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Comödie. Band 2. Nataly von Eschstruth
Читать онлайн.Название Comödie. Band 2
Год выпуска 0
isbn 9788711487372
Автор произведения Nataly von Eschstruth
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Aglaë empfand dieselbe jedoch als eine Wohlthat. Sie brauchte Ruhe und Stille, um sich von den entsetzlichen Stürmen der letzten Vergangenheit zu erholen, und sie benötigte die Einsamkeit, um ihr krankes, verbittertes Herz von den Wunden zu heilen, welche ihr das Leben und die laute Welt so erbarmungslos geschlagen.
Ihr Zimmer war verhältnismässig behaglich und hübsch, wenngleich es auf die Augen einer der verwöhutesten Millionärinnen einen unbeschreiblich ärmlichen Eindruck machte. Aber mit dem Gefühl eines trotzigen Kindes, welches seinen Willen durchgesetzt, voll Genugthuung in einen sauren Apfel beisst, gewöhnte sich die Vicomtesse an all das Ungewohnte, und da sie sich ihr Leben einrichten konnte, wie sie wollte, so hatte es auch in dieser Gestalt einen gewissen Reiz.
Allerdings war es vorerst eine Unmöglichkeit für die vollständig ungeübte und unpraktische junge Frau, sich nach der Decke zu strecken und eine richtige Einteilung des Geldes zu treffen. Die kleine Summe, über welche sie noch zu verfügen hatte, teilte sie in drei gleiche Teile, um drei Jahre von derselben leben zu können. In drei Jahren musste sie ja auf alle Fälle eine Anstellung an einer Oper gefunden haben, dann bezog sie ihr gutes Gehalt und ernährte sich selber, und während dieser drei Jahre musste sie wohl oder übel alles was sie besass, zusetzen.
Aber es ist unbeschreiblich schwer, sich einzuschränken und sich ein üppiges, elegantes Leben, welches man geführt, so lange man denken kann, abzugewöhnen. Jeder kleine Luxus, der ehemals selbstverständlich gewesen, wird nun zum fressenden Kapital, und Aglaë begriff es gar nicht, wie ihr die Thaler durch die Finger rollten, wenn sie nur die notwendigsten Einkäufe für ihren Toilettentisch machte. — Bis sie einsah, dass es jetzt nicht mehr angehe, täglich das Waschwasser durch köstlich duftende Essenzen angenehm zu machen, Parfüms, Puder, Crêmes, elegante Nadeln und Haarwasser zu gebrauchen, hatten diese kleinen Liebhabereien, die ehedem selbstverständlich gewesen, schon tief in das Geld eingerissen. Auch musste sie viel Reugeld bezahlen, bis sie auf den Gedanken kam, dass sie ihre Kleider, welche begannen, sich abzutragen, auffrischen müsse. Früher wurde alles, was nur im mindesten durch den Gebrauch unansehnlich geworden, ausrangiert und durch neue Kostbarkeiten ersetzt und als die spinnwebfeine, spitzenbesetzte, meist seidene Leibwäsche zu reissen begann, da glaubte die Vicomtesse auch, es müsse sofort neue gekauft werden, und es sei doch unmöglich für eine Dame, andere Wäsche als solch allerfeinste und eleganteste zu tragen! Zum erstenmal aber geriet sie in peinlichste Verlegenheit, denn der Preis der Hemden allein betrug mehr, als sie in einem ganzen Vierteljahr ausgeben durfte.
So schwer und kümmerlich hatte sie sich das Armsein doch nicht gedacht, und so schwer hatte sie das Berechnen und Einteilen auch nicht geglaubt. Wie viel hatte sie vergessen in ihre Wochenrechnung aufzunehmen, was nun ganz entsetzliche, unerwartete Lücken in ihre Kasse riss! — Ein Gefühl der Unruhe und Angst überkam sie, und es kostete sie manch bittere Thräne, stets aufs neue auf alte Passionen und Gewohnheiten verzichten zu müssen. Es war ein zu furchtbar greller Umschwung und Wohl ein Glück für Aglaë, dass ihre beinahe kindliche Naivität sie bewahrte, ihr ganzes Elend und ihre trostlose Lage in voller Schwere zu erfassen.
Wie wunderlich kam ihr der so einfache Mittagstisch der Rätin vor. Ausgekochtes Rindfleisch sollte sie essen! Mit einem einzigen, oft entsetzlich derben und bäurischen Gericht fürlieb nehmen! Anfänglich hatte sie oft die Zähne bei Tisch gehoben und gedankt und war nachher in ein Restaurant gegangen, um zu essen, was ihr behagte. Bald aber sah sie ein, dass es eine Unmöglichkeit sei, derart hohe Preise noch ausser ihrer Pension für Speise und Trank zu zahlen. — Sie weinte Thränen hilfloser Verzweiflung, und weil der Hunger weh that, so lernte sie es, allerdings mit grösstem Widerstreben, mit Fleisch und Gemüse fürlieb zu nehmen!
Voll fieberhaften Eifers übte und sang sie, bis ihr die Lehrer Mässigung anbefahlen, um die Stimme nicht zu überreizen. Ihre gründlichen Vorstudien kamen ihr wesentlich zu Hilfe und brachten sie schneller vorwärts als die meisten ihrer Mitschülerinnen. — Die Zeit zog dahin, und Aglaës kleines Vermögen schmolz mehr und mehr zusammen. Ihre Stimme war zart und wohlklingend, und ihr reizendes Gesichtchen, ihre graziöse Gestalt liessen die Lehrer hoffen, dass Aglaë Lorrain vielleicht doch als eine zweite oder dritte Sängerin noch ihr Glück machen könne.
Endlich, endlich ist die schreckliche Zeit des Studiums beendet. Die junge Frau hat sich über ihre Kräfte angestrengt, sie sieht bleich und gealtert aus und ist bedeutend magerer geworden. — Sie hat ihr Abgangszeugnis erhalten, und weil dasselbe nicht so glänzend ausgefallen, wie sie erwartet, steht sie mit stolz zurückgeworfenem Haupt und zusammengepressten Lippen vor ihren Lehrern, um sich zu verabschieden. Dieselben sind es gewohnt, dass sie um ihre fernere Protektion und Empfehlung gebeten werden, und auch jetzt stehen frische, liebenswürdige junge Mädchen vor ihnen, welche mit dankbar herzlichen Worten Abschied nehmen und sehr bescheiden und höflich bitten, dass die Herren Professoren doch bei Gelegenheit ihren weitgehenden Einfluss und ihre Beziehungen zu Intendanten und Direktoren geltend machen möchten, den unbekannten Anfängerinnen zu einem Engagement zu verhelfen.
Stumm und kalt steht Aglaë beiseite. — Sie hat sich stets abgesondert und zurückgezogen, sowohl von den Schülern, wie von den Lehrern des Konservatoriums, und dieses stolze, verschlossene Wesen hat sie unbeliebt gemacht. Sie steht auch jetzt beim Abschied isoliert, und kein Mensch beachtet sie, obwohl manch ärgerlicher Blick sie streift.
Die einfachen Kleider sind aufgetragen, und Aglaë hat kein Geld, dieselben zu ersetzen. Die Not hat sie gezwungen, eine ihrer ehemaligen eleganten Toiletten anzulegen, und nun steht sie geputzt und prunkend unter den schlichten Genossinnen, die sie stets für sehr reich gehalten haben. Als sie gegangen, wendet sich der alte Professor Kolsch zu einem Kollegen. „Ich weiss, dass das Hoftheater zu X. eine junge Sängerin gebrauchen kann, für deren Partien die kleine Lorrain wohl ausreichen und besonders gut passen würde! Hätte sie mir ein Wort gesagt, würde ich sie gern empfohlen haben!“
„Die Lorrain? — Nein, sie hat auch mir keine derartige Bitte vorgetragen, und ich bezweifle überhaupt, dass sie zur Bühne gehen will! — Allem Anschein nach ist sie recht vermögend und bildete sich aus Passion zur Sängerin aus, um vielleicht hie und da in einem Konzert mitzuwirken!“
„Recht vermögend? Hat sie nicht bei der Rätin Barnexius gewohnt?“
„Das wohl, aber ich denke mir, es geschah dies weniger aus Sparsamkeit als dem Bedürfnis entspringend, sich unter den Schutz dieser sehr gut renommierten Dame zu stellen! Ich entsinne mich, dass man sich in der ersten Zeit erzählte, das Fräulein speise privatim in den ersten Restaurants, weil ihr die Pensionsküche nicht genüge. Ausserdem war sie bis auf das Taschentuch herab geradezu fabelhaft equipiert! Eine Notentasche aus gepunztem Leder mit Silberornamenten und echten Edelsteineinlagen, ein Regenschirm mit massivem Goldgriff, Taschentücher von echten Spitzen, Pelzwerk, wie es kaum eine Fürstin trägt, und soeben — nun, Sie sahen ja selbst diese Toilette, welche sich kaum eine Diva leisten kann!“
„Solche Dinge sind bei einem hübschen Mädchen eher Zeichen der äussersten Armut, einer Mittellosigkeit, welche auf jedwede Weise Geld verdient!“ sagte Kolsch mit ironischem Lächeln.
Der Andere schüttelte hastig das Haupt: „Nein, nein, um Vergebung, Herr Kollege! Die Lorrain hat einen tadellosen Lebenswandel geführt! Unsere Stadt ist gross, aber nicht gross genug, um ein solches Geheimnis bergen zu können! — Die Kleine ist wegen ihres hübschen Gesichtchens aufgefallen, und ich weiss, dass man ihr nachgestellt hat, sogar mit den redlichsten Absichten, aber Stolz und Tugend haben eine chinesische Mauer um sie her gezogen!“
„So, so! freut mich! — Das bestärkt mich allerdings auch in der Annahme, dass sie vermögend ist! Ja, da werde ich das Engagement besser einer andern Schülerin zuwenden, welche bedürftiger ist!“
„Ganz recht! Ich bitte dringend in erster Linie der talentierten Cläre Holz zu gedenken. Sie kennen die Schicksale der armen Waise! Sie will bei ihren wohlhabenden Verwandten kein Aschenbrödel abgeben und zieht vor, ihr Brot selber