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niemals hätte halten können, aber er hielt auch bei der Niederschrift die Fiktion fest, als gälte es die
gesprochene Rede, als spielte sich die Scene auf dem Forum von Rom ab, vor den Geschworenen, unter einem Gerichtspräsidenten, in Gegenwart des Angeklagten und einer zahlreichen Volksmenge; ja, diese fortwährende Beziehung auf die Anwesenden und auf das Lokal giebt der Sprache erst die volle anschauliche Bewegung. Dennoch schreibt Cicero nicht wörtlich so, wie er gesprochen hätte; außer der Rücksicht auf den Umfang bestimmt ihn dazu die Erfahrung, daß die gesprochene Rede, litterarisch fixiert, niemals den authentischen Eindruck hervorbringt. Was durch die Entfernung der Rede vom Forum verloren ging, mußte ersetzt werden; dies war eine Aufgabe des Schriftstellers. Er hat sie gelöst und führt dabei seine Fiktion strenge durch; er konnte freilich darauf rechnen, daß man seine Publikation mit dem Ohr und nicht bloß mit dem Verstande genießen würde. Denn wenn der gebildete Römer sich ein Buch vornahm, so that er es nicht wie wir, die wir lautlos die einzelnen Buchstaben verfolgen und nur mittels des Denkens den Sinn der Worte in uns aufnehmen, sondern er hielt sich kundige Sklaven, die ihm das Werk vorlasen und genug Übung besaßen, um dies mit dem nötigen Ausdrucke zu thun. So kam der Autor zu seinem Rechte, der Leser war vielmehr Hörer des Dichters oder Redners, und dieser hatte das Bewußtsein, mit seinem Werke stets zum Publikum zu
sprechen. – Inhaltlich hielt Cicero die Ordnung ein, die er auch mündlich beobachtet haben würde. Die ganze Klage ist in fünf Teile zerlegt, von denen jeder als eine selbständige Rede mit eigenem Bau gearbeitet ist. Der
erste schildert das Vorleben des Angeklagten; daß darauf eine solche Ausführlichkeit verwendet wurde, war nötig, weil sie Stimmung machte, den Hörer unterhielt und namentlich einem römischen Bedürfnis entsprach. Jeder, der in einem Prozeß erwähnt wurde, mußte persönlich charakterisiert werden; man wird sehen, daß Cicero niemanden nennt, ohne ein Wort über seinen Charakter und seine sociale Stellung hinzuzufügen; trotz der Gefahr der Eintönigkeit mußten diese kurzen Personalbeschreibungen stets vollständig wiedergegeben werden, eben weil sie ein Gesetz römischen Lebens und damit ein Stück römischer Weltanschauung repräsentierten. So wird nun auch der Angeklagte charakterisiert; dazu war eine ganze Rede nötig, die sein Leben bis zum Augenblicke der Abreise nach Sicilien schildert. Mit dem
zweiten Teile beginnt die eigentliche Anklage; hier hat Cicero sein Material nicht nach chronologischen oder lokalen, sondern nach stofflichen Gesichtspunkten disponiert. In jedem anderen Falle wären Wiederholungen unvermeidlich gewesen; durch die Zusammenordnung des Gleichartigen wurde die Scheidung in große Hauptabschnitte, die Wirkung der Kontraste und namentlich jene Steigerung erzielt, die das wesentlichste Erfordernis für eine anhaltende Spannung des Hörers wie für eine künstlerische Gestaltung der Form bildet. Zunächst wird die Thätigkeit des Gerichtspräsidenten, dann in der
dritten Rede die Verwaltung der Korngefälle dargestellt; dieser Teil war für den Römer der interessanteste, schon weil es sich hier um ein wesentliches Element der hauptstädtischen Volksernährung handelte. So ist dieser Teil auch der umfangreichste geworden; hier hatte Cicero den wirklich gefährlichen Einwand zu entkräften, daß Verres ungewöhnlich große Getreidequantitäten nach Rom geschickt hatte – indem er nämlich die Provinzialen betrog und die Zukunft der Landwirtschaft lahm legte. Das römische Publikum, also der verkommene Adel und der gefräßige Pöbel, beide gleichermaßen arbeitsscheu, dachte natürlich nicht an die Zukunft; weitsichtige Politik war ihnen ebenso fremd wie etwa Mitleid mit den zertretenen Sicilianern, und deshalb hat Cicero hier offenbar
alle ihm zur Verfügung stehenden Fälle vorgetragen, um so die nachteiligen Folgen auch für die Hauptstädter fühlbar zu machen. Er wußte wohl, daß er durch einen solchen Appell an den Magen bei seinen Quiriten erheblich stärker wirkte als durch einen Appell an die längst verlorene nationale Ehre. – Der
vierte Teil, für den römischen Hörer nur ein amüsantes Intermezzo, dürfte heute den Leser am meisten interessieren: hier berichtet Cicero über die Statuen, Reliefs u. dgl., die Verres für seine Galerie in ganz Sicilien zusammenstahl. Den Römern gegenüber hatte Cicero hiermit einen schweren Stand, denn ihnen galten griechische Kunstwerke nur als kindische Spielereien, mit denen sich ein rechter Weltbeherrscher gar nicht abgeben dürfte; höchstens als Dekorationsstückchen hatten sie für ihn einen gewissen Wert, und deswegen war ihre Überführung nach Rom nur zu wünschen. Cicero mußte, um nicht für einen sentimentalen Tropf zu gelten, wiederholt jene echt römische Unbildung vorschützen, die damals bei vornehmen, weitgereisten, griechisch redenden und von griechischem Wesen tief begeisterten Leuten bereits anfing sich zu verflüchtigen; dennoch verstand er es auch hier, namentlich durch Anrufung religiöser und kaufmännischer Gefühle, den Unwillen gegen den Räuber rege zu machen, dessen Hochverrat und Blutthaten die
fünfte Rede erzählt, um durch die krassesten Bilder die Erbitterung aufs äußerste zu steigern.
Wenn diese Reden hier in einer neuen, freien Übersetzung vorgelegt werden, obgleich doch keine Übersetzung den Charakter, die Wirkung, ja auch nur den Rhythmus des Originales annähernd wiedergeben kann, so geschieht das nicht nur um Ciceros willen. Es ist wahr, daß der geistvolle Advokat, der mit seinem aufrichtigen Streben nach griechischer Geisteshöhe und dabei seinem treuherzigen Festhalten an römischen Traditionen einen Übergang zwischen zwei scharf gesonderten Generationen darstellt, schon an sich verdient, mehr als unter dem Namen des großen Worthelden bekannt zu werden. Aber der Hauptgrund ist die Thatsache, daß diese Reden uns ein Stück Geschichte bieten. Einen wirklichen römischen Historiker hat es ja nie gegeben; die tüchtigsten Autoren, die über die Römer und sonstigen Völker des Altertumes berichten, sind ohne Ausnahme Griechen. Cicero selbst, dessen Patriotismus wahrlich soweit ging wie nur der eines altrömischen Fanatikers, der sogar Verseschmiede wie Ennius ernst nimmt und mit einer Verdacht erregenden Grundsätzlichkeit die Gleichberechtigung seiner Nation neben den Ausländern auf allen Gebieten betont – er selbst vermißt einen rechten Historiker, der die Kunst der Sprache in den Dienst der Geschichtschreibung stellte. Ein solcher fand sich freilich wenige Decennien später in Livius, und dessen Werk ist für die Römer ein Objekt des Nationalstolzes geworden; aber dies ist höchstens für die Römer bezeichnend, denn Livius war einseitiger Rhetor ohne historischen Sinn, ohne Kritik, ohne Wahrheitsliebe, ohne Menschenkenntnis, ohne die Fähigkeit, ein wirkliches Problem auch nur zu verstehen, geschweige denn es anzufassen. Seine geschickte Art zu schreiben hat im ganzen nur Unheil angerichtet; ihm zumeist ist es zu verdanken, wenn all der Blödsinn von Horatiern und Curiatiern, Fabricius, römischem Ehrgefühl etc. etc. noch immer, trotz Niebuhr und Mommsen, in verschiedenen Erdenwinkeln gelehrt und geglaubt wird. Vollends für die Zeit, die uns hier interessiert, kommen am wenigsten die erzählenden Historiker, dagegen am meisten die unzweideutigen Urkunden in Betracht; und zu diesen gehören in erster Linie Ciceros Reden gegen Verres. Wer sie mit der nötigen Aufmerksamkeit liest, um ein wenig zwischen die Zeilen zu gucken und die allgemeinen Zustände zu erfassen, von denen der Redner schweigt, der wird vor allen Dingen mit dem neuerdings viel gepredigten Aberglauben fertig werden, daß die Römer den Hellenismus in Schutz genommen hätten. Aufgeräumt haben sie mit dem Griechentume so viel sie irgend konnten; und wenn der besiegte Grieche durch seine Kultur den römischen Sieger trotz dessen verzweifelter Gegenwehr doch schließlich beherrschte und lenkte, so zeigte sich eben das Walten von inneren Kräften, die mächtiger sind als die rohe Faustkraft des Soldaten. Sicilien z. B. war seit vielen Jahrhunderten ein Hauptsitz des Griechentums gewesen. Soweit die blühende Insel nicht dem Barbarengeschmeiß der phönikischen Karthager zum Opfer gefallen war, hatten Griechen der verschiedensten Stämme, namentlich Ionier und Dorer, das Land in Besitz genommen, zahlreiche Städte gegründet, in eiserner Arbeit den Boden kultiviert und auf der Grundlage solider Wirtschaft und gesunder städtischer Organisation eine Blüte des Landes hervorgerufen, die bei der wunderbaren Begabung und naturgemäßen Entwicklung der Nation einen glänzenden Wohlstand sowie eine hohe Civilisation zur Folge hatte. Innere Zerwürfnisse, zahllose Fehden zwischen Stämmen, Gemeinden und Parteien konnten zwar einzelne Städte zu Grunde richten, aber niemals dem Gesamtgedeihen schaden, denn Neues entstand an Stelle des Vernichteten, und die Monarchen, obgleich illegal, führten mit erhöhter Kraft fort, was die Stadtrepubliken begonnen hatten. Selbst die rasende Zerstörungswut der Karthager, deren vollen Ausdruck man noch heute an Tempeln sieht, die während der Arbeit vernichtet wurden, selbst Hamilkar und Hannibal konnten der Blüte Siciliens nichts anhaben; aber freilich waren jene ewigen inneren Zerwürfnisse, die für das Denkervolk der Hellenen und der Deutschen gleich charakteristisch sind und die Athen nebst dem ganzen eigentlichen Hellas des Ostens aufgezehrt hatten, wohl dazu angethan, den italischen Horden
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