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ihn, und da er versprach, niemals Seemann zu werden, schnürte sie ihm den Pappkarton, versorgte ihn mit einem dicken Paket deftiger Butterbrote und wünschte ihm viel Glück. Er fuhr nach Düsseldorf, um bei den Eltern eines Hamburger Sportfreundes zu wohnen.

      Nun begann eine harte Schule für ihn. Schliesslich wurde er Arbeiter bei einer Hoch- und Tiefbaufirma. Er schaufelte, schuftete und grub, drehte Winschen, mischte Zement, bohrte Brunnen und legte Rohre. Das bekam seinen Muskeln und seinem Appetit vortrefflich, obwohl es nicht immer gross was zu beissen gab. Auch Freizeit gab es wenig, aber selbst in dieser kargen Freizeit verlangte sein Körper nach Betätigung. Somit wurde er Mitglied eines „Ring- und Stemmklubs“ zu Benrath, in welchem Ort seine Firma einen grösseren Auftrag auszuführen hatte.

      Mit kaum glaublicher Zähigkeit widmete er sich seiner sportlichen Fortbildung, rang, boxte und trieb Leichtathletik.

      Manchen Sonntag aber zog er mit einem ehemaligen Artisten auf die Dörfer, und die beiden auf den kleinen Bühnen der ländlichen Tanzsäle erstaunten die Menge mit „sensationellen Attraktionen“, indem sie Nägel mit der ungeschützten Hand in ein Brett schlugen, Ketten zerrissen und Hufeisen verbogen, hin und wieder auch einmal ein bisschen boxten.

      Max war es eben gewohnt von Jugend auf, seine Fertigkeiten nicht nur zum Vergnügen auszuüben, sondern vielmehr das Vergnügen durch Zweckmässigkeit zu steigern.

      Boxen, das war ein Sport, der vor dem Kriege in Deutschland als roh und blutig öffentlich verboten gewesen war und der übrigens heute noch in den Vereinigten Staaten fast überall der behördlichen Genehmigung bedarf, sobald es sich um öffentliche Kämpfe handelt. Nach dem Kriege änderte sich die deutsche Einstellung. Deutsche Kriegsgefangene hatten in England, zumal auf der Insel Man, den Faustkampf sozusagen aus Verzweiflung und Langerweile gelernt. Prenzel, Breitensträter, Grimm, Naujoks, Wiegert, Dubois, Huber, Koch, Möller, Spörl, das hauptsächlich waren die ersten, die in Lederhandschuhen zu Hamburg, Berlin oder Köln auf das „Ring“ genannte, hanfseilumspannte rechteckige Podium vor das Publikum traten, und Otto Flint, ein Verwandter der berühmten Taucherfamilie, der schon vor dem Kriege bedeutendes boxerisches Können erlangt hatte, wurde der erste deutsche Schwergewichtsmeister.

      Durch seine Baufirma kam Max nach Köln. Dort lernte er seinen ersten richtigen Boxlehrer Adolf Dübbers kennen. Er hatte eine Menge allzu privater „Boxauffassung“ abzulegen. Er musste sozusagen ganz von vorn anfangen. Aber er lernte rasch. Dübbers fiel von einem Erstaunen ins andere. Und bald lagen auch die ersten „Gegner“ auf den Brettern.

      Wo etwas geleistet wird, stellen sich die Manager ein. Zwischenhandel gibt es nicht nur in der Wirtschaft, sondern ebensogut in der Kunst und im Sport. Der Manager und Agent eines Artisten zum Beispiel ist sozusagen sein Makler und Spediteur und oft auch sein Bankier. Nicht viel anders ist es beim Film. Und nicht viel anders im Berufssport, zumal bei den Boxern.

      Damals verdienten einige Boxer selbst in Deutschland schon ansehnliche Summen, so zum Beispiel der Gentlemanfighter Prenzel und auch Breitensträter, der blonde Hans. Summen von zwanzigtausend bis fünfundzwanzigtausend Mark als Kampfbörse. Max schwindelte es, wenn er sich das vorstellte. Aber es war nicht nur die Sehnsucht, Geld zu verdienen, die ihn anspornte. Der erste Beifall lag ihm in den Ohren, Ehrgeiz brannte in ihm. Er wollte zeigen, was er konnte. Sein Vater hatte die weite Welt gesehen, und auch sein Herz schlug für grössere Horizonte, als Adolf Dübbers und als sein erster Manager Abels ahnten.

      Es war um die Zeit, als der Fiskus ebenfalls seinen Anteil an den steigenden Boxunternehmungen suchte. Mit einem Schlage aber vermochte das die Entwicklung abzudrosseln. Die Kämpfe wurden seltener; das durch die Lustbarkeitssteuer vergrösserte Risiko schreckte viele Veranstalter ab.

      Auch kamen immer weniger Ausländer in den deutschen Ring. Die fortschreitende Geldentwertung machte ihre Bezahlung fast unmöglich.

      Es war das Jahr 1924.

      Damals schon gab es eine Fachzeitschrift des Faustkampfes: „Der Boxsport“. Der Hauptschriftleiter hiess Arthur Bülow. Unter den Mitarbeitern sah man auch den einstigen Hamburger Seemann Walter Rothenburg.

      Rothenburg war einer der frühesten Boxveranstalter nach dem Kriege. Jetzt sah er sein Geschäft dahinsinken, und da er auch ein fruchtbarer Lyriker war, erleichterte er sein Herz mit einem Gedicht, dessen melancholische Überschrift lautete: „Unheimliche Ruhe“.

      Der grosse Bauernfilm

      Im Filmgeschäft aber begann es lebhafter zu werden. Und die Suche nach den grossen Themen begann. Da ist zum Beispiel das Gebirge. Und, nicht wahr, das deutschsprachige Gebirgsbauerntum ist seit jeher beliebt gewesen, teils wegen der Tracht, teils wegen des freiheitlichen Charakters und teils als Musikkapelle für bürgerliche Bierlokale.

      In Norddeutschland singen schon die ganz kleinen Mädchen, wenn sie im Kreis auf der Strasse spielen:

      „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh.“

      Peter Rosegger hat uns, da wir noch jung waren, mit den Geschichten vom Waldbauernbuben ans Herz gegriffen, Ludwig Thoma vermochte es auf bayrischer Grundlage später, als wir erwachsen waren (für andere war es Ludwig Ganghofer). Der grossen Literatur und Bühne aber hatte Karl Schönherr die Söhne der Berge entdeckt und hatte ihnen dort Raum und Gehör geschaffen schon vor dem Kriege.

      Was Wunder, dass nach dem Dauererfolg von „Glaube und Heimat“, „Volk in Not“ und „Weibsteufel“ unruhige Gehirne auf den Gedanken kamen, mit solch zügigen Themen auch im Film auf Erfolg zu pirschen.

      Eines Tages tauchte in Prag ein unternehmungslustiger Regisseur aus Wien auf. Er gedachte — lange vor Luis Trenker — das Gebirge nun auch für den Film zu entdecken und ein Tiroler Lustspiel zu drehen. Im Café Rococo, wo sich alles traf, was mit dem Film zu tun hatte, zeigte der kühne Mann stolz eine Filmzeitung herum, deren Titelseite er in vielversprechender Pose schmückte. Das erregte allseitiges Aufsehen, Wohlwollen und Vertrauen.

      Der Mann schien wirklich etwas zu verstehen, denn er vermochte in kurzer Zeit einen Geldgeber für sein gewagtes Unternehmen aufzutreiben, und zwar war es sinngemäss ein gutgläubiger Grossbauer, der die glänzenden Versprechungen des künstlerischen Herrn ernst nahm und hoffte, durch Förderung einer ihm halb unverständlichen flimmrigen Errungenschaft nicht nur dem Ansehen seines altehrwürdigen Standes, sondern auch seinem Geldbeutel dienen zu können.

      Anny durfte sich glücklich preisen, mit der Hauptrolle beauftragt zu werden. Das grollende Andenken an Wien wandelte sich in eitel Sonne. Freudestrahlend teilt sie es ihrer Mutter mit. Bei der schwankenden Valuta schien es ihr ein fürstliches Angebot zu sein, obwohl es nur sechshundert tschechische Kronen Honorar sein sollten. Es war gesagt worden, dass sie sich überdies ein Dirndlkleid nähen lassen dürfe.

      Der Film wurde in einem Bretterverschlag gedreht, die Kulissen aus Leinwand waren von einem Theater geliehen; die Ausstattung sollte nämlich kein unnützes Kapital verschlingen.

      Die Darstellung ist die Hauptsache, sagt der smarte Wiener.

      Anny tat, was sie konnte, aber es war doch keine rechte Freude für sie; die richtigen Partner fehlten, die Leitung versagte, der Hauch der Armseligkeit lag von Anfang an über dem Unternehmen. Vorschuss gab es nicht; aber die Gelder verschwanden trotzdem.

      Sehnsüchtig wartete Anny auf den letzten Drehtag. Nach der letzten Szene stürzte sie in das sogenannte Büro dieser zwischen Acker und Asphalt gegründeten Filmgesellschaft. Das „Büro“ befand sich in einem alten Hutladen und wurde von der Tochter des bäuerlichen Hauptgeldgebers geführt. Aber wie gross war Annys Schreck und Enttäuschung, als ihr erklärt wurde, sie habe nichts zu bekommen, sondern im Gegenteil. Das Dirndlkleid habe sechshundertfünfzig Kronen gekostet, folglich schulde sie der Firma noch fünfzig. Da half kein Bitten, kein Flehen. Der Bauer, der sein Geld hatte davonrinnen sehen und ahnungsvoll fühlte, dass es auf Nimmerwiedersehen zum Teufel sei, blieb unerweichlich. Und Anny brauchte so notwendig neue Schuhe, und die Mutter würde sie nie wieder filmen lassen, und die grossen Brüder sähen es überhaupt schon längst nicht mehr gern ...

      Anny schlief die ganze Nacht nicht, sie überlegte, wo sie das Geld herleihen könne, um die

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