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Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Der Schatten des anderen
Год выпуска 0
isbn 9788711718551
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Das Publikum amüsierte sich prächtig, und Hans Ullrich Garden zog sich mit übertriebener Bestürzung zurück. Das Publikum applaudierte heftig, aber ich tat so, als wenn ich es nicht bemerkte — ich konnte mich ja nicht gut für einen Beifall bedanken, der möglicherweise nur dem beliebten Quizmaster galt.
Der Applaus hatte sich noch nicht gelegt, als wieder an die Tür gepocht wurde. Dieses Klopfen, durch die Lautsprecher sehr verstärkt, brachte das Publikum zur Ruhe. Ich starrte gespannt auf die Tür und schwieg, wie die Assistentin mir geraten hatte. Es klopfte noch einmal. Ich hielt wieder den Mund und rührte mich nicht vom Fleck.
Vorsichtig wurde die Tür jetzt einen Spalt breit geöffnet, Hans Ullrich Garden steckte seinen Kopf herein und erschien dann in voller Lebensgröße in der Verkleidung eines vornehmen Reisenden im weiten eleganten Radmantel.
Er verbeugte sich höflich und stammelte: »Verzeihung, Gnädigste — ich dachte, es wäre mein Zimmer — ich bedaure sehr, anscheinend habe ich mich in der Nummer geirrt.«
Er hatte kaum ausgesprochen, als mir klar wurde, wie unlogisch diese Ausrede war — niemand klopft an die Tür seines eigenen Zimmers. Der vornehme Fremde im Radmantel konnte nur Billy Rock, der Mädchenkiller sein. Mit einem Ruck öffnete ich die Nachttischschublade, zog den Revolver heraus, legte an und — ließ ihn fallen … Gerade noch im letzten Moment hatte ich bemerkt, daß dieser Revolver keine Kunststoffattrappe, sondern nur zu echt war.
Hans Ullrich Garden bückte sich sofort, hob die Waffe auf und lud sie durch. Ich hatte mich nicht geirrt. Richtige Munition fiel auf die Bühne. Eine Sekunde lang starrten Hans Ullrich Garden und ich uns entsetzt an. Ich begriff, daß dies kein Witz und kein vorausberechneter Effekt war. Hans Ullrich Garden war unter der braunen Schminke erbleicht, seine Augen waren schreckgeweitet.
Niemand aus dem Publikum konnte etwas von dem Zwischenfall bemerkt haben — oder doch? Jedenfalls tat Hans Ullrich Garden alles, um die gefährliche Situation, in der er für Sekunden geschwebt hatte, zu überspielen. Er ließ mit Fixigkeit die Waffe und die Munition in seinen Hosentaschen verschwinden, nahm mich bei der Hand und präsentierte mich strahlend den Zuschauern. »Meine Damen und Herren, bitte, sammeln Sie alle Kraft — wie hat Ihnen unsere kleine Studentin in der Rolle der verfolgten Unschuld gefallen?«
Der Beifall, der jetzt losprasselte, war beachtlich.
»Neunundneunzig Phon«, verkündete Gaby, die Assistentin des Quizmasters mit einem honigsüßen Lächeln, aber der Blick, der mich aus ihren katzengrünen Augen traf, war alles andere als freundlich.
»Gratuliere, Fräulein Horn«, sagte Hans Ullrich Garden und schüttelte mir enthusiastisch die Hand. »Sie sehen, Sie sind ein Liebling der Götter — will sagen des Publikums.« Er wartete das Verklingen des aufkommenden Gelächters ab und fuhr dann fort: »Also, ich glaube, das Ergebnis ist wohl eindeutig — Herr Erich Bürger ist als Sieger im siebenten Quiz ‚Lachen ist gesund’ hervorgegangen. Herr Bürger, darf ich …« Er sprach nicht weiter, denn eine seltsame Unruhe, ein unzufriedenes Gemurmel drang aus dem Zuschauerraum zu uns herauf.
»Aber, meine Damen, meine Herren, sind Sie mit dieser Entscheidung etwa nicht einverstanden?« rief Hans Ullrich Garden mit übertriebener Verblüffung.
»Nein!« rief ein junger Mann aus dem Publikum, andere Stimmen unterstützten ihn: »Nein!« — »Nein!«
Hans Ullrich Garden schaute prüfend auf die große Tafel, auf der die Ergebnisse unseres Bemühens mit Kreide festgehalten worden waren, dann sagte er stirnrunzelnd: »Aber diese Entscheidung ist doch völlig korrekt! Herr Bürger hat in der letzten Runde vier Punkte gewonnen, die höchstmögliche Zahl. Fräulein Horn habe ich einen Punkt gegeben, weil sie im richtigen Moment zur Pistole gegriffen hat. Aber statt zu schießen, hat sie die Waffe fallen lassen. Dafür kann ich beim besten Willen nicht mehr als einen Punkt geben. Dazu kommen zwei Punkte für die Darstellung — eins und zwei ist drei —, an diesem Ergebnis ist doch wirklich nicht zu rütteln!«
Hans Ullrich Garden hatte natürlich recht, trotzdem verstummte die Unruhe im Zuschauerraum nicht. Herr Bürger stand, die Hände in den Taschen, mit arrogantem Lächeln auf der Bühne, während mir die Situation von Sekunde zu Sekunde peinlicher wurde.
»Mir scheint, meine liebe kleine Studentin«, sagte Hans Ullrich Garden mit dem Versuch, das Publikum mit einem Witz zu beruhigen, »Sie haben Ihre sämtlichen Verehrer ins Funkhaus mitgebracht, wie?«
»Davon kann gar keine Rede sein, das wissen Sie genau!« sagte ich wütend, aber da ich einige Schritte vom Mikrofon entfernt stand, gingen meine Worte in dem Gelächter der Zuschauer unter.
»Der erste Preis muß geteilt werden!« schrie eine Frau aus dem Publikum mit sich überschlagender Stimme, und alles lachte. Die mollige Frau hatte einen roten Kopf bekommen, und man sah von der Bühne her, wie sie eifrig auf ihre Nachbarn einredete.
»Meine liebe Dame«, sagte Hans Ullrich Garden freundlich, »wir teilen prinzipiell keine Preise — niemals — und schon gar nicht, wenn das Spielergebnis so eindeutig ist. Falls die Entscheidung in dieser letzten Runde nicht gefallen wäre, hätten wir noch eine Extrarunde angehängt. Aber ich glaube, daß Herr Bürger sich durch eine solche Maßnahme mit Recht zurückgesetzt fühlen würde. Fragen wir also lieber mal unsere kleine Studentin …« Er nahm mich bei der Hand und zog mich direkt vor die Kamera. »Liebes Fräulein Horn, sind Sie mit Ihrem zweiten Platz zufrieden, ja oder nein?«
»Natürlich«, sagte ich rasch, »Herr Bürger war wirklich besser, und außerdem ist das Ganze ja nur ein Spiel!«
»Da haben wir’s!« rief Hans Ullrich Garden, Jubel in der Stimme. »Unsere kleine Studentin hat den springenden Punkt erfaßt. Das, was wir in unserer Sendung ‚Lachen ist gesund’ treiben, darf man nicht tierisch ernst nehmen, nein, ganz im Gegenteil, es ist nichts als ein Spiel und Spaß. In jedem Spiel muß es aber auch Verlierer geben. Herr Bürger — darf ich Ihnen zu Ihrem ersten Preis gratulieren? Was, glauben Sie wohl, haben Sie gewonnen?«
»Ich laß mich überraschen«, sagte Herr Bürger, noch immer die Hände in den Hosentaschen.
Die Zuschauer unten machten ihrer Unzufriedenheit laut Luft. Es war deutlich zu spüren, daß Hans Ullrich Garden sein Publikum aus der Hand geglitten war. Möglicherweise lag es daran, daß er nach dem überstandenen Schock nicht ganz so gut in Form war wie gewöhnlich. Die arrogante Haltung Herrn Bürgers — wahrscheinlich nur aus der Verlegenheit geboren — tat das Ihre dazu. Den ganzen Abend hatte Hans Ullrich Garden sich alle Mühe gegeben, mich zum Liebling der Massen zu machen, und jetzt, kurz vor Schluß der Sendung, war niemand mehr bereit umzuschalten.
Hans Ullrich Garden überschaute die Situation und meisterte sie mit bewundernswerter Routine. »Meine Damen und Herren«, trompetete er, »an dem Schiedsspruch ist leider nichts mehr zu ändern, bitte, bitte, bleiben Sie ruhig. Es ist so, wie ich sage — der Schiedsspruch ist gültig und bleibt bestehen. Aber ich möchte jetzt einmal eine ehrliche Antwort auf eine offene Frage haben — gefällt Ihnen unsere kleine Studentin?«
»Jaaa!« brüllten die Zuschauer im Chor.
»Das freut mich!« Hans Ullrich Garden rieb sich schmunzelnd die Hände. »Mir gefällt sie nämlich auch. Mit Ihrem Einverständnis möchte ich sie jetzt auf der Stelle zu meiner Assistentin ernennen! Ist das ein Vorschlag? Jaaa — ich habe es ja gewußt, diese Lösung spricht Ihnen aus dem Herzen!«
Das Publikum jubelte und applaudierte, Hans Ullrich Garden schüttelte mir wieder einmal die Hand. Ehe ich noch einen Ton äußern konnte, hatte er von irgendwoher einen riesigen Blumenstrauß herbeiholen lassen und legte ihn mir in die Arme — es war ein rührendes und berauschendes Happy-End.
Ich