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den blinden Drang in sich, aufzusehen. Aber, was war denn das im Hausflur?! — — Das konnte doch von den beiden runden Fenstern im Hausthore nicht sein: zwei müde Augen lagen auf den ausgetretenen Flurquadern. Über ihrem halberloschenen Blau zitterte ein stumpfglasiger Schimmer, glitzernde Ringe stiegen aus ihrer Tiefe und verliefen leise an der Oberfläche wie zögernde Thränen.

      Daß kaum seine Bluse knisterte, drehte sich der Tuchmacher um, winkte die fast taube Wirtschafterin aus der Küche und wies ihr die Erscheinung mit bebendem Arm.

      Aber diese begriff nicht, schüttelte den Kopf und wischte sich dabei mit zwei Fingern ihre magere Nase.

      „Dat!“ hauchte er.

      „Wås?“ schrie sie endlich aus Leibeskräften nach Art der Tauben.

      Von dem groben Laut aber begann das erlöschende Blau leise fortzugleiten, und als er noch einmal dringender darauf hinwies: „Dat!“ waren es schon wieder die zwei Lichtflecken geworden, die immer in dem feuchten Hausflur lagen.

      „Dås?“ schrie sie, „dås sein de zwee ronda Fensterfleckla. Weiter nischt. – Und Sie, Herr Joseph, Sie warn åm besta thun, Sie heiråta.“

      Damit wandte sein sich um und indem sie langsam hinaufschlürfte, lachte sie dünn und schüttelte wackelnd mir dem Kopf.

      Es aber schritt dem Ausgange zu und wich dabei den Flecken sorgsam aus. Aber es war trotzdem vorhin ein müdes, weinendes Auge gewesen, jeder der beiden Flecken.

      „Fensterfleckla,“ redete er in sich hinein, „heiråta . . . ., haha! . . . . und wenn de Weiber Pulverholz warn, wessa se nischt andersch. — — Ich? — nu ja, ja, amal schon; — åber warum a so bale? Bin ich achtunddreißig gewor’n, kån ich auch neununddreißig war’n. — — Åber ’s is egal, wås is nich richtig, seit dr Våter tut is.“

      Und er widersetzte sich der Forderung, die die Tradition seines Geschlechtes verlangte, deren Unabweislichkeit er nur die Bequemlichkeit seines zunehmenden Alters entgegenstellte, so lange es ging. Auch sein Vater hatte vielleicht dasselbe von ihm gewollt unter den Qualen seiner letzten unruhigen Tage.

      Zuletzt kam auch der alten Wirtschafterin derselbe Gedanke.

      Unverzüglich nahm sie den Zauderer deswegen ins Gebet: „A sel‘ga Herrn Våter hab ich noch gekannt, wie er ein junger Femfbiehmer wår, of deitsch gesät. Un wie der ale Herr, Joseph hieß er wie Sie, Ihr Grußvåter, ich weß noch åls wenns heite wär, un wie er un er låg auf m Sterbebette, s wår verz‘ Taje vir Ållerheilijen – acht Taje drnåch brannte der Ruffert-Gerber åb – wie’s mit’m Odm immer genauer wur, då kåm dr selje Herr Våter mit seim Schåtze, wås drnoch Ihre Mutter worn is, zu n’m åns Bette.

      Då hätten Se sehn sollen, wie er glecklich fläschelte! Er reckte de hand zum Betteraus, åls wenn er sagte: Jetz sterb ich gerne, Kinder! fläschelte noch a mol un starbe. –

      Warum kunnde dr selje Herr Våter nich sterba? — Weil er Sie nich versorgt wußte. Un ein Mån ohne Weib – då steckt immer wås Bieses dahinder; da trau ich nie.“

      „Nu ich kån mirsch woll denka – hm – haha!“ lachte Joseph malitiös.

      „Åch nu - - ich håb halt ken’n gekriejt, - Nee, ohne zu spaßa: Dås Haus ohne Wieb is zum sterba. – Ån mich håts jå ken’n Fug. Mir is Bichla vertreijt. Åber sehn Sie sich vor – Herr!“ –

      So sagte sie ihm, was ihre einsame Seele lange gesonnen hatte.

      In der That schien es, als ob das alte Haus seine tiefe Einsamkeit wieder einmal satt habe und darnach verlange, daß ein Menschenfrühling durch seine Gemächer hinhüpfe auf kleinen Kinderfüßchen; so wehe Stimmen wurden laut, so redete es brummend mit seinen hohen Thüren, so schreckte es mit seinen langen, unerträglichen Schatten, so rief es sehnsüchtig mit der Totenstille seiner großen, kalten Stuben. Endlich mundete dem Tuchmacher seine Verlassenheit selbst nicht mehr. Die Sehnsucht nach seiner Jugend erwachte in ihm. In diesem Verlangen heiratete er.

      Die alte Wirtschafterin, die so tapfer dafür gestritten hatte, erlebte es nicht mehr.

      Kurz vor der Hochzeit starb sie.

      ————

      II.

       Inhaltsverzeichnis

      Sein junges Weib hieß mit ihrem Mädchennamen Leonore Marsel.

      Ihr längst verstorbener Vater war der letzte Sprosse eines seit Geschlechtern verarmten freiherrlichen Hauses gewesen, Karl August Theodor von Marsal, seines Zeichens Bäcker.

      Er hatte in einem der kleinen Häuser auf der Walkergasse geräuschlos seine Semmeln und sein Brot verkauft; mit einem scheuen, betretenen Gesicht.

      Eine Reihe seiner Vorväter war durch den Glanz der großen Vergangenheit wild und toll geworden. Allmählich hatten die engen Räume der Armut den Trägern des großen Namens die stolzen Flügel gebrochen; und die Sehnsucht lag in ihnen wie ein unabwendbarer Kummer, eine zwecklose, stets neugeborene Qual.

      Sie verkümmerten nach und nach an den kleinen Fenstern und dem dürftigen Hausgerät. Das kärgliche Essen sog ihnen die Kraft aus, und die Gesundheit und Fülle ihrer Leiber schrumpfte zusammen unter dem unbarmherzigen Drucke schlichter Gewänder.

      Der Wohlklang ihrer kraftvollen Glieder artete zu krankhafter Zierlichkeit aus. Der lange, freie Gang verengte sich zum Trippeln, und das schwingende Spiel der feinen Hände verdarb zur prahlerischen Grimmasse.

      — Mit den Wunden ihrer Seele zeugten sie die Kinder und das Gift ihrer Einbildung reichten sie ihnen als die Milch der ersten Märchen.

      Das geheimste, tiefste Leben ihres Herzens ward ein ohnmächtig verzitternder, dünner Ton.

      Nur an dem schönen Haar ging der Verfall des Geschlechtes spurlos vorüber. Ja, je trostloser seine Trümmer wurden, um so reicher floß die Fülle seines goldgleißenden Glanzes.

      Und auch die großen, leise singenden Augen schmückte der verheimlichte Wahn, an dem sie langsam hinsiechten, immer glänzender.

      In dem letzten des verwucherten Stammes, dem Bäcker Karl August Theodor, waren die Wunden blutleer geworden; die Einbildung ein trocknes, würgendes Fieber.

      Dies reichte gerade noch aus für die Seele eines zarten Mädchens, dessen Leben wie das Verlöschen einer Flamme einsetzte.

      Schon auf dem Todbette liegend empfing der Vater die Nachricht von der Geburt einer Tochter. Ein Schreck machte ihn noch blasser. Dann winkte er die Hebamme mit einer matten Handbewegung näher zu sich:

      „Leonore Marie von Marsal“, hauchten seine Lippen und ein kraftloses Lächeln krümmte seinen Mund.

      Das Weib aber ging wieder zu dem Kinde.

      Dieses that den ersten, dünnen Schrei.

      Davon starb der Kranke.

      Niemand bemerkte es. Denn er schlich sich mit dem Zittern eines abgefallenen, dürren Blattes aus der Welt, das unter dem ersten, armen Morgenstrahle erbebt, weil der Reif einer langen Nacht sich von ihm zu lösen beginnt.

       * * *

      Mit dem Mitleid kleiner Seelen, das so demütigt, ermöglichten die Bewohner der Walkergasse es der jungen Witwe, das Geschäft ihres Mannes mit Hilfe eines älteren Gesellen fortzuführen.

      Noch ganz im Glanze einer peinlichen Liebe war August Theodor von seinem Weibe gegangen. Nicht einmal den ersten, kraftlosen Mutterstolz hatte er aus ihren Augen trinken dürfen.

      So wuchsen die Schauer ihres einzigen Glückes aus dem Grabe ihres Mannes.

      In

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