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andern Stunde hätte es sie wohl namenlos erregt, Besitzerin von einem so lang und heiss ersehnten Grund und Boden zu werden, — dann hätte sie sich wohl, alles andere beiseitelassend, „in das Tintenfass gestürzt“, um Frau Dorothea eiligst ihr schriftliches grosses und kleines Ehrenwort an Eidesstatt zu geben, dass sie ihr generöses Geschenk unter allen Umständen und unwiderruflich annehme!

      Und jetzt?

      Sie schliesst die schwerwiegende Urkunde der Schwiegermutter in ihre Schreibmappe und wirft sich in einen Sessel zurück.

      Die Arme verschränkt sie hinter dem Kopf und blickt mit grossen, verträumten Augen in die tiefer und tiefer sinkenden Schatten des Waldes hinaus.

      Nach Unterkieferndorf?

      Nein, — seltsamerweise nein.

      Warum denkt sie eigentlich noch an den kühnen Bettler, der für seinen Hut um ein duftiges Almosen bat?

      „Waghälslein, Frechliebster, ich kenn’ dich!“ — lässt Scheffel die Frau Aventiure sagen.

      Nein, sie kennt ihn nicht.

      Das ist’s ja!

      Sie möchte so gern wissen, wie er heisst ... „Wie seine Art und woher der Fahrt.“

      Eigentlich war die Zumutung an Elsa von Brabant doch ein wenig stark, einen ritterlichen Verehrer, der sogar als Freier erschien, nicht nach seinen Legitimationspapieren fragen zu dürfen! Sonst hat sie, roh und lieblos, die arme, zu solch unerträglichem Schweigen verurteilte Königstochter kaum bedauert, heute fühlt sie plötzlich die wärmsten Sympathien für sie.

      Leidensgenossinnen!

      Blödsinn!

      Ist sie denn verrückt geworden?

      „Seine hohe Gestalt, sein edler Gang — seines Mundes Lächeln — seiner Augen Gewalt ...“ — tatsächlich, als wäre es auf ihren Jägersmann gedichtet!

      Ihren? — — Nun schlägt’s zwölfe! Bist du von Sinnen Frau Christel, an deinen Jägersmann zu denken?

      Vielleicht ist er längst verheiratet.

      So eine Gemeinheit.

      Wenn endlich mal einer kommt, der so hübsch ist, so ganz ihrem Geschmack entspricht, und dann verheiratet?

      Wenn man es näher betrachtet, hat er sie eigentlich nur verhohnepiepelt!

      So wie sie ihn zuerst!

      Wurst wieder Wurst!

      Anscheinend hatte er sie beobachtet, und in seinen Augen, da blitzte so etwas ... so ... wie soll sie es nur ausdrücken?

      Einen Telephonfunken kann man auch nicht sehen, und plötzlich klingelt er an.

      Na ja, — Telephondrähte hatte der Kerl in den Augen, — seltsam ... mit vorzüglichem Anschluss an die ihren!

      Stracks in die seinen hineinsehen musste sie.

      Blau, — blaue Augen.

      Aber nicht etwa so verwässert und nichtssagend wie Vergissmeinnicht in Milch gekocht, — nein, Augen, in denen ein Himmel liegt — und die trotz ihrer so viel tieferen Färbung ein sehr deutliches „vergiss ... mein ... nicht!“ sagen.

      Um alles nicht!

      Wie sollte sie ihn denn vergessen? Dazu war die Begegnung viel zu originell und ... eindrucksvoll!

      Auf sie! — Auch auf ihn?

      O Torheit, dein Name ist Weib! würde Shakespeare staunend den klugen Kopf schütteln.

      Wie kann sie sich so etwas einbilden!

      Was einem Weib das ganze Leben füllt, ist für den Mann oft nur eine Episode!

      Er wanderte als Tourist.

      Wo er wohl die Nacht bleiben wird?

      Vielleicht kommt er hierher zurück.

      Wenn er noch an sie denkt ... wenn er sich dafür interessiert, wer sie ist?

      Warum nicht.

      Und die kleine Witwe schliesst die Augen und sieht ein Bild im Traum — immer dasselbe, — einen flotten Jagdhut ... mit einem Strauss Kornblumen, ein blondes Schnurrbärtchen über heissen Lippen und ein paar Augen ...

      Sie wartet auf ihn. — Sie wartet ja schon so lange auf einen Siegfried, der im tiefen Waldesweben ein Weib sucht, als Retter durch wabernde Lohe zu ihr zu dringen, allen Drachen und Steinen im Weg zum Trotz.

      Eine Uhr schlägt.

      Sie richtet sich jäh auf, tritt vor den Spiegel, und schmückt sich, — für wen? Für ihn? „Wie sich ein bräutlich Weib für seinen Mann schmückt!“ zieht es heimlich durch ihren Sinn.

      Da errötet sie und erschrickt über sich selbst. Wie gut, dass Gedanken zollfrei sind.

      Wer würde in dieser Stunde die ruhige, gelassene Frau wiedererkennen, die allen andern Männern auf Erden so kühl blieb, — kühl bis ans Herz hinan.

      Ob er kommt?

      Sie fürchtet sich vor der Enttäuschung.

      Das Hotel an den Falkenklippen hat auf Vorherbestellung ein Zimmer für den Forstmeister Zarrentin bereitgehalten. Er hat auch seine Post nach dort bestellt. Ausser Zeitungen ist nur ein eingeschriebener Brief für ihn eingetroffen, der im Schreibtisch des Wirtes für ihn bereitliegt.

      Der erwartete Gast ist auch präzise eingetroffen.

      Er hat erst einen Imbiss genommen und hat alsdann nach dem Telephon gefragt. Der gefürchtete Regen ist ausgeblieben, eine himmlisch warme Sommernacht hält sowohl die Logiergäste wie Touristen und Bedienung im Freien, wo die Lichter unter den dunklen Tannen angesteckt werden und die Leute nach den nahen Waldwiesen pilgern, wo Millionen von Glühwürmchen schwirren.

      Jürgen Zarrentin meldet das Kurhaus in W. an.

      Es meldet sich bald.

      „Sie, Herr Oberkellner?“

      „Nicht hier, alle Bedienung ist auf der Veranda; ich bin das Zimmermädchen Hulda!“

      „Um so besser. Sagen Sie mal, mein Fräulein, wer wohnt in dem grossen Balkonzimmer, erste Etage, nach der Strasse hinaus?“

      „Verzeihen, einen Augenblick, ich will mal nachsehen! Ich bin nämlich erst seit gestern hier und weiss die Zahlen noch nicht im Kopf!“

      „Bitte!“

      Nach wenigen Augenblicken flötet Fräulein Hulda: „Sind Sie noch da, mein Herr?“

      „Jawohl! Zur Stelle. — Na, wer ist’s?“

      Die „Neue“ hat im Eifer vergessen, dass zwei Strassen neben dem Kurhaus zusammentreffen, und da sie für gewöhnlich den Seitenflügel mit Ausblick auf die Talstrasse hat, so richtete sie ihr Augenmerk einzig auf diese.

      „Es ist Nummer 36! Da wohnt ein Herr Fabrikdirektor Langermann nebst Gattin!“

      „Sooo!“ Das klingt sehr gedehnt. „Ist die Dame heute nachmittag ausgefahren?“

      Das weiss Hulda zwar nicht genau, aber sie ist wenig skrupellös und antwortet so auf gut Glück: „Ja, die ist mit ein paar andern ins Gebirge hinein! Der Herr musste für zwei Tage nach R., da soll er sich mit dem Sozius treffen!“

      „Danke schön, Fräulein!“

      „Soll ich vielleicht was bestellen?“

      „Nicht nötig. Ich habe mich geirrt.“

      Und recht nachdenklich, den Kopf so tief geneigt, wie dies sonst gar nicht bei dem lebhaften, urwüchsigen Mann der Fall ist, schreitet er nach seinem Zimmer.

      Ein Brief vom Onkel.

      Sicherlich wieder derselbe Spektakel wie immer.

      Er ist so gar nicht in der Stimmung, auch noch andern

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