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Verres in seinem Prozeß die Dinge gar nicht zu hören bekommen, die er ohne die Aussicht auf eine eventuelle Rechtfertigung beging. XI. Ich erwähne nur diese naheliegenden, offenbaren Momente; andere sind mehr versteckt, die hat er in aller Güte mit seinem Finanzrat ausgemacht, um dessen leidenschaftliche Angriffswut etwas zu mäßigen. (34) Du weißt, daß ich über das alles informiert bin; wollt ich mehr davon erzählen, so wäre bald allen klar, daß ihr euch unter einander nicht nur in euren Absichten vereinigtet, sondern, daß sogar die Beute bis jetzt noch ungeteilt ist. Wenn du also die Erlaubnis zur Anzeige eurer gemeinsamen Leistungen, unter Zusicherung der Straflosigkeit für dich, bei den Behörden einholen willst, so hab ich nichts dagegen, vorausgesetzt, daß das Gesetz es erlaubt; sobald sich's aber um eine gerichtliche Klage handelt, mußt du schon denen Platz machen, die durch keine eigene Sünden verhindert werden, fremde Sünden aufzudecken. (35) Beachte wohl diesen Unterschied zwischen meiner und deiner Anklage: ich werfe dem Verres auch das vor, was du ohne ihn begangen hast, da er dich kraft seiner Amtsgewalt hätte verhindern müssen; du würdest ihm nicht einmal seine eigenen Verbrechen vorhalten, um nicht als daran beteiligt zu erscheinen.

      Weiter! Zur Führung eines Prozesses, und namentlich eines so großen Prozesses, gehören notwendig noch einige Dinge, die du doch nicht allzu gering anschlagen solltest: ein wenig juristische Praxis, einige Redegewandtheit, etwas Übung auf dem Forum 16 , ein bißchen Kenntnis von Gesetz und Recht. (36) Ich merke, ich bewege mich auf einem gefährlichen Boden; Arroganz wirkt immer abstoßend und ganz besonders auf einem geistigen Gebiete, wie dem der Beredsamkeit. Ich spreche also nicht von meiner Fähigkeit; da giebt's eben nichts zu sagen, und gäb es etwas, ich thät es doch nicht. Entweder genügt mir mein Ruf, oder, wenn nicht, so könnt ich ihn durch Selbstlob nicht verbessern. XII. (37) Was aber dich betrifft, Caecilius – nun, laß mich einen Augenblick von unserer Sache abschweifen und ganz vertraulich mit dir reden. Überlege dir doch einmal, was du selber von dir hältst; überleg es dir von neuem, sieh dich ordentlich an, mach einen Überschlag und ziehe dann die Summe deines Wesens und deines Könnens. 17 Du willst dich an so mächtige und gefährliche Probleme wagen, wie den Prozeß der Bündner und das Schicksal einer Provinz, Roms Recht und die Würde seiner Gesetze und Gerichte: glaubst du wirklich eine solche Masse der verschiedenartigsten und kompliziertesten Objekte verarbeiten, disponieren, im Sinne behalten und auseinandersetzen zu können? (38) Hältst du dich wirklich für fähig, die ganzen Verbrechen eines Verres, alles was er in den verschiedenen Phasen seiner Beamtenlaufbahn in Rom, in Italien, in Griechenland, in Kleinasien, in Pamphylien angerichtet hat – dies alles zu übersehen, nach chronologischem und lokalem Gesichtspunkte zu ordnen, nach Gesetzesparagraphen zu verteilen und schließlich zu beleuchten? – Bei einem Menschen wie Verres müssen alle Äußerungen seiner Nichtswürdigkeit, Wollust und Grausamkeit vom Ankläger so lebendig dargestellt werden, daß die Hörer sie mit gleicher Empörung vernehmen wie die Opfer sie empfanden. Meinst du diese sehr wesentliche Forderung erfüllen zu können? 18 (39) Glaube mir, so etwas ist ernst, das darf man nicht auf die leichte Achsel nehmen. Alles will erzählt, bewiesen, verwertet, der Gegenstand nicht nur vorgeführt, sondern ausgiebig und sorgfältig durchgeführt sein. Willst du etwas durchsetzen, so mußt du es dahin bringen, daß man dich nicht nur anhört, sondern dir gern und aufmerksam zuhört. Besäßest du dafür ein natürliches Talent, hättest du seit deiner Kindheit emsig auf den vornehmsten Gebieten des Wissens gearbeitet und dich ausgebildet, hättest du Griechisch in Athen statt in Lilybaion 19 , Latein in Rom statt in Sicilien gelernt – es wäre immer noch eine Aufgabe, sich in eine so mächtige, allgemein mit Spannung verfolgte Sache hineinzuarbeiten, dann alles auswendig zu behalten, künstlerisch zu formen, endlich kräftig und schön vorzutragen. (40) Vielleicht sagst du: »Und du? Kannst du das alles?« – Könnt ich's doch! Aber immerhin hab ich seit meiner frühesten Jugend all mein Streben darauf gerichtet, es so weit zu bringen. Wenn ich also wirklich die ungeheure Aufgabe nicht bewältige, obgleich ich in meinem Leben auf nichts anderes hingearbeitet habe, wie weit mußt du dann davon entfernt sein, der du früher nie daran gedacht hast und selbst jetzt, wo du dich daran machst, von ihrem Umfang und Inhalt keine Ahnung hast! XIII. (41) Ich habe mich notorisch dermaßen mit gerichtlicher Praxis beschäftigt, daß ich sagen kann, niemand oder wenige haben in meinem Alter so viele Prozesse geführt; alle Zeit, die mir die Geschäfte meiner Freunde lassen, verwende ich auf diese Studien, um mich weiter für die Thätigkeit vor Gericht zu vervollkommnen; und dennoch kann ich's bei allen Göttern versichern: wenn ich mir den Moment vorstelle, wo der Tag der Verhandlung da ist, wo ich vor die Schranken treten und Klage erheben muß, da packt mich nicht allein innere Aufregung, sondern ein Schauder überläuft mich vom Wirbel bis zur Zehe.

      (42) Schon jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich das Publikum zu der Verhandlung drängt, welche Erregung es mitbringt, wie gespannt es dem Verlaufe folgt, wie es meiner Rede lauscht – handelt sich's doch um die Schamlosigkeit eines Verres! Wenn ich daran denke, bin ich fast ratlos, wie ich der Empörung seiner Feinde, der allgemeinen Erwartung, der Bedeutung des Gegenstandes entsprechende Worte finden soll. (43) Dich schreckt dies alles nicht, du denkst nicht daran, sondern ersparst dir die Mühe. Wenn du dir den Anfang irgend einer alten Rede nach klassischem Rezept, etwa »Zeus, du größter und höchster« oder »Ich wollte, wenn es möglich wäre« oder sonst etwas in diesem Stile einstudiert hast, dann glaubst du dich wohl trefflich vorbereitet zu haben! (44) Selbst wenn dir niemand antwortete, könntest du sicherlich nichts zur Evidenz bringen; nun vergißt du aber, daß du einen vorzüglich gerüsteten Gegner von glänzender Beredsamkeit vor dir hast, mit dem du dich erst scharf auseinandersetzen, dann auf jede Weise herumschlagen mußt. 20 Ich meinerseits erkenne seinen Geist an, ohne mich von ihm einschüchtern zu lassen; ich schätz ihn, aber ich glaube, daß er mich eher amüsieren, als hinters Licht führen kann. XIIII. Nie wird er mich mit seinen Schlauheiten unterkriegen, nie mit seinen Rednerkunststücken aus dem Konzepte treiben, nie wird er versuchen, mich durch seinen Witz zu Falle zu bringen oder zu entkräften. Ich kenne all seine Angriffs- und Redemanieren; oft standen wir vor Gericht zusammen, oft einander gegenüber. Er ist ein geistreicher Mann; allein er wird von seinem Geist eine Probe ablegen, indem er gerade mir gegenüber keinen all zu spitzfindigen Gebrauch davon macht.

      (45) Dagegen du, Caecilius! Wie wird er dich zurichten! Ich höre ihn schon, wie er mit dir spielt, wie er dich auf jede Weise in die Enge treibt, wie er dich einmal übers andere zwischen die Kneifzange seiner Alternative nimmt, so daß du nach eigener Wahl erklären kannst, ob eine Angabe wahr oder falsch sei, und, was du auch erklären magst, immer eingezwängt wirst. Armer Mensch, was steht dir an Angst und Aufregung bevor! Ein Fehltritt nach dem andern, ein wahrer Taumel! Und dabei bist du im Grunde ein guter Kerl. – Wenn er dann erst deine Anklage zergliedert und die einzelnen Teile des Prozesses zwischen die Finger nimmt, um jeden einzelnen gründlich zu behandeln und prompt zu erledigen! Du selber wirst schließlich fürchten, einen Unschuldigen in Gefahr gebracht zu haben. (46) Dann weiter: er fängt an zu jammern, er macht das Mitleid für seinen Schützling rege und sucht etwas von dessen bösem Ruf auf dich abzuwälzen; er redet von dem innigen Verhältnis zwischen dem Statthalter und seinem obersten Beamten, wie sie durch die Sitte der Ahnen und die Heiligkeit des Loses besteht – willst du alle die Mißgunst, die er auf dich herabredet, aushalten? überleg es dir nur, gehe ernsthaft mit dir zu Rate. Ich fürchte nämlich, daß es überhaupt gar nicht seiner Worte bedarf, um dich zu zerschmettern, sondern daß sein bloßes Mienenspiel, seine Haltung und Bewegung genügen werden, um deiner Schlauheit die Spitze abzubrechen und dir dein ganzes Programm auszutreiben. (47) Davon werden wir ja bald eine Probe bekommen. Denn wenn du mir heute Rede stehen kannst, wenn du von deinem Manuskripte, das dir irgend ein Schulmeister aus fremden Reden zusammengestoppelt hat, mit einem Wort abweichen kannst, so will ich annehmen, du kannst auch dem andern gegenüber deine Fassung bewahren und deine Sache ordentlich führen; bist du aber schon hier bei dieser einleitenden Plänkelei ohnmächtig, wie sollst du dich da im vollen Gefecht mit einem scharfen Gegner halten? –

      XV. »Gut,« wird man mir erwidern, »er selbst ist nichts und kann nichts; aber er kommt mit gewandten Subskriptoren.« 21 Das ist immerhin etwas, wenn auch nicht genug: denn überall muß der Führer eines Unternehmens am besten unterrichtet und am stärksten gerüstet sein. Indes da seh ich als ersten Subskriptor den Lucius Appuleius; das ist ein Anfänger, zwar nicht an Jahren, aber wohl an Gerichtspraxis. (48) Dann hat er

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