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Der Bauer in der Au. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Der Bauer in der Au
Год выпуска 0
isbn 9788711507339
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Brust des Bauern rasselte noch in schweren Atemzügen. Sein Mund und seine Augen waren offen. Aber die Krankenschwester aus dem Markt Holzing draussen in der Ebene, eine Religiose vom Dritten Orden, schüttelte leise die grosse, weisse Flügelhaube:
„Er kennt sich nimmer!“
Unten im Erdgeschoss, gleich wenn man hereinkam zur Rechten, hatte der Bauer sein Arbeitszimmer. Schon sein Vater hatte die Decke schön mit goldgelbem Zirbelholz ausgetäfelt. An der blaugetünchten Wand hingen Rehgewichtln und ausgestopfte Vögel und eingerahmte Photographien. Auf dem Schreibpult der Marienkalender mit Kreuzeln von Geschäftsterminen für die einzelnen Tage des Monats Mai. Daneben das Telephon.
„Derfen sich fei’ eilen, Hochwürden!“ sprach drängend in den Apparat hinein der alte Gnadl-Vater, einer der Bergbauern aus der Nachbarschaft. Das ganze Zimmer war voll von ihren wetterbraunen, hageren, ernsten Gestalten. Der Grill‘ von Obergaiching und der Schwaiger von Pittenham mit ihren Weibern, der Pointner vom Hemhof samt seinen Söhnen, der Höchsteiger, Bürgermeister von Pittenham, Alles uralter Bauernadel des Berglands, seit ein paar Jahrhunderten mit den Vogl hier in der Au verschwägert und versippt.
Sie schwatzten nicht viel. Sie sassen und schwiegen. Ruhige Ergebung auf den verwitterten Zügen. Von Erde bist du, zur Erde gehst du! In die Erde streut der Bauer den Samen. Aus der Erde spriesst dem Bauern das Korn. Zur Erde kehrt der Bauer zurück. Und statt des Korns streuen, die da leben, ihm die Erde nach, auf dass er im Himmel auferstehe wie das Korn auf Erden. Im ewigen Kreislauf und Gleichmass folgen sich die Jahreszeiten und die Menschengeschlechter. Wie soll einen Bauern der Tod erschrecken?
„Um Sankt Pankraz ’rum fahren die Vogl gern heim!“ sagte in die Stille die kleine, gebückte Fetz-Mutter. Sie musste es wissen. Sie war schon über achtzig. Sie hatte schon zwei Vogl in der Au mit den Füssen voran aus dem Haus hier kommen sehen — den Vater und den Grossvater von dem Sterbenden oben. Und das waren nur die letzten aus einer langen Reihe. Denn schon bald nach dem Dreissig-jährigen Kriege, als man daranging, die von den Kaiserlichen verbrannten Gehöfte wiederaufzubauen, hatte der Fürstbischöflich Salzburgische Ezpositus von Pittenham in sein Kirchenbuch vermerkt: ,Domus Au. Vogl paganus et uxor sua.’ ,Im Haus zur Au der Bauer Vogl und sein Weib.’
„Kommt s’ endlich — die Theres“, murmelte die braune Marei, die mit dem ganzen Gesinde auf dem Flur stand. Ein Berner Wägelchen mit zwei von Schweissflocken weissgesprenkelten Füchsen fuhr vor. Die zweite Tochter des Bauern, die Ametsrainerin von Egg, drüben dicht an der Salzburger. Grenze, kletterte hinter ihrem Mann heraus. Das war ein kleiner, gedrungener Graukopf, fröhlich sonst von Gesicht und Gemüt, ein Viehhändler und der beste Viehkenner in der ganzen „Freundschaft“, der Verwandtschaft, weit und breit.
Er schlug stumm ein Kreuz, ebenso sein Weib, die Theres, eine kleine, blasse, stille Bäuerin. Sie stiegen in das Sterbezimmer hinauf. Dort hatte sich nichts geändert. Immer noch gackerten draussen die Gänse in das Todesröcheln und schlug der Buchfink und rauschte der Wildbach übers Wehr und ging die Welt ihren Gang.
Dann ein dumpfes Hupen. Ein graues Kleinauto lief flink wie eine Maus den holperigen Bergweg empor. Ein volbärtiger, derber, bebrillter Mann steuerte es und liess es stehen und stieg, während alle ihn grüssten, bedächtig die Treppe empor. Oben am Krankenbett runzelte Dr. Nikolaus Gschwendtner, der Arzt aus dem Markt Holzing und Münchner Landtagsabgeordneter, die Stirnfalten bis in die schwarz umbuschte, elfenbeinerne Glatze.
Er war selbst ein Bauernsohn. Er wusste: mit Bauern sprach man nicht städtisch geleckt, sondern frei her, halt gerad’ so, wie’s ist.
„Gar is’s bald mit dem Vogl!“ sagte er gedämpft zu den Umstehenden. „Da g’hört jetzt ein anderer her als wie ich!“
„Alleweil kimmt der Herr!“ rief von unten die Marei mit ihrer hellen Stimme. Gleich darauf faltete sie die braunen Stallhände und begann zu flüstern: „Jesus, Maria und Joseph!“ Und um sie verschränkten sich rings die arbeitsharten Finger der Männer und Frauen, und ein summendes Murmeln von Sterbegebet ging durch das Haus: „der von den Toten auferstanden ist . . . der uns den Heiligen Geist gesendet hat . . . . .“
„Pax huic domui!“ Friede diesem Haus! Der Pfarrherr Felix Gasthuber stand im Ornat, mit der Stola bekleidet, im Sterbezimmer. Er besprengte den Raum und alle, die ihm dahinein gefolgt waren, mit Weihwasser. Er neigte sein Ohr zum Kranken nieder . . . . horchte . . . . . fragte mit leiser, tröstender Stimme. Ein Röcheln unten . . . .
„I mein’, der Vogl derfangt sich noch einmal . . . “, murmelte hoffnungsvoll der Gnadl-Vater, der selber schon mit einem Bein in der Ewigkeit stand. Er war zu klein. Er konnte durch die Leut’ vor ihm das Bett und die letzte Beichte nicht sehen. Er wusste nur: Da war’s, wo der Flori stand — dunkeläugig, einen Kopf länger als die andern, scharf von der Fensterhelle abgehoben das gesenkte Profil mit dem dunklen Schnurrbart unter dem Adlerschwung der Nase.
„ . . . . . Per eundem Christum dominum nostrum! Amen! . . . “ Eine Stille. Draussen keuchte bergauf auf einem Zweirad, mit flatternden schwarzen Rockschössen, ein junger Geistlicher heran. Ein junges Mädel schob, hundert Schritte hinter ihm, atemlos, erhitzt das frische, verstörte Gesicht, ihr Rad. Der dritte der Brüder, der junge Priester Donat Vogl, und seine jüngste Schwester, die Leni, die ihm die Wirtschaft führte, drängten sich an der Freundschaft vorbei die Stiege hinauf.
„Der Alte Wirt in Söllenwies hat mich im Galopp zur Bahn gefahren, wie ich die Nachricht telephonisch gekriegt hab’!“ sagte er. „Und in Holzing hab’ ich mir auf der Station zwei Fahrräder für mich und die Leni geliehen, um . . . .“
Der junge. Hochwürdige brach ab. Jetzt erst sah er, wie es drinnen stand. Sah die ragende Gestalt seines Bruders Flori, die kleinere seines Bruders Simon. Davor den Priesterornat neben einem fahlen Haupt in den Kissen. Hört das feierliche Rituale in articulo mortis: „ . . . . remissionem omnium peccatorum tibi concedo et benedico te . . . .“ Und wusste: das war die kürzeste Formel des Ablasses aller Sünden, wenn das fliehende Leben nur noch an den Fäden von Minuten hing . . . . . . . .
Und dann, eine halbe Stunde später, stand der Florian Vogl, der Älteste und Erbe, allein vor dem Haus im Garten. Da war alles wie sonst. Die Sonne schien. Der Bach lief. Die Schwalben huschten, mit flatternden Strohhalmen im Schnabel, zum Bau des Hochzeitsnestes im Gebälk. Brünstig brüllte, Herr in der Herde, drüben der Stier. Am blauen Himmel kreisten wie dunkle Punkte zwei Habichte schrill schreiend im Liebesflug. Leben. Leben. Und ganz aus der Ferne, zitterig-dünn in der warmen Luft, von der Kirche in Pittenham das Sterbegeläut für den toten Bauern in der Au.
Der Flori hörte zögernde Schritte hinter sich. Er drehte sich um. Die Jungdirn, die Marei, zeigte schmerzlich die weissen Zähne in dem braunen, wilden Gesichtl und bot ihm die feste, kleine Hand und sagte leise:
„Tröst’ di Gott! Bauer!“
Er nickte ihr zu. Das war das erstemal, dass ihn jemand „Bauer“ nannte! Jetzt war er der Herr! Untertan ihm Haus und Stall und Baumannsfahrnis und Vieh und das ganze weite Bergtal, hoch die Matten hinauf bis tief in die grossen, ernsten Wälder da oben . . . . . .
Über denen standen grau gezackt, riesig die Felsgipfel, in weissen Feldern noch der Winterschnee an ihren Hängen, wie noch darüber die weissen Wolkenballen im Himmelsblau. Er sah den Schnee auf den Kämmen hoch da oben in Schleiern wehen, so wie hier unten im Tal die Blütenbäume stiebten, und dachte sich geistesabwesend: Laut geht heut der Wind . . .
„Noch net sechzig Jahr’ alt — der Vater!“ sagte er zu dem stillen, blassen Simon, der ihm gefolgt war. „Zwanzig Jahr’ hätt’ ich ihm leicht noch geben! Er hat ja manchmal so dahergered’t, dass er mir bald mal den Hof übergibt! Aber recht ernst war’s ihm damit noch nie net!“
„Warum