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wann’s dem Vater zuviel war“, der Simon holte ein rotgeblümtes Taschentuch hervor und schnaubte sich tränenschluckend. „Die Arbeit hab’ ja i getan! I war ja immer der Baumeister hier auf dem Hof. I hab’ mich plagen derfen mit Odelfahren und den Motor anlassen und die Zäune flicken. Und i wär’ doch so viel lieber geistlich geworden wie der Donat drinnen!“

      „Du verstehst die Bauernsach so gut wie einer!“

      „’leicht schon! Aber es gibt halt noch mehr in der Welt . . . “

      Die Brüder verstummten. Es rief aus dem grünen Wald übers Tal, immer wieder, und der Simon hub an:

      „Hörst den Kuckuck? . . . Aber hat je einer den Kuckuck gesehen?“

      „I schon mal . . . auf der Jagd . . . “

      „Ja. Du. Aber sonst keiner. Das is nur ein Ruf — verstehst . . . ein Ruf an einen . . . bald da, bald dort — man weiss nit, woher der Ruf kommt! Aber man hört ihn vom Morgen bis in d’ Nacht!“

      „Was du daherspinnst . . . “

      „Das sind nur Gedanken — gerad’ jetzt — wo der Vater heim is! . . . Ja — Flori — jetzt liegt der Hof auf dir. . .“

      2

      Drei Tage rief der Kuckuck — vom Frührot über den Loferer Bergen bis zum Bluthimmel abends drüben über dem Chiemgau, drei blaue Maientage hindurch, bis sie unten, auf dem Friedhof in Pittenham, den Vogl-Bauern begruben.

      Den goldenen Strahlenreif über dem Haupt, sah die schmerzhafte Mutter Gottes von dem Ehrenmal mit den vielen Namen der gefallenen Weltkrieger auf das Gewimmel schwarzer Röcke und blosser, wetterbrauner Köpfe zwischen den Leichensteinen. Im Frühlingswind bewegten sich leise die langen, schwarzen Bänder an den goldgestickten Tellerhüten der Frauen. Ein Halbkreis von Vereinsfahnen ragte in schweren, hängenden, bunten Falten über die Menschen und die Kreuze.

      Der Flori Vogl stand mit seinen Brüdern und Schwestern vorn am Grab und hörte die Reden. Schön sprach er, als Letzter, der Herr Hauptlehrer Wiedemann im Namen der Gemeinde. Ein vorbildlicher Bauer für unser Volk der Berge, vom alten Schrot und Korn, dem neuen Wesen abhold. Karg hat er sich zeitlebens freilich gegeben, der Lorenz Vogl. Viel Reden war nicht seine Sach! Er hat lieber geschafft, streng mit sich und streng mit den andern. Nun geh heim, Vogl! Du hast’s vollbracht!

      Der letzte Segen. Das Kollern der Schollen. Jetzt war’s zu End’! Der Florian Vogl, der neue Bauer in der Au, schüttelte überalhin Hände. Er stand da, sechs Fuss hoch, jung und hager und sehnig, mit seinem dunkeläugigen, schnurrbärtigen, verwegenen Raubvogelkopf — fremdartig jetzt — auch sich selbst — in dem ungewohnten schwarzen Rock und dem hohen schwarzen Hut. Auf dem Platz vor dem Alten Wirt wartete sein Leiterwagen mit eingenagelten Sitzbänken. Er stieg auf und griff nach den Zügeln der beiden starken Gäule, die sonst in den Bergen die Holzfuhren zogen. Neben und hinter ihm sassen die Brüder, Donat, der Hochwürdige in schwarzem Priesterrock, und der blasse Simon, und die Schwestern, die Heissin von Walching und die Ametsrainerin von Egg, und ihre Männer und die Jüngste, die Leni, die Pfarrersköchin, und im Wagenrasseln rief die Zenz, die frische, blühende, junge Bäuerin vom Chiemsee, ihrem Bruder ins Ohr:

      „Kommst fei’ in die strengste Zeit jetzt, im Sommer, Flori — wo du eh’ von nix was weisst!“

      „Kann i dafür, dass mich der Vater in nix eingeweiht hat?“ Der Bauer scheuchte mit einem Peitschenschmitz eine Rossmucke vom Pferdehals. „Er hat ja wochenlang kein Sterbenswörtl gered’t!“

      „Ja — meinst denn, mit mir?“ rief hinter ihm der Simon.

      „Dass i da lieber auf d’ Jagd gegangen bin — soll i epper dastehn wie ein Depp, wann der Vater alles selber macht?“

      „Und er hat’s nimmer alles selber machen können!“ bestätigte von hinten der Simon. „Gerad’, was sie mögen, haben s’ g’trieben, auf dem Hof — die Leuť!“

      „Und dir war’s recht, und du bist halt zur nächsten Fahnenweih’ und zum Platteln gefahren!“ sprach die rotbäckige Heissin von Walching. „Da is er überal bekannt — der schöne Flori — im Land! — Na . . . ein sauberer Bursch bist freili’ . . . Aber jetzt derfst schaug’n, dass du wieder a Ordnung in der Au schaffst!“

      „Vogl! A Karten für di!“

      Der Postbote, der sein Rad aufwärtsschob, reichte dem Bauern eine Postkarte hinauf. Der hielt sie, die Zügel in der Linken, vor die stählernen Augen.

      „Ausg’schamter Gloifi!“ sprach er. „Der neue Senn, der morgen einstehn sollť, sagt auf.“ Und er las die letzten Krakelfüsse. „ . . . Und nähme ich lieber disse Stellung in München als Beifahrer beim Lastauto an. Es griesst Ihr lieber Mooslechner Xaver.“

      „Der hat g’spannt, dass der Vater tot is und a neuer Herr kimmt!“ rief die Leni. Der Florian Vogl warf die Karte aus dem Wagen.

      „Sakra! Sakra! Und nächster Tag’ muss das Vieh auf die Alm!“ Er stieg vor seinem Hof ab. Er hing in seiner Kammer oben den schwarzen Rock in das Kastl. Er trat, wieder Bauer, in Joppe und nackten Knieen und Wadenstutzen, allein in das Arbeitszimmer seines Vaters. Er setzte sich an das Pult. Es war ein Glück, dass sie gleich nach dem Tod des Alten das Versteck seiner Schlüssel, in der Mauernische, unter dem hohlen, porzellanenen Madonnenbild, gefunden hatten.

      Er öffnete das eine Schubfach, in dem der Vater immer schweigsam und verbissen gekramt hatte. Er zog einen Haufen Papiere heraus und durchblätterte sie. Finanzamt-Nebenstelle Holzing stand auf den meisten. Auch Gemeindekasse Pittenham: Umsatzsteuer. Hauszinssteuer. Gewerbesteuer aus Sägewerk. Einheitswertbescheid, Landeskirchenumlage, Gemeinde-Kirchenzuschlag, Grundsteuer, Distriktsumlage, Verwaltungskostenabgabe, Bauernkammerbeitrag — ihm wurde wirr vor den Augen. Er griff nach einem andern Packen: Kreiskrankenkasse. Alters- und Invaliditätsmarken. Unfallversicherung der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft . . .

      Der Bauer fuhr sich mit der braunen Hand über die Stirn. Er entfaltete ein drittes Bündel Briefschaften. Alle auch mit Behörden-Vordruck. Das waren jetzt die Ämter.

      Das Arbeitsamt. Das Landeskulturamt. Das Messungsamt. Das Grundbuchamt. Das Salinenamt. Das Bezirksamt. Das Forstamt. Das Amtsgericht. Die Wildbachverbauung. Die Brandversicherungskammer . . . Es waren noch viel mehr. Es war dem Flori, als füllte sich das Zimmer in dem einsamen Berghof mit unzähligen fremden Herren aus der Stadt, die ihm über die Schulter guckten, ihm rieten, drohten, befahlen, verboten, ermahnten, erinnerten, warnten — ohne einander — gegeneinander — jeder für sich, wie’s traf.

      Der Florian Vogl schaute verstört auf die Masse Papier. Er wusste nichts damit anzufangen. Die vielen Drohungen mit Gefängnis, Beitreibung und Zwangsvollstreckung erbosten ihn. Er sperrte vorsichtig all das Gedruckte und Geschriebene wieder in die Schublade und schloss sie zu. Und ging in den Stall zum Grossknecht.

      „Musst die erste Zeit hinauf auf die Alm, Battist! Der Xaver, der Teifi, hat abg’schrieben!“ sagte er. Aber der Johann-Baptist schüttelte seinen freundlichen Dickkopf:

      „Na — Bauer! Am Ersten geh’ i!“

      „Ja wohin denn?“

      „I hab’ a Saisonstellung als Hausmeister in einem Hotel in Reichenhall! Da tu’ i mi leichter als hier bei der Bauernarbeit! Und Trinkgelder gibt’s a!“

      „Und wann die Saison zu End’ is?“

      „Ah — da kriegst doch den Winter über a Stempelgeld!“

      „Schau, dass d’ weiterkommst!“ sprach der Flori zornig, und dann zu seinem Bruder Simon, der die Treppe herabkam: „Können wir net den Mathis wieder derwischen, der wo voriges Jahr bei uns war?“

      „Der is schon lang drüben am Inn in der Fabrik. Der will nit von da fort. Er verdient halt mehr!“

      Die beiden Brüder traten vor das Haus. Da rauschte der Wildbach über die Steine. Forellen schossen schwänzelnd im bewegten Wasser

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