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      Man schickte eine Ordonanz in Schubarts Zelle; der Mann rapportierte, der Herr Professor bitte um etwas Geduld, er sei noch nicht adrett hergemacht und etwas derangiert.

      Man führte die Damen inzwischen auf dem Festungshof herum, wo gerade exerziert wurde, bis dann aus einer kleinen Tür ein Trupp Gefangener sich herauswand wie eine graue müde Schlange, einer nach oder neben dem anderen, gebeugte haarsträhnige Köpfe, kaum ein Aufblicken, Ketten an den Handgelenken, schlurfend, langsam.

      Da rief jemand aus dem Fenster über ihnen, der Herr Professor lasse bitten.

      Schubart war (schon nach dem ersten schweren Jahr) ein bevorzugter Gefangener, allein in der Zelle, die er sich ein wenig bequemer ausstatten konnte. Ein Besuch, vollends von Frauen, war freilich aufregend und alarmierend für den Mann, der im Gleichmaß versunken und in seiner Hoffnungslosigkeit und Verbitterung eingeschnürt lebte. Man hatte ihm gesagt, acht Jahre nach seiner Verhaftung werde er seine Familie sehen dürfen – Helene, seine Frau, der er verzweifelte Briefe schrieb.

      Kurz vor diesem Damenbesuch hieß es in seinem Brief an die Frau: „Der Herzog muß äußerst gegen uns aufgebracht seyn, weil mein siebenjähriger Kerkertod ihn noch nicht auszusöhnen imstande ist… Inzwischen bin ich fest gesonnen, einen neuerlichen Versuch für meine endliche Erlösung zu wagen … Wie gern wollte ich alles wagen, wenn es Dir erlaubt wäre, mich zuweilen auf einige Tage besuchen zu dürfen und meinen Gram auf Deinem Herzen zu verweinen! Aber schrecklich ist’s, daß uns der Herzog so ganz und gar verkennt und uns für eine verdächtige Zigeunerbande anzusehen scheint. Gott hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Seele!“

      Aber die Hoffnung, die Seinigen bald zu sehen, wurde immer wieder – bittere Seelenfolter! – zunichte gemacht.

      Und da kamen nun drei Frauen aus der „oberen Welt“, gepflegte ansehnliche Wesen in modischer Tracht, etwas, das er längst nicht mehr kannte. Die Mutter, Madame von Lengefeld, ein wenig dicklich und ein bißchen geziert, mit scheuen, flackernden Augen und gedrehten Schläfenlocken, rosarot und seidenraschelnd, im braunroten Überwurf – (so müßte Helene sich jetzt kleiden, wenn sie nur Geld genug hätte) – und die Töchter, die untersetzte Karoline, die er zuerst für die jüngere gehalten hatte, ihrer runden Wangen wegen, und die andere, die man ihm als Charlotte vorstellte – er verneigte sich vor ihnen allen, vor jeder einzeln – am tiefsten vor Charlotte mit dem langfallenden braunen Haar, den großen rührenden Augen; er nahm den schlanken Hals wahr, die zartschimmernde Haut, die schmale Gestalt – und schaute und schaute, obwohl er sich seiner peinlichen Lage bewußt war, so ungepflegt und schlecht frisiert vor ihnen zu stehen, die ihm wie Engelswesen erschienen.

      Der Kommandant von Scheeler beobachtete wohlwollend die Szene, wie er überhaupt gern arrangierte, nicht ganz so berechnend wie sein Vorgänger, der Obrist Rieger, der den Schubart wie eine Fliege in seiner Hand hatte tanzen lassen, als er ihm den „Dr. Ritter“ zuführte und das Gespräch – etwas gewaltsam – auf das neue Schillerdrama lenkte, auf die „Räuber“, über das er, Schubart, eine Rezension hatte drucken lassen – bis Schubart sich, endlich aufgeklärt, in hingerissener Begeisterung und Freudentränen „ergoß“ und Schiller umarmte.

      Von dieser Szene hatten die Damen gehört. Man berichtete, wie der junge „Räuber“-Dichter gerührt die Umarmung des Gefangenen empfing, und was für ein lebhaft angeregtes Gespräch zwischen den beiden hin und her gegangen war.

      Jetzt, als die drei Frauen ihre zierlichen Schuhe trippelnd auf dem unebenen Steinboden des Verlieses bewegten, Schubart stehend die Hände rieb und der Wärter sich um Stühle bemühte – diesmal kam kein feuriges Gespräch zustande.

      Karoline fragte schließlich in eine peinliche Pause hinein, was man denn für ihn, den gefangenen Poeten, Hilfreiches tun könne.

      Aber sie merkte gleich darauf, daß solche Themen, die ja eine Bedürftigkeit voraussetzten, in Gegenwart des Kommandanten unerwünscht waren.

      Schubart, im Bemühen, die Damen für die Anstrengung ihres Besuches zu entschädigen, fragte leise und demütig, ob es wohl statthaft sei, daß er sein Gedicht über den Ausblick von der Mauer vortrage? Und beim Nicken des Kommandanten fing er schon an, heiser und selbst gerührt, zu deklamieren:

      „Schön ist’s, von des Thränenberges Höhen

      Gott auf seiner Erde wandeln sehen,

      Wo sein Odem die Geschöpfe küßt …

      Schön ist’s, in des Thränenberges Lüften

      Bäume sehn in silberweißen Düften,

      Die der Käfer wonnesummend trinkt, …

      Und der Neckar, blau vorüberziehend,

      In dem Gold der Abendsonne glühend,

      Ist dem Späherblicke Himmelslust.

      Und den Wein, des siechen Wand’rers Leben,

      Wachsen sehen an mütterlichen Reben,

      Ist Entzücken für des Dichters Brust …

      Aber, armer Mann, du bist gefangen,

      Kannst du trunken an der Schönheit hangen?

      Nichts auf dieser schönen Welt ist dein!“

      Schubart stockte auf einen Wink des Kommandanten, der ihn vorsichtig zur Bank führte, auf der er sonst saß.

      Aber er, der sich einen Augenblick lang die Stirn gewischt hatte, stand gleich wieder da, hielt sich an der Mauer und deklamierte mit tönender Stimme, ein bißchen zu pathetisch, wie es Lotte schien:

      „Alles, alles ist in tiefer Trauer

      Auf der weiten Erde, denn die Mauer

      Meiner Veste schließt mich Armen ein …

      Doch herab von meinem Thränenberge

      Seh ich dort den Moderplatz der Särge,

      Hinter einer Kirche streckt er sich, …

      Grüner als die andern Plätze alle –

      Ach, herab von meinem hohen Walle

      Seh ich keinen schönem Platz für mich!“

      Während der Kommandant mit gefaßter, geübter Geduld aushielt, die Mama sich wohlerzogen und etwas verlegen über die Szene hinwegrettete, von künstlerischen Regungen unberührt, stand Lotte still und in sich gekehrt in einer Ecke und schaute großäugig und mitleidig auf den zerzausten, verstörten Mann, dem in seiner jahrelangen Isoliertheit jedes Selbstgefühl, sogar alles Maß für Abstand und Begrenzung verloren gegangen war; er wußte selber kaum noch, was erwünschtes Pathos, beabsichtigte Rührung – und was echtes Leiden ist …, ein Entwürdigter, der seine Persönlichkeit kaum mehr aufzubauen fähig sein würde, wenn er … ja, wenn er freikam.

      Karoline, scharfen Verstandes, aber voll überschwellenden Gefühls, hatte die Deklamation nur mühsam überstanden – jetzt, bei den erschütternden Schlußsätzen, fing sie plötzlich an zu weinen.

      Der Oberst trat auf sie zu und berührte ihren Arm, um sie vorsichtig gegen die Tür zu lenken, die chère mère folgte schnell nach, Lotte zögerte noch einen Augenblick und ging dann auf den Mann zu, der erschöpft auf sein Schemelchen hingesunken war. Er hatte die Augen wie in Scham zugedrückt und den Kopf gesenkt; da nahm sie seine herabhängende Hand und hob sie an ihren Mund. Dann lief sie schnell den anderen nach.

      Schubart, als ein Exempel für den Unwert des Geistigen in diesem System, ist für Lotte so eindrücklich, daß sie kaum mehr Augen für ihre Umgebung hat; Karoline sieht alles realistischer, so stark und übersteigert sie die Augenblickseindrücke aufnimmt: sie merkt bei allem Mitgefühl auch etwas von Schubarts Überschwenglichkeiten, eben weil sie auch zu ähnlichen Reaktionen neigt. Sie spürt Verwandtes und ahnt Gefährliches, vor dem sie sich selber zu hüten gelernt hat – ganz in Beulwitzens Sinn. Bloß, ob das immer gelingen könnte? Sie hofft es, aber sicher ist sie nicht, Augenblicksmensch, der sie ist …

      In der Carlsschule lebt

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