Скачать книгу

namens „Kavalirka“. Lamač hatte es auf eigene Rechnung gegründet. Oho, auch in Prag hob sich der Ehrgeiz. Ein ganz grosser Film sollte gedreht werden, benannt „Die Achtzehnjährigen“.

      Das kann hinkommen! lächelte Anny: Grad hab ich nämlich auch Lust, mir den Fliederbaum bei der Planschwiese wieder einmal anzusehen. Und Sachertorte mit Schlagoberst und Hirsebrei mit Speck bei meiner süssen Mama zu essen. Und ganz still muss es sein, so hübsch still wie früher manchmal.

      Der erste Titel

      Ein paar Tage erst war Schmeling in Berlin, da sah er den grossen Titelkampf des alten Samson gegen den Thüringer Schlachter Franz Diener. Es war ein ungemein grossartiger Kampf, fast so heroisch wie der zwischen Samson und Breitensträter das Jahr vorher. Damals hatte der alte Haudegen zwölf bittere Runden mit unerhörter Zähigkeit überstanden. Nunmehr wurden es fünfzehn Runden, die er ebenfalls nur nach Punkten verlor.

      Schmeling war voll Bewunderung, er pfiff den Entscheid der Ringrichter aus, wie viele ihn auspfiffen. Ihm schien die Rechnung ungerecht. Dass „Gerechtigkeit“ und „errechnen“ zusammenhängende Begriffe sind, lag seinem schlichten Kampfesmut noch fern.

      Als nun am andern Tage die grossen Namen des Boxsports einen gemeinsamen Protest unterzeichneten, da wurde dem jungen Max Schmeling die hohe Ehre, seinen dazusetzen zu dürfen, unter die Namen der Grossen, Prenzel, Breitensträter, Haymann und den des gewaltigen rheinländischen Managers Picard. Noch war Max der Geringste unter diesen Leuchten, aber dennoch wollte es ihm scheinen, als habe er sich schon verewigt auf bronzener Tafel.

      Der unglaubliche Samson-Körner trat erst ein Jahr später, zweiundvierzigjährig, endgültig und freiwillig vom Schauplatz der Boxentscheidungen ab. Was ihn nicht hindert, noch oft als Ringrichter zu wirken. Es war nach jenem glorreich punktverlorenen Kampf gegen den weit jüngeren Rudi Wagener.

      Im Jahre 1926 hatte man, um allen Schiebungen vorzubeugen, eine deutsche Boxsportbehörde gegründet. Es war eine ehrenamtliche Angelegenheit. Der Tscheche Burda, ein Herr, der aus der Konfektionsbranche hervorgegangen war, übernahm die Verwaltung. Aber es wurde nicht besser dadurch. Es gab nur noch mehr Verwirrungen durch willkürlich oberste Entscheide. Das Publikum glaubte nicht mehr an die Anständigkeit der boxerischen Austräge.

      Brot und Spiele, das genügt nicht allein, um die Menge zu fesseln. Das Brot muss geniessbar und die Spiele müssen ehrlich sein.

      Gerade damals nahmen einige Sanftmulsapostel die Gelegenheit wahr, sich gegen den Boxsport zu erklären. Das alte Wort von der „blutigen Roheit“ wurde aufgefrischt und fand manchen Beifall. In diese allzu bequeme Zartheit der Sofaliebhaber und Blümchenpflücker funkelten die prächtig männlichen Sätze, die Adolf Hitler um jene Zeit bald zu Anfang des zweiten Bandes seines Werkes „Mein Kampf“ niederschrieb. Sie sind heute so beherzigenswert und gültig wie je und lauten:

      „... Hierbei darf besonders ein Sport nicht vergessen werden, der in den Augen von gerade sehr vielen „Völkischen“ als roh und unwürdig gilt: Das Boxen. Es ist unglaublich, was für falsche Meinungen darüber in den „Gebildeten“-Kreisen verbreitet sind. Dass der junge Mensch fechten lernt und sich dann herumpaukt, gilt als selbstverständlich und ehrenwert, dass er aber boxt, das soll roh sein! Warum? Es gibt keinen Sport, der wie dieser den Angriffsgeist in gleichem Masse fördert, blitzschnelle Entschlusskraft verlangt, den Körper zu stählerner Geschmeidigkeit erzieht. Es ist nicht roher, wenn zwei junge Menschen eine Meinungsverschiedenheit mit den Fäusten ausfechten, als mit einem geschliffenen Stück Eisen. Es ist auch nicht unedler, wenn ein Angegriffener sich seines Angreifers mit der Faust erwehrt, statt davonzulaufen und nach einem „Schutzmann zu schreien.“

      Die Boxkassen wurden damals zwar magerer. Aber der junge Nachwuchs liess sich nicht abstoppen, die Entscheidungen gingen mit oder ohne viel Publikum, mit oder ohne hohe Börse unaufhaltsam weiter. Und als Paul Samson seinen Meisterschaftstitel 1927 freiwillig niedergelegt hatte, da kam als Anwärter für den freien Platz neben dem Berliner Diekmann plötzlich und einzig nur noch der Hamburger Max Schmeling in Betracht.

      Der Entscheidungskampf wurde für Mitte August angesetzt.

      So weit war Max also nun schon gediehen.

      Im Februar hatte er zum zweiten Male gegen den stämmigen und schlagkräftigen Berliner gekämpft. Das Urteil lautete: Unentschieden. Und auch zum dritten Male wurde der Lunapark zum Kampfplatz ausersehen. Max war nicht abergläubisch. Der Aderlass, der beim erstenmal seine Nerven erschüttert hatte, war ihm beim zweitenmal erspart geblieben. Bülow rechnete ihm vor, dass es auf dem Wege des Erfolges kein Zurück gäbe und dass es diesmal gänzlich gut gehen müsse.

      Und wirklich, schon in der ersten Runde schmetterte Schmeling eine furchtbare gerade Rechte auf das gegnerische Kinn. Diekmann schlug zu Boden und vermochte sich nicht vor dem Ablauf der verderblichen zehn Sekunden zu erheben.

      Ohne Erschöpfung stand Max im Ring, er sah aus wie ein Schnellzug, der mitten im ersten Tempo durch eine Notbremse zum Halten gezwungen wurde. Er fühlte ein Bedauern, dass sein gutes Training keiner längeren Probe habe standhalten brauchen.

      Lächelnd nahm er die Glückwünsche entgegen. Seine Zähne glänzten negerweiss aus dem sonnverbrannten Gesicht. Seine Augen waren schwarz und schmal wie zwei Gedankenstriche, die vieles bedeuten konnten. Seine Augenbrauen, fingerdick, blauschwarz, zogen sich wagerecht darüber, als sollten sie eine ungewöhnliche Schlagzeile heftig unterstreichen, die hinter seiner Stirn aufleuchtete, flimmernd wie die Starnamen vor den Kinopalästen. Das hohe Wort „Meister“ leuchtete dort, und es war Raum davor gelassen, der nur vorübergehend mit dem Titel „Deutsches Halbschwergewicht“ ausgefüllt schien.

      Der vorletzte Kampf mit Diekmann hatte nur 180 Mark für ihn eingetragen, jetzt waren es schon 1500 Mark.

      Nun schrieb der „Boxsport“, allerdings noch unter Bülowscher Leitung:

      „Der deutsche Boxsport hat einen neuen Meister und einen neuen Mann, auf den er wieder bauen kann. Vielleicht einen neuen Stern am Boxhimmel, der die Kräfte besitzt, alle einstigen und vorhandenen zu übertreffen.“

      Manager sind immer verheissungsfreudig, es gehört zu ihrem Beruf. Selbstvertrauen macht die Mühen süss und fasziniert das Publikum, wenn auch nicht immer das Schicksal. Selten wurde eine Hoffnungsfreudigkeit so durch Erfüllung belohnt, wie die Bülows, obschon der Lohn für ihn hauptsächlich die Erfüllung selber sein sollte.

      Prag, Berlin, London

      Anny hörte, Lusette, die kleine Lusette, sei nach Amerika gefahren. Was für ein bedeutendes Mädchen doch aus einer kleinen Tänzerin werden konnte! Anny dachte daran, wie Lusette unter der Grotte beim Baumgarten getanzt hatte damals in Prag. Wie klein war alle Vergangenheit geworden.

      Eine andere Erinnerung tauchte auf. Einmal hatte sie mit Lusette auf dem langen Fussgängersteg gestanden, der über die Cervotka führt, über das brühige Wasser zwischen der Kleinseite und der düsteren Insel Kampa.

      Das ist die Ratteninsel! hatte Lusette gesagt, und die Leute auf Kampa hätten keine Zehen. Sie würden ihnen des Nachts von den Ratten abgenagt, wenn sie noch in der Wiege lägen.

      Wie schrecklich war das. Wie freute sich Anny damals, dass sie ihre Zehen alle beisammen habe. Einmal war sie mit ihrer Mutter auf der Insel gewesen. Die Sonne hatte nicht geschienen, es war wirklich schaurig dort gewesen, aber ihre Mutter hatte einen grossen Einmachetopf kaufen müssen, und den bekam man am besten und billigsten auf dem Topfmarkt. Zwischen den Töpfen hatte ein altes Hökerweib gesessen, dick wie eine Unke, das hatte keine Töpfe verkauft, sondern Kleinfiguren, kleine Kobolde, Wenzelause, auch den Räuber Babinsky und den Flösserlümmel Pepik. Nein, Ratten hatte sie nicht gesehen.

      Das ist ja viel schlimmer als Ratten, hatte Lusette geantwortet. Weisst du, wer unter den Figuren war?

      Nein, und?

      Ich will es dir sagen. Unter den kleinen Tonfiguren bei dem dicken Hökerweib, da steht der Golem!

      Der Golem?

      Der Golem! Erst ist er ganz klein und lächerlich wie die anderen Tröpfe,

Скачать книгу