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Die Politik Jesu. John Howard Yoder
Читать онлайн.Название Die Politik Jesu
Год выпуска 0
isbn 9783862567010
Автор произведения John Howard Yoder
Жанр Документальная литература
Серия Edition Bienenberg
Издательство Bookwire
Schon aus dieser knappen Zusammenfassung wird deutlich, dass eine nähere Untersuchung der Nebenlinien gleich welcher Richtung nur unsere Ergebnisse im Gesamtverlauf der Geschichte bestätigen würde.
Berufung und Versuchung: Lukas 3,21–4,14
Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.
Lk 3,22
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie explizit diese Worte vom Himmel von Jesus – bzw. von Johannes oder Lukas – als Anspielung auf Psalm 2,7 oder auf Jesaja 42,1b verstanden worden sind. Ist die doppelte Anspielung klar intendiert, so bedeutet sie eine explizite Verschmelzung des Inthronisationsthemas (Ps 2) mit dem des leidenden Gottesknechtes (Jes 42). Wie auch immer, mit oder ohne ausdrücklich messianische Anspielung haben wir es hier mit der Übertragung eines Auftrages in der Geschichte zu tun. „Du bist mein Sohn“ ist keine Definition oder Bestätigung eines metaphysisch definierten Status der Sohnschaft; es ist die Berufung zu einer Aufgabe. Jesus ist beauftragt, in der Geschichte, in Palästina, der messianische Sohn und Diener zu sein, der Träger des guten Willens und der Verheißung Gottes. Dieser Auftrag wird in der Versuchung, in die Jesus unmittelbar darauf hineingerät, näher definiert.
Der hypothetische Syllogismus des Versuchers „Wenn du der Sohn Gottes bist, dann …“ argumentiert nicht aus einem Konzept metaphysischer Sohnschaft heraus, sondern vom Königtum her. Mit „Sohn Gottes“ kann im Aramäischen kaum die ontologische Wesensgleichheit des Sohns mit dem Vater gemeint gewesen sein, so dass es für den Versucher wie für das erste chalcedonische Konzil angebracht gewesen wäre, zu überlegen, wie Jesus, obwohl er doch die göttlichen Attribute teilt und per Definition allmächtig ist, trotzdem der Versuchung unterworfen sein kann, seine Allmacht zu gebrauchen. Der Sohn Gottes in Psalm 2,7 ist der König; alle Möglichkeiten, die der Versucher Jesus anbietet, sind Wege zum Königtum.46
Der Versuchungsbericht des Lukas stellt die ökonomische Alternative an den Anfang. Der geistliche Filter, durch den wir heute zu lesen gewohnt sind, behandelt die Attraktion dieser Versuchung als eine rein persönliche, fleischliche. Jesus war hungrig. Würde er sich selbstsüchtig seiner Allmacht bedienen, um sich zu speisen? Aber ein vierzigtägiges Fasten bricht man nicht mit krustigem Brot, und schon gar nicht mit einem ganzen Feld felsbrockengroßer Laiber. Weil Jesus selbst für die Qualen des Hungers neu sensibilisiert worden war, konnte daraus die Alternativfrage für ihn erwachsen (oder doch verstärkt werden), ob seine Messianität sich darin ausdrücken würde, dass er ein Festmahl für seine Jünger ausrichtete. Dass das keine unbegründete Einbildung war, zeigt die Fortsetzung der Geschichte: Speise die Massen, und du wirst König sein.47
Der zweiten Versuchung in der Reihenfolge von Lukas wird allgemein sozio-politischer Charakter zugestanden.48 Die Stimme vom Himmel (3,22) hatte Psalm 2,7 zitiert, der Versucher geht einfach weiter zur Verheißung von 2,8. Hier gibt es keinen Zweifel über die politische Natur des versprochenen Lohnes, „alle Reiche des Erdkreises … alle diese Macht und ihre Herrlichkeit“; gefragt werden müsste hier allerdings, was es hätte bedeuten können, „ihm zu huldigen“. Sollen wir uns eine Art Satanskult vorstellen? Oder bietet sich nicht eine viel konkretere Bedeutung, wenn wir Jesus als den verstehen, der mittels solcher Begriffe den götzenhaften Charakter politischen Machthungers und des Nationalismus aufdeckt?
Schließlich wird Jesus auf die Zinne des Tempels geführt. Niels Hyldahl49 kombiniert sehr geschickt die Mischnavorschriften über die Ausführung der Todesstrafe mit einigen alten Berichten über das Martyrium des Jakobus: der Sturz von einem Turm in der Tempelmauer (der gut als pterygion bezeichnet werden kann, was normalerweise mit „Zinne“ übersetzt wird) in das Kidrontal, falls notwendig mit anschließender Steinigung, war die vorgeschriebene Todesstrafe für Blasphemie. Die Versuchung bestünde dann darin: Jesus sieht sich selbst, wie er die Strafe für seinen Anspruch auf göttliche Autorität auf sich nimmt, doch auf wunderbare Weise vor den Konsequenzen gerettet wird.50 Hyldahl trifft keine Entscheidung, wo der Akzent liegen soll: darauf, dass Jesus über die Strafe nachdenkt und damit rechnet, zu entkommen, oder darauf, dass er sich als eine Art Gottesurteil aus eigener Initiative hinunterstürzt. In jedem Falle ist es der quasi-blasphemische Anspruch auf göttliches Königtum, der der Prüfung ausgesetzt wird.
Wenn wir, statt auf Hyldahls Vorschlag eines Sturzes außerhalb der Tempelmauer einzugehen, bei dem traditionelleren Bild einer plötzlichen Erscheinung von oben und zwar innerhalb des Tempelhofes bleiben, so müssen wir Hyldahl auf jeden Fall zustimmen, dass es nicht um ein rein akrobatisches Kunststück zur Beglaubigung von Jesu Ruf als Wundermann ging. Das wäre ein Zeichen der Art gewesen, die Jesus den Neugierigen und Zweifelnden standhaft verweigerte. Wenn wir überhaupt zu rekonstruieren versuchen, was als die konkrete menschliche Möglichkeit in Jesu Versuchung über die Bedeutung seiner Mission hätte angesehen werden können – wäre nicht eine unerwartete Erscheinung von oben der beweiskräftigste Weg für den Botschafter der Verheißung, um nach Maleachi 3,1–3 „… plötzlich in seinen Tempel zu kommen und … die Söhne Levis zu reinigen“? Weiter (sogar noch deutlicher in Matthäus’ Bericht, wo diese Versuchung nicht den Höhepunkt darstellt, sondern zum Angebot der Weltherrschaft führt) sehen wir Jesus über die Rolle als religiöser Reformer, himmlischer Botschafter nachdenken, der unangekündigt von oben erscheint, um die Dinge ins Lot zu bringen.
Soll nicht dieses Herabschweben von einem so bedeutungsvollen Ort den Auftakt bilden zu einem religiös-politischen Freiheitskampf, der Jesus schließlich zum Triumphator macht, so wie es jene falschen Messiasprätendenten anstrebten, von denen das Neue Testament und Josephus gerade für die damalige Zeit genug Beispiele bieten?51
Das öffentliche Wirken: Lukas 4,14ff
Lukas beginnt nicht mit einer Zusammenfassung dessen, was Jesus „zu predigen begann“. Anders Matthäus und Markus. Beide berichten, dass Jesus in seiner ersten Botschaft dieselben Worte gebraucht wie vorher Johannes der Täufer (und später die Jünger): „Das Reich Gottes ist nahe; tut Buße und glaubt an die gute Nachricht.“ Die Sprache – „Königreich“, „Evangelium“ – kommt aus dem politischen Bereich. Diese eigentümliche Wortwahl wäre äußerst unangemessen, hätte sich Jesus, gegen die Erwartungen des Johannes, nicht für diesen Bereich interessiert. Dass „Königreich“ ein politischer Begriff ist, braucht kaum hervorgehoben zu werden; dass aber „Evangelium“ nicht irgendeine alte willkommene Botschaft ist, sondern eine öffentlich bedeutsame Bekanntmachung, die es wert ist, durch Eilboten weiterbefördert und durch ein Fest empfangen zu werden, ist dem normalen Bibelleser weniger bewusst.
Auch Lukas spricht von der Verkündigung „des Evangeliums vom Königreich“ (4,43), doch er gebraucht diese Begriffe nicht gleich am Anfang von Jesu Wirken; für Theophil hätten sie nicht dieselbe Dichte des terminus technicus wie für die Leser des Markus. Lukas entfaltet stattdessen denselben Anspruch in einem ausführlicheren Bericht aus der Synagoge zu Nazareth.
Der Abschnitt aus Jesaja 61, den Jesus hier auf sich anwendet,52 ist nicht nur eindeutig messianisch: er formuliert die messianische Erwartung auch in ausdrücklich sozialen Begriffen.
Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat; er hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen, den Gefangenen Befreiung zu verkündigen und den Blinden das Augenlicht, die Zerschlagenen zu befreien und zu entlassen, ein angenehmes Jahr des Herrn zu verkündigen.53
Lk 4,18–19