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in der Nähe der Stadt zwei unserer sogenannten Landsleute, Peter Lawrow und Isaak Dembo, bei der Herstellung einer für den Zaren bestimmten Höllenmaschine in Stücken in die Luft! Von diesem Verkehr hielt ich mich lieber fern!“

      „Mit Recht!“ räumt Fräulein Tschurin bereitwillig ein. Ihr Gesicht ist blass. Es wechselt die Farbe. Ich merke, dass sie erregt ist. Aber warum? Will sie etwas von mir? Und was? Soll ich ihr berichten, dass ich ihre Schwester Ljuba vorgestern nacht noch gesehen habe? Ahnt sie denn überhaupt, dass Ljuba in Russland weilt? Es ist nicht anzunehmen! Das Eindringen einer Terroristin durch die Pass- und Gendarmerieschranke in das heilige Russland ist ein Staatsgeheimnis, dar der alte Tschurin keinem Unberufenen, auch seiner eigenen Familie nicht, preisgibt! Ich kann mir für immer meine Laufbahn in Russland verschustern, wenn ich dies Geheimnis leichtsinnig ausplaudere . . .

      Wir schweigen einen Augenblick. Aus dem Nebenkabinett tönt die tiefrollende, selbstbewusste, bedächtige Stimme des Fürsten Chowansky. Der bucklige Moskauer Mäzen erzählt einem ehrfurchtsvollen Krei von Damen und Herren von seinen neuesten Kunsterwerbungen in Spanien und Italien. Irinas schmale, weisse Finger spielen unruhig mit der scharfen Spitze eines welken Palmblatts, das sie von dem nächsten Pflanzenkübel herunterergezupft hat.

      „Wovon leben diese russischen Flüchtlinge in der Schweiz nur eigentlich?“ beginnt sie unvermittelt.

      „Von Tee und Brot! Sie sind standing unteretnährt und daher — ich sage das als Arzt — in jener krankhaften Geistesverfassung, die sie zu ihren Verbrechen treibt!“

      „Irgendwie müssen sie doch ihren Unterhalt erwerben! Aner kann denn das ein Ungebildeter — ein Mensch, der zum Beispiel nur russisch versteht, in der Fremde?“

      Wem gilt diese Frage? Ich begreife das nicht. Irina, die selber doch vier Sprachen spricht, blickt mich rätselhaft an, mit einem leidenden und verstohlenen Lächeln, als sei dies ganze Gerede nur ein Vorwand für sie, mit mir allein zu sein. Mir wird es heiss um das Herz. Ich versetze verwirrt:

      „Ein Mensch, der arbeiten will, findet überall in der Welt sein Brot. Zumal der Russe passt sich leicht an . . .“

      Ich breche ab. Woinitsch, der gehirnerweichte, junge Petersburger Staatsrat, tritt in den Wintergarten. Er lächelt selbstgefällig. Mitten im Fluss seiner Rede stolpert seine Zunge zuweilen über ein Wort. Er winkt beschwörend ab.

      „Nein! Es ist vergeblich, mich zurückzuhalten, Irina Borissowna! Wichtigste Geschäfte rufen mich nach der Stadt!“

      „Nun — mit Gott!“ sagt die schöne Tschurin phlegmatisch.

      „Wenn ich nicht im Ministerium nach dem Rechten sehe — ah — unsere Bismarcks!“ Ein verzücktes Kusshändchen des übernächtigen Elegants an sich selbst mit zwei Fingern in die Luft. „Wenn erst meine Zeit kommt . . .“

      „Möge Eure Hohe Exzellenz sich dann gnädigst unserer entsinnen!“ Irina schnippt Herrn Woinitsch grausam blinzelnd dir scharfe Spitze eines Palmblatts in das verlebte Gesicht und wendet sich, während er, die Uhr in der Hand, wichtig, sorgenvoll, gehetzt, als sei er der Aussenminister Giers selber, davoneilt, laut auflachend zu mir.

      „Welch ein Narr! Aber er ist es nicht allein! Ach — es wäre schön, einmal andere Luft zu atmen! Erzählen Sie mir vom Ausland! Berichten Sie mir doch etwas von sich!“

      „Was kann Ihnen daran gelegen sein, Irina Borissowna?“ versetze ich mühsam und auf russisch. In ihrer Muttersprache darf ich, als Gast des Hauses, sie mit Vor- und Vatersnamen nennen. Auf deutsch würde es zu vertraut klingen. Mich trifft bei der Anrede „Irina Borissowna“ ein merkwürdig warmer Blick aus ihren plötzlich mädchenhaft sanften Augen.

      „Ich bin froh, einmal einen Menschen zu finden, der nicht zu diesem ewigen kleinen Hofcercle Mamas gehört! Was ist das für ein Kreis!“ sagt sie leise. „Führen Sie mich doch einmal in Ihre Welt! Ich folge gern . . .“

      Mein Herz steht still . . . Sollte doch? . . . Diese weiche, wie willenlose Sprache — dieses träumerische Auge, das unter dunklen Wimpern geheimnisvoll auf mir ruht . . . Was ist schliesslich auf Erden unmöglich? Mir schwindelt. Ich finde kaum die Worte. Aber ich fange an, meine Reisen, meine Studien im Ausland zu schildern. Mein Gott — was habe ich denn schliesslich erlebt? Aber Irina Tschurin hört gespannt zu. Sie sitzt, ohne sich zu rühren, die Hände im Schoss, und schaut mich unverwandt aus ihren schönen, jetzt ganz ernsten un reinen Augen an. Und ich rede. Ich bin wie berauscht. Ein unendliches, immer noch ungläubiges Glücksgefühl durchströmt mich. Ich habe auf Irina Tschurin Eindruck gemacht . . . Sie gibt sich gar keine Mühe mehr, es zu verbergen! Ich sehe es, während ich eifrig spreche, auch an den Gesichtern draussen im Salon . . .

      Aus ihm heraus verdunkelt eine massige Gestalt die Glasscheibenhelle des Wintererkers. Es ist der verwachsene Knjäs Chowansky, von der Dame des Hauses gefolgt.

      „Ich kenne Sie nicht, aber ich beglückwünsche Sie!“ sagt er zu mir in seinem tiefen Moskauer Russisch. „Doch leider muss ich Sie stören und mich verabschieden!“ Er wendet sich zu Irina, die ebenso wie ich aufgestanden ist. „Ich verlasse heute nacht schon Petersburg. Lebe wohl, schöne Russalka! Breche nicht zu viel Herzen!“

      Der verkrüppelte Moskauer Bojar ist ein entfernter Verwandter des Hauses. Er kann es sich erlauben, Fräulein Tschurin eine Wasserhexe zu nennen. Er darf ihr auch nach russischem Brauch einen Kuss auf die Stirn drücken. Sie lässt es mit scheinbar sittsam niedergeschlagenen Augen geschehen. Dabei zuckt es schon wieder verräterisch um ihre Lippen, und ein Schleier von Leichtsinn und Lebenslust legt sich über ihre eben noch klassisch strengen Züge . . .

      Der Fürst schreitet schwerfällig hinaus. Ich stehe zwischen. Mutter und Tochter Tschurin. Es ist eine gewisse Stille. Ich begreife, dass es auch für mich jetzt Zeit ist, mich zu empfehlen. Ich küsse die durchdringend parfümierte, fette, kleine Patsche Ihrer Exzellenz, dann Irinas schmale, blaugeäderte Rechte, die kühl und glatt wie aus Alabaster geformt in meiner ruht.

      „Lassen Sie sich bald wieder sehen!“ sagt Irina und schnell zu mir. Ich stammle ein paar Worte. Ich ziehe mich mit einer verwirrten Verbeugung zurück.

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