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einer Frau! Er stand doch zwischen uns, er hatte dich errungen, er war doch dein Besitzer, hatte dich den ganzen Tag um sich.“

      „Aber lieber, guter Alfred — laß das doch jetzt. Komm! Nicht hier solche Reden.“

      Sie kämpfte mit dem Weinen, wie eine vom Gewissen bedrängte Frau, die sich im Augenblick nicht zu helfen weiß. „Mein Gott,“ fuhr sie leise fort, „alles kam so unerwartet, daß ich sofort an dich schrieb. Und nun dankst du mir so. Das ist nicht schön von dir. Ich kann doch meine Gefühle nicht wie ein Paar Handschuhe wechseln. Gott, wie bin ich verlassen.“

      Er lenkte ein. Auch seine Stimme sank zur Weichheit, als er plötzlich zärtliche Worte gebrauchte. „Aber meine Kleine, Süße, wie kann man nur gleich —. Du und verlassen! Hast du mich nicht? Das kostet Strafe.“

      Sie wehrte ihn ab. „Alfred, ich beschwöre dich. Laß das wenigstens heute. Habe doch ein Einsehen, denke an meine Trauer. Und wenn jemand käme. Komm, komm, ich kann die Luft hier nicht mehr ertragen.“

      Sie ächzte wie unter einer ungeheuren Bürde. Nochmals bat und beschwor sie ihn, dieses Zimmer zu verlassen. Sie könne ihm heute keinen Kuß geben, und wenn es zwischen ihnen aus wäre.

      „So schwöre mir jetzt an seiner Leiche, daß du ihn nie geliebt hast. Was sind deine Qualen gegen die, die ich jeden Tag gehabt habe?“

      „Quäle mich doch jetzt nicht! Du weißt, wem mein Herz gehört. Das habe ich dir hundertmal gesagt und mehr. Ich kann hier nicht mehr stehen, oder ich falle um. Laß mich doch erst alles überwunden haben.“

      Sie hauchte nur noch die Worte hervor.

      Seine Leidenschaft machte ihn unerbittlich. „Nein, schwöre mir jetzt, daß du ihn nie geliebt hast. Ich will es. Es gibt eine Genugtuung, die niemals wiederkommt.“

      Sie wollte etwas sagen, vielleicht seinen Wunsch erfüllen, als der Papagei im Nebenzimmer zu sprechen begann: „Frau Doktor, wo ist Ihr Mann?“

      Wie zwei Diebe schraken sie zusammen. Ich merkte es an ihrem Geräusch, an ihrem Schweigen. In meiner Einbildung sah ich sie wie zitternde Sünder dastehen, denen alle Farbe entschwunden ist. Aber das Weib beherrschte sich zuerst, während der Mann noch unter dem Eindruck der Angst litt.

      „Es war nur der Papagei“, stieß sie hervor. „Wie mir das Herz zittert. Das dumme Mädchen hätte Ihn auch zudecken können. Ich sagte es ihr noch.“

      „Ein ganz wohlerzogenes Tier, wie es scheint“, spöttelte er, jedoch nicht so mutig wie zuerst. „Aber nicht gerade liebenswürdig, dich jetzt daran zu erinnern. Oder sieht er vielleicht den Eindringling in mir? Dann darf er auf meine Freundschaft nicht hoffen.“

      Wieder bat sie: „Komm“, aber er kehrte sich nicht daran. „Noch ein paar Augenblicke, ich muß mich doch erst von dem Schreck erholen“, sagte er kurz. Aufs neue empfand ich die Duftwellen des Heliotrops, die er, ohne zu wollen, mir herüberfächelte.

      Sie sagte nichts mehr, schloß aber die Tür. Es war, als hätte die unerwartete Störung durch den Vogel beide gefaßter gemacht, auf ganz andere Gedanken gebracht. Die Herzensangelegenheit bewegte sie nicht mehr, denn sie sprachen nun von anderen Dingen. Die Stimmung war fort, der romantische Zug war gleichsam verflogen, und so waren sie vernünftige Menschen geworden, die den Schauer meiner Nähe nicht mehr empfanden.

      „Weißt du, wo ich ihn zuletzt mit dir sah?“ begann er zu plaudern. „Es war im Opemhause, bei Tristan und Isolde. Ihr saßet im Parkett, und ich saß zwei Reihen hinter euch. Ich sah immer nur deinen weißen Hals. Manchmal fühlte ich das Verlangen, dich durch die Vorderreihen anzupusten. In der Pause kamst du dann allein heraus.“

      „Ich mußte dir doch wenigstens einmal die Hand drücken, meine Gedanken waren ja nur bei dir.“

      „Daß es auch gerade Tristan sein mußte, mit seinen großen Liebesgefühlen“, sagte er wieder. „Dann gingt ihr in die Weinstube von Lutter und Wegener, und ich setzte mich in eure Nähe.“

      „Ich war empört über deine Keckheit. Du fixiertest mich fortwährend, so daß ich vor Angst kaum einen Bissen essen konnte.“

      „Schönes Kompliment für mich.“

      „Es ist wahr, wie leicht hätte er etwas merken können. So unvorsichtig warst du immer.“

      „Der gute Männe, der und merken! Er befand sich ja immer in der Autohypnose.“

      Noch einmal machte sie den Versuch, ihn von dieser Tonart abzubringen, aber es nahm sich nur wie schwacher Widerstand aus.

      „Wie habe ich mich immer vorgesehen“, sagte sie wieder. „Oft habe ich gezittert und mir gelobt, dich nie wiederzusehen. Wenn ich dann aber wieder die Briefe von der Post holte und deine Handschrift sah, — dann war’s vorbei mit allen guten Vorsätzen. Ich mußte dann wieder zu dir gehen, ob die Beine wollten oder nicht. Mein Herz war stärker. Und er war immer so ahnungslos. Sag’ mal — hast du mich nie verachtet?“

      „Rede doch nicht so etwas.“

      „Nein, sage mir die Wahrheit.“

      „Nie. Du bist wie ein Kind.“

      Sie lachte unmerklich. „Ich und ein Kind.“

      „Aber plage dich doch nicht jetzt damit. Es ist ja alles vorüber.“

      Sie seufzte: „Das sagst du so. Vorüber ist eigentlich nichts im Leben. Die Erinnerung kehrt immer zurück. Und sie ist verkörpert in meinem Jungen.“

      „Die Zeit wird alles verwischen, bei ihm und bei dir.“

      Sie schwiegen eine Weile, dann begann sie wieder: „Ich möchte wohl wissen, was er mir getan hätte, wenn er dahintergekommen wäre.“

      „Aber zerbrich dir doch jetzt nicht mehr den Kopf darüber. Freue dich lieber, daß er ahnungslos gestorben ist.“

      „Das ist es ja eben. Die Aussprache zwischen uns hat gefehlt. Wir hätten einmal zusammenprallen müssen. Vielleicht wäre dann alles besser gewesen. Er hätte mir gewiß verziehen, wenn ich ihm meine innersten Gefühle geschildert hätte.“

      Schwermut sprach wieder aus ihr; ihre Zuversicht war geschwunden.

      „Weshalb hast du ihn geheiratet!“ stieß er unwillig hervor.

      „Ja, das ist die große Frage. Weshalb heiraten wir Mädchen überhaupt? Wenn wir das selbst manchmal wüßten! Schließlich wollen wir nur versorgt sein und hoffen dabei immer auf das große Wunder.“

      „Aber nun ist es ja gekommen“, unterbrach er sie in derselben ungemütlichen Weise wie vorher.“ Was philosophierst du denn noch?“

      Sie seufzte aufs neue. „Wir malen uns die Wunder immer anders aus. Das ist gewöhnlich so im Leben; wenn sie dann da sind, gefallen sie uns nicht.“

      „Das soll doch nicht etwa auf mich gehen? Dann Adieu. Mein ausführliches Beileid noch schriftlich.“

      Er hatte es nicht ernst gemeint, denn er blieb, zugleich aber auch zurückgehalten durch Schmeichelworte von ihr, womit sie alles wieder gutmachen wollte.

      „Das sind ja nur alles Redensarten, Dummheiten, die mir so in den Kopf kommen. So schnell gewöhnt man sich nicht an ein neues Dasein. Sei mir nicht böse, Geliebter!“

      „Bald dein Verlobter.“ Er hatte übermäßig laut gesprochen.

      „Um Gottes willen, sprich leise.“

      „Wer sollte es denn hören? Die Toten schweigen.“

      „Die Küchenfenster sind auf, sie sind hier dicht nebenbei.“

      Er dämpfte seine Stimme, und sie tat dasselbe. Dann aber riß sie der Gegenstand der Unterhaltung wieder hin und sie sprachen laut wie zuvor.

      „Heute darfst du dich nicht lange aufhalten, es könnte auffallen,“ sagte sie wieder, „aber morgen vormittags kannst du dreist kommen. Du bist

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