Скачать книгу

lebt, sich beständig verändern zu lassen, und nicht weiß, wie sie aussehen würde, wenn nicht Menschen über sie hergefallen und von ihr angereizt worden wären, das Bild ihres eigenen Wesens aus ihr hervorzutreiben. Doch war, was auch herauskam, schon wieder dunkel geworden, und wenn man es befragte, so gab es nicht ja oder nein, sondern, ach, wie vieles zur Antwort, das durcheinanderging . . . Diese Sandschlucht zum Beispiel – der Mann sah hinüber und hörte Knabenstimmen – was wollte die doch bedeuten?

      Er näherte sich, nahm Kinder wahr, die den letzten Tag der Kartoffelferien mit Räuberspielen verbrachten und, auf Händen und Füßen kriechend, die Ränder bewimmelten. Nun brachten sie einen Gefangenen her und warfen ihn in die Höhle, sie fesselten seine Hände und erschossen ihn dann mit Scherzpistolen, deren Zündplättchen in der klaren Luft hart und belustigend krachten. Das Kind sank wahrheitsgetreu in den eckigen Knien zusammen, kugelte seitwärts zur Erde, zuckte und legte sich hin. Die Revolvertruppe zog wieder ab und ließ nur zwei Wächter zurück, die sich hoch auf der Schlucht postierten. »Bon jour«, sagte Aladin laut und dann erst Guten Tag, als er am Eingang stand. Die Buben sahen ihn an und stoben eilig davon, der Tote rührte sich nicht. »Brav! brav!« nickte Aladin, von wilder Freude erfüllt, und starrte besessen hin. In der Ferne tobten die andern und sammelten sich unter Pfiffen, ihre Stimmen entfernten sich rasch und liefen, da nirgends ein Echo war, wie runde feste Tropfen an einer Ölhaut ab.

      Mit einem Ruck fuhr der Knabe empor und blickte den Fremden an. Sie waren beide erschrocken, der Mann bedeckte die Augen und flehte: »liegen bleiben!«

      »Nä«, gab der Junge patzig zurück, seine Angst unter Frechheit verbergend.

      Der Mann warf ein Silberstück hin: »Pst, pst, nicht herauskommen«, bettelte er, »bis der Franzos’ um die Ecke ist.«

      Der Junge begriff. »Spielt ihr mit?«

      »Ja«, flüsterte Aladin.

      »Ach so«, er steckte das Geldstück ein und legte sich auf den Rücken; wie ein Sandvogel rannte Aladin mit vorgestrecktem Kopf und lächerlich kurzen Schritten durch die künstlichen Dünen davon.

      Erschöpft blieb er endlich am Eingang der Lagergrenze stehen und drehte sich vorsichtig um. Es war niemand nachgekommen; es war nicht herausgekommen, das kleine Tote dort... Weil der Weg ihn hinangeführt hatte, umfingen die Blicke des Mannes das eben begangene Land. Die Mittagssonne durchtränkte den Himmel mit feuerblauem Glanz und kerbte den unbewegten Saum der hohen Kiefernwälder, deren Kreis die Schonung der Buchenstämme und den Zug der Maste umschließt, tiefschwarz am Horizont ein. Diesen Blick – er kannte ihn doch aus einem anderen Leben, das er verlassen hatte, um Aladin zu werden. Er war ihm vertraut, freilich so, als ob er vorher von Stangen umrahmt und eingeschlossen gewesen, jetzt aber offen wäre. Richtig, hier hatten Baracken gestanden, die nach dem Vertrag zerstört werden mußten, als die Truppen das Land verließen. Man konnte noch deutlich bemerken, wie das Gras ihren Grundriß bezeichnete, und die ausgesparte Fläche erkennen, welche Wohnraum gewesen war. Sie lag dürr und tot, gleichsam ausgebrannt, wie es Aladin vorkam, und man konnte sich denken, daß Klette und Beifuß sie nur langsam, fast widerwillig, besiedeln und dem übrigen Boden angleichen würden. »Wüst!« sagte der Mann und empfand gleich darauf einen stechenden Schmerz im Hinterkopf: eine reißende Klarheit, die ihm das Hirn wie ein Fremdkörper zu zersprengen drohte. . . die Bodenfläche entflammte sich, wurde glühend und ockergelb, von einem Himmelsrand abgegrenzt, dessen Bläue nicht zu ertragen war . . . hier hatten doch die Männer der Fremdenlegion gelegen, die deutschen Legionäre, gleich hinter dem Militärgefängnis, dessen Backsteinbau mit den kleinen, hoch eingesetzten Fenstern dort drüben zu sehen war? Und weiter. . . was weiter, Aladin? Der Schmerz hatte nachgelassen, eine dumpfe, betäubende Leere erfüllte seinen Kopf. In einiger Entfernung ging eine große Säge beharrlich auf und nieder; sie schien ihm die harten Nähte seiner Hirnschale aufzubeißen, ihm schrecklich helfen zu wollen . . . Ruhig – es war keineswegs Gottes Säge, deren Zähne ihn raspelten; er sah jetzt deutlich das Eisen durch die mageren Büsche blitzen und ging erschöpft darauf zu. Ja, wirklich: da sägte einer in dem offenen Gartenhaus, das zu der eingezäunten Gemüsepflanzung gehörte, die schon in deutschen Zeiten dem Anbau von Borratsch, Dill, von Blumen und Obst hatte dienen müssen, jetzt aber nichts anderes mehr als ein verwilderter Grasgarten war, den das graubraune Laub der Zwetschgenbäume dicht überrieselt hatte.

      »He, Kamerad!« rief Aladin, der sich selbst und den Ton der Säge nicht länger ertragen konnte. Der andere hörte ihn nicht, hielt die Stirne gesenkt und schaffte mit verbissenem Ausdruck weiter. Der Wanderer trat an den Gartenzaun und merkte: da war was nicht richtig; der Mann zersägte ein Schemelchen und hatte schon eine Bank, einen Tisch, ein Regal zerkleinert, deren Teile neben ihm lagen. Nun ja, hier erwischte wohl jeder den andern auf einer Missetat; und fragte er, Aladin, diesen Mann, so würde der rückwärts deuten, mit den Schultern zucken wie alle und ihm zur Antwort geben, dieses Zeug sei zu nichts anderem wert, als daß man es eingrabe, kleinhacke, säge, verbrenne und vergesse. Ein Zeitalter wurde zerhauen, und es war nicht gut, wie ein Wildschwein in dem Boden nach Trüffeln zu suchen. Wer suchte, der fand wohl – doch nichts, was ihm zur Nahrung dienen und seinen Bauch, wenn er abgesackt war, aufs neue mästen könnte. Eingraben . . .! Zuschütten . . .! befahl sich der Mann, salutierte, stand stramm: zu Befehl. Er schulterte die Flasche, ging im Paradeschritt ab. Marschieren. Marschieren. Marschieren. Da hinten schloß sich das Totenfeld mit seinen steinernen Kammern; das Stumme, das Niegesagte, sank wie ein Zug Fische zum Wassergrund, wenn es kälter wird und die Decke vereist, wenn die Netze hereingeholt und geflickt, die Korken erneuert werden . . . Korken! Jetzt wußte er endlich, wo er ihn hernehmen sollte, wo sein Brot für den Winter gebacken würde, sein Feuerchen knackte und sprang. Er mußte zum Altrhein hinüber, dorthin, wo die Wege sich gabelten – der eine in die Irrenanstalt, der andere zu den Höfen mit Fischpacht und Bootshäusern führte. Die Netze. Wenn sie im Wasser nichts mehr zu suchen hatten, so fuhren sie durch das Trockene und schleiften die Hauswand entlang; sie ratschten über den Boden und hatten ihn eingefangen: keine fette Schleie, ach nein, nur einen erbärmlichen Weißling, dem die Grätenschon durch die Seiten stachen. Wie er sich drehen würde, blieb er doch immer darunter, vermochte nicht durchzuschlüpfen; die Maschen waren zu eng, und ein Leben war sicher zu kurz, um das Loch, das er suchte, zu finden . . . das Loch, das ein Ausgang war.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCBAlDBwDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwCcn5qO hzSHrTjzVHINzzS0Ac0HrigAFOAzTRTs4oAQjFFITzSg0ALRRRQAueKBTcU4UCHdqb0pwpCM0AL2 pKOlAoAdRSZpaAEpWzmkp3XpQAAmlzSYPtSCgBcZpdtAozQAZI4pMnNO6ikNABuoyTSUDrQIMHdT 6KTNADh1oPWgUHpQAmeaUnNJ2oFADgcUlIetL2oAKWmg5p

Скачать книгу