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hat sich noch über jeden Reformator lustig gemacht, ehe man ihn begriff“, antwortet Knut mit einer nervösen Handbewegung. „Ist das deine Begrüßung? – Nachdem wir uns drei Wochen nicht gesehen haben?“

      Er sah ungepflegt aus, müde, verstaubt.

      Diese Verwahrlosung stieß sie ab. Immer mehr drang der Verdacht in ihr durch, daß die andern recht hatten, die ihn verlachten. Sie sagt im Tone spitzen Vorwurfs, die Pflege des äußeren Menschen sei auch ein Stück Kultur.

      Er lacht bitter.

      „Wenn du wüßtest! Nein, es muß sich ja alles wenden! ... So oder so. – Entweder ich dringe durch, und man hört mich, oder“, und ganz unvermittelt: „... ich habe ja nicht einmal ein Nachtquartier.“

      Sie bleibt entsetzt, fassungslos stehen: „Du – hungerst wohl auch?“

      Er schweigt.

      Sie ist so niedergedrückt, daß sie kein Wort hervorbringen kann.

      Ein Bettler!

      Ein armseliger Bettler, ohne Heim, ohne Haus! Der Stolz ihrer Rasse bäumt sich dagegen auf, das Schicksal eines verlachten Narren zu teilen.

      Der Fluch der Lächerlichkeit, der ihn umgab, zernagte ihre Liebe.

      Sein Optimismus sah immer wieder den Sieg voraus. „Bis jetzt habe ich nur Niederlagen erlitten, Enttäuschungen um Enttäuschungen waren mir beschieden. Doch solange ich weiß, daß du zu mir hältst, Ly, gehe ich nicht unter. Ich gebe aber auch nicht nach. – Der Tag wird kommen, an dem Oberregierungsrat Rohden bei mir um eine Anstellung betteln wird, nachdem er mich jetzt auf die Straße gesetzt hat.“

      Ly ist vollkommen überreizt. Sie verabschiedet sich rasch mit Ausflüchten, die ihn verwirren und zu keiner Antwort kommen lassen.

      Zu Hause bestürmte sie den Vater, die geplante Abreise nach der Riviera zu beschleunigen.

      Am nächsten Tag stellte sie Onkel Rohden vor, daß es ein Unrecht sei, den langjährigen Redakteur seines Verbandsblattes einfach wegzujagen.

      Rohden zuckte die Achseln.

      „Die Blamage wuchs ins Unerträgliche. Ich hatte Geduld genug gezeigt. Er muß eben wieder Privatlehrer werden.“

      Ly sah Knut vor ihrer Abreise nicht mehr. Aus Nizza sandte sie ihm einen Brief. Entschuldigte ihre schnelle Abreise mit der Erkältung ihres Vaters und bat, Knut möchte alle seine Kraft aufbieten, sich einer neuen Laufbahn zuzuwenden, die seinem Können entspräche und ihn nicht länger außerhalb der Gesellschaft stellte.

      Knut Storting schrieb Ly fast jeden Tag, denn er hielt mit der Treue des Fanatikers an der Überzeugung fest, daß sie trotz dieser plötzlichen Abreise ihm nach wie vor ergeben war.

      Er wurde Schriftsteller und übersiedelte nach München. Im Süden, dachte er, kommt mir die Kraft des Siegers.

      Aber der Fluch der Lächerlichkeit folgte ihm auch nach München. Er ertrug sie mit stoischer Ruhe. Er fand wenigstens seinen vorläufigen Unterhalt als Korrektor bei einem Verlag, wo man ihn halb aus Barmherzigkeit aufgenommen hatte.

      In seinen freien Stunden arbeitete er ein Werk aus, in dem er seine idealen und reformatorischen Grundsätze vertrat. Einfach und zurückgezogen lebte er in dem äußeren Schwabing und arbeitete Tag und Nacht.

      Obgleich ihm Ly immer seltener schrieb und ihre Briefe immer unpersönlicher wurden, klammerte er sich fester denn je an diese Liebe, die nur noch ein Phantom war.

      Sein neues Werk im Verlage Schematzky erregte nach Erscheinen Aufsehen. Zum erstenmal las er in den Zeitungen Berichte, die sich nicht in ironischer Form mit ihm befaßten.

      „Ich werde nun reich werden“, sagte er zu seinen Freunden.

      „Mit einem Lehrstuhl als Dozent an der Universität wird es zwar nie etwas werden, das habe ich schon eingesehen. Aber mein Buch wird mir jetzt den Weg zu neuen Werken ebnen.“

      Er berechnete, daß das Erträgnis einiger Auflagen hinreichen würde, ihm die Mittel zur Gründung eines Hausstandes zu verschaffen.

      „Haben Sie sich auch Ihre Tantiemen gesichert?“ fragte man ihn.

      „Natürlich – das heißt – Schematzky ist ein Ehrenmann! Seine Überzeugungen decken sich vollkommen mit meinen eigenen!“

      Knut Storting sah kein Geld. Im Gegenteil! Schematzky wußte ihn zu überzeugen, daß zu dem gesteigerten Absatz unbedingt Reklame nötig sei, die der Verlag bei seinen großen Spesen nicht aufwenden könne.

      Knut gab seine geringen Ersparnisse und machte zum ersten Mal in seinem Leben Schulden.

      Wenige Wochen später war der Verleger verschwunden. Was er an Außenständen hatte eintreiben können, hatte er mitgenommen.

      Das war ein harter Schlag für Knut, denn der Ungar hatte einen Teil der Auflage des Buches, ebenso wie andere Werke, verschleudert, ehe er geflüchtet war.

      Die Angelegenheit sollte aber noch ein weit schlimmeres Nachspiel haben.

      Schematzky hatte ihm zu einigen Darlehen verholfen. Knut hatte ihm Blankowechsel gegeben, die der Ungar mit weit höheren Summen ausfüllte, als Knut in seiner Lage bezahlen konnte.

      Er verkehrte damals mit einigen Studenten, die von Hause aus reich waren.

      Deren Unterschriften hatte. Schematzky als Bürgen auf die Wechsel gesetzt.

      Beim Fälligkeitstermin stellte sich die Fälschung heraus, ohne daß sich der Verdacht zunächst auf Schematzky richtete. Knut Storting wurde der Fälschung bezichtigt. Da er sich vor dem Untersuchungsrichter ungeschickt verteidigte und auch noch bestrebt war, den flüchtigen Schematzky nach Möglichkeit zu schonen, so wurde die Untersuchungshaft über ihn verhängt. –

      Er ging in seiner Zelle auf und nieder, auf und nieder.

      Vier kahle Wände.

      In dem engen Gitterfenster ein fahles Halbdunkel. An besonders hellen Tagen, wenn die Sonne sogar in diesen düsteren Gefängnishof ihren Weg findet, ein blauer Fetzen des Himmels.

      Da saß er auf dem Rand seiner Pritsche und dachte nach.

      Oder besser, er dachte an nichts. Er empfand nur:

      Warum muß ich hier sitzen? Warum tut man mir diese ungeheuere Marter an, mir, dem die Freiheit das allerhöchste Gut auf Erden ist?

      Die Stunde stand still mitten im Räderwerk der Zeit.

      Erst erfaßte ihn qualvolle Verzweiflung. Dann, als die Tage in bleierner Schwerfälligkeit dahingingen, begann er sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen.

      Er huldigte den Grundsätzen Spinozas: in der Natur gibt es nichts Zufälliges. Alles ist vielmehr aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu sein und zu wirken.

      Wenn ich also dieses Leid und diese Demütigung unschuldig auf mich nehmen muß, dachte er, so muß doch irgendeine andere geheimnisvolle Schuld gegen mich oder andere auf mir lasten, daß ich diese Prüfung bestehen muß. – Da kam er dann, als er sich mehr und mehr Lys Worte in die Erinnerung zurückrief, ja, als sie erst eigentlich in ihm zu klingen begannen, zu der Einsicht, die sie ihm so oft gepredigt: daß er in dem ewigen Suchen nach Dingen, die nicht waren, sich selber ganz verloren hatte. Daß er wohl in der Welt gelebt, aber keine Fühlung zu ihr gefunden hatte. Darum mußte wohl, früher oder später, dieses Leid über ihn kommen und ihm die Augen öffnen.

      Ly hatte es ihm immer prophezeit.

      Allmählich wurde er ruhiger. Was Monate und Jahre nicht vermocht, das vollbrachten jetzt Stunden. Eine neue Erkenntnis seines inneren und äußeren Lebens brach sich in ihm Bahn. Er versuchte mit der Elastizität der Jugend allmählich wieder ins rechte Gleis zu kommen. Den verlorenen Weg ins Leben zu finden.

      Er begriff wie nie zuvor den Segen der Arbeit. Einer praktischen und gesunden Tätigkeit, an die er, wenn er seine Fähigkeiten überdachte, wirklich fruchtbare Erwartungen knüpfen

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