lemke, — „so jeht det nich weita! Nu — wo ick mir den Zahn habe ziehen lassen und det Schmerzhafteste vorbei is, muß det an’nere ooch drankommen.“

      Sie sah Herrn Fiedler erwartungsvoll an. Da sie aus seiner Verbeugung aber merkte, daß er noch immer nicht verstand, worauf sie eigentlich hinauswollte, setzte sie hinzu: „Wir wollen diesmal während die Schulferjen ooch varreisen, und da jehört et sich, det man sich zu benehmijen vasteht — an die Tablettote — ibahaupt beit Essen und so!“

      „Aah, Frau Lemke meinen den äußeren Schliff“, sagte Herr Fiedler.

      „Janz recht, ick kam bloß nich jrade uff den Ausdruck. Et is so vielet — lauta Kleenigkeiten, aba die wollen ooch jelernt sind. Manche Leite jeben jrade dadruff det meiste!“

      „Wenn mir Frau Lemke das Vertrauen schenken wollen —“ sagte Herr Fiedler.

      „Ja, det will ick, aber wenn ick det wirklich lernen soll, denn muß ick mir nich vor Sie jenieren dürfen, sondern Ihnen alle meene Schwächen varaten.“

      „Man könnte ja einen regelrechten Kursus einrichten“, schlug Herr Fiedler vor.

      Frau Lemke schüttelte den Kopf. „Nee, det is nischt — Sie meenen so wie in die Schule, wo ick die Hände falten soll und zuhören — nee, wenn mir eena so wat vorträcht, werde ick imma jleich schläfrich. Ick muß det praktisch

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