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Ihnen entgegenkommen sollen. Aber, wie gesagt, ich war von Haß verblendet.«

      Klaus Leonhardt hatte sich wieder gefaßt.

      »Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte er mit seinem alten spöttischen Unterton.

      »Verstehen Sie mich wirklich nicht?« fragte Direktor Grosser, »oder macht es Ihnen einfach Freude, mich zu demütigen?«

      »Ich bin und war, im Gegensatz zu Ihnen, nicht von Haß verblendet. Ich will nichts als mein Recht.«

      Direktor Grosser zögerte.

      »Ich denke, es müßte Ihnen eine gewisse Genugtuung bereiten, wenn ich mich dazu entschließe. Sie als Schwiegersohn in meine Familie aufzunehmen!«

      Jetzt, zum erstenmal, verlor Klaus Leonhardt die Fassung. Er sprang auf.

      »Was?« fragte er konsterniert.

      »Sie haben mich ganz richtig verstanden. Heiraten Sie meine Tochter! Dadurch wären Sie doch gewissermaßen rehabilitiert, und darüber hinaus würde ich alles Menschenmögliche versuchen, um Ihre Rückkehr in den Schuldienst zu ermöglichen!«

      »Nein«, sagte Klaus Leonhardt, »nein, nein, ich kann nicht! Bitte sprechen Sie nicht weiter, Herr Direktor, ich weiß, Sie meinen es gut. Sie meinen es wahrscheinlich wirklich gut! Aber… Sie gehen bei Ihrem Angebot von völlig falschen Voraussetzungen aus! Begreifen Sie doch endlich … bitte, begreifen Sie es! Ich habe Gisela nicht verführt, und ich bin nicht der Vater ihres Kindes! Ich würde es zugeben, wenn es so wäre… aber ich habe nichts zuzugeben! Niemals wäre ich fähig gewesen, mich an einer meiner Schülerinnen zu vergreifen!«

      »Das Gericht…«

      »Ach, hören Sie mir auf mit dem Gericht! Das Gericht hat die Wahrheit so wenig gekannt wie Sie! Ich weiß, daß zwischen Ihrer Tochter und mir niemals etwas gewesen ist… reden Sie mit Gisela! Nur sie kann Ihnen sagen, wer der wirkliche Vater ihres Kindes ist!«

      »Meine Tochter ist keine Lügnerin«, sagte Direktor Grosser mit Würde, »ich habe sie zur Wahrheitsliebe erzogen, sie wäre gar nicht fähig, sich eine so ungeheure Geschichte einfach auszudenken …«

      »Sie kennen Gisela nicht! Auch ich habe sie nicht gekannt, ehe sie mir nicht vor Gericht ihre dreisten Lügen mitten ins Gesicht gesagt hat. Reden Sie noch einmal mit ihr! Inzwischen ist sie älter geworden, vielleicht wird sie sich jetzt zur Wahrheit bequemen! Machen Sie ihr klar, daß es das Beste ist, was sie tun kann, denn sonst werde ich sie zwingen, die Wahrheit zu bekennen!«

      Direktor Leonhardt zog die Augenbrauen zusammen.

      »Soll das eine Drohung sein?«

      »Jawohl. Sie haben mich ganz richtig verstanden. Sehen Sie sich den kleinen Christoph an, und sehen Sie mich an, urteilen Sie objektiv! Dieser Junge ist nicht mein Sohn und kann nicht mein Sohn sein, er ist der lebende Beweis dafür, daß ich zu Unrecht verurteilt worden bin. Glauben Sie mir, ich ziehe ein unschuldiges Kind nicht gerne in eine solche Sache hinein, aber ich habe keine Wahl. Durch dieses Kind werde ich beweisen, daß Gisela eine Lügnerin und eine Meineidige ist, Gisela, genau wie ihre Freundinnen und ehemaligen Klassenkameradinnen. Durch dieses Kind werde ich meine Rehabilitierung erlangen!«

      Klaus Leonhard wandte sich zur Tür, und Direktor Grosser machte keine Anstalten, ihn zurückzuhalten oder zu begleiten. Er ließ sich in den Sessel sinken und stützte den Kopf in beide Hände. Es war ihm, als sei die Welt, in der er lebte, ins Wanken geraten.

      Christa Landau hatte ihren Finger schon auf dem Klingelknopf, als sie plötzlich wieder von jener Angst überfallen wurde, die ihr Leben vergiftete, seit sie wußte, daß sie Mutter werden würde.

      Sie ließ die Hand sinken und starrte zu den erleuchteten Fenstern ihres Elternhauses hinauf. Sie sah die beiden förmlich vor sich, Vater und Mutter, wie sie jetzt im Wohnzimmer beisammen saßen – konnte sie da einfach hineinplatzen? Hier bin ich! Ich habe Pech gehabt, ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll, ich brauche eure Hilfe!

      Nein, unmöglich! Mit der Mutter, ja da würde sich am Ende noch reden lassen. Zwar war das Verhältnis zwischen Christa und Frau Landau in den letzten Jahren gespannt gewesen – Frau Landau hatte sich ihrer Tochter gegenüber immer sehr kritisch verhalten –, aber gerade deshalb würde sie vielleicht nicht allzu enttäuscht sein, wenn sie erfuhr, was passiert war. Nach allem, was Beate erzählt hatte, schien sie es ja zumindest schon zu ahnen. Aber der Vater!

      Christa wußte, wieviel sie ihrem Vater immer bedeutet hatte, wie stolz er auf sie war, wieviel Hoffnungen er in sie gesetzt, welch unbegrenztes Vertrauen er ihr geschenkt hatte! Und jetzt sollte, jetzt mußte sie ihn so enttäuschen, ihn, den liebsten Menschen, den sie auf der Welt hatte! Einen solchen Schlag mußte sie ihm versetzen!

      Christa biß die Zähne zusammen, um nicht nervös aufzuschluchzen. Nein, das brachte sie nicht über sich!

      Sie wandte sich langsam ab, eilte die abendliche Straße zurück und hielt sich ängstlich im Schatten der Bäume, um nicht unversehens einem Bekannten in die Arme zu laufen. Sie fühlte sich elend, verstoßen, verraten, verlassen. Was sollte aus ihr werden? Wo sollte sie hin?

      Nein, sie durfte nicht fliehen, es gab keinen Ort auf der ganzen Welt, wo sie sich hätte verstecken können, und es ging auch nicht mehr um sie allein, Christa Landau, Tochter aus gutem Hause – sie trug jetzt die Verantwortung für einen zweiten Menschen, das ungeborene Kind unter ihrem Herzen.

      Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine Telefonzelle. Christa blickte scheu nach rechts und links, bevor sie hastig die Fahrbahn überquerte. Als sie die Zelle betrat, ging das Licht an, und sie fühlte sich quälend allen neugierigen Blicken preisgegeben. Wieder mußte sie aufsteigende Panik bekämpfen, suchte nervös nach Kleingeld, warf es ein und wählte die Nummer der elterlichen Wohnung.

      Nach peinigenden Sekunden des Wartens meldete sich eine unbekannte, ungeschliffene Mädchenstimme: »Hier bei Generaldirektor Landau!«

      »Wer spricht denn da?« fragte Christa.

      »Hier bei Generaldirektor Landau«, wiederholte das Mädchen unsicher.

      Gisela begriff, daß es sich um die neue Hausangestellte handeln mußte, von der ihre Mutter vor vierzehn Tagen geschrieben hatte.

      »Hier ist Christa Landau«, sagte sie so klar und gefaßt, wie es ihr möglich war. »Würden Sie, bitte, meine Mutter ans Telefon rufen?«

      »Ihre Mutter?«

      »Ja, Frau Landau.«

      Es knackte in der Leitung. Christa glaubte schon, daß das Mädchen aufgehängt hätte, aber dann war die Stimme ihrer Mutter plötzlich da, sehr nahe, mit jenem schrillen, nervösen Unterton, den Christa von vielen früheren Auseinandersetzungen her nur zu gut kannte.

      »Christa, bist du es wirklich? Wo steckst du denn? Wie konntest du Hamburg verlassen, ohne mich zu benachrichtigen? Ich habe dich überall gesucht! Du ahnst ja nicht, was für Sorgen ich mir um dich gemacht habe!«

      »Ich bin hier in Bad Harsfeld, Mutter«, sagte Christa gefaßt. »Ist Vater zu Hause?«

      »Du willst deinen Vater sprechen?« fragte Frau Landau verständnislos. »Glaubst du nicht, daß es besser wäre, du würdest dich erst einmal mit mir unterhalten?«

      »Doch, Mutter«, sagte Christa geduldig, »das will ich ja, deshalb rufe ich an. Wenn Vater zu Hause ist …«

      »Nein. Er ist fort. Wie jeden Abend.«

      Christa war viel zu aufgeregt, um sich Gedanken über diese seltsame Eröffnung zu machen.

      »Dann komme ich«, sagte sie erleichtert, »ich darf doch kommen? Ich bin in fünf Minuten bei dir!«

      Ehe Frau Landau noch eine Frage stellen konnte, legte sie auf.

      Als das Mädchen gemeldet hatte, daß Christa sie zu sprechen wünschte, hatte Frau Landau im ersten Augenblick nichts als eine riesengroße Erleichterung gespürt. Christa lebte, sie war gesund, das schien ihr in diesem Augenblick das

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