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überschweben zu können!“

      „Warum werden Sie nicht Konzertsängerin?!“

      „Weil diese Carriere sehr langsam und unergiebig ist. Ich muss Geld verdienen — eine Konzertsängerin aber braucht viele, lange Jahre, ehe sie sich einen Namen macht und bezahlt wird. Die Opernsängerin hat feste Gage und hat täglich Gelegenheit, sich dem Publikum bekannt zu machen und vorwärts zu kommen! Warum sehen Sie mich so wunderlich an? — Zweifeln Sie etwa an meinen Erfolgen?“

      „Ja, ich zweifle stark daran!“

      „Und warum? Hörten Sie mich je singen?“

      „Nein.“

      „Nun also! Was befürchten Sie? Bitte, seien Sie ehrlich und wahr!“

      „Ich befürchte, dass gerade die Bühnenlaufbahn sehr wenig geeignet ist für eine Dame, welche nicht Gesellschafterin werden will, weil sie sich da dem Willen einer Gebieterin fügen muss. Einer einzigen Dame! Die Theatercarriere aber ist ein unaufhörliches Sichfügen, Ducken, Demütigen, ein Gehorchen, Bitten und Flehen! — Sie haben nicht eine feine, gebildete Dame zur Brotherrin, deren Wünschen Sie sich unterordnen, sondern eine Reihe der egoistischsten, kaltberechnendsten und rücksichtslosesten Männer, deren Wesen sich von der Energie des Direktors bis zur Roheit des Coulissenschiebers variiert! — Sie sind nicht sogleich Diva, — Sie sind lange Jahre Anfängerin. Sie müssen Rivalinnen neben sich dulden, welche die schöne, vornehme und geistvolle Genossin in Ihnen hassen werden! Man wird Sie und Ihren Stolz kränken bis zur Schmach! Der Weg, welchen Sie gehen wollen, Vicomtesse, ist nicht so blütenreich, wie es für den Fernstehenden den Anschein hat, und ich fürchte, er führt Sie, anstatt empor, so tief hinab, dass Sie für Kreise, darinnen eine Gräfin Saint Lorrain verkehrsberechtigt ist, ein für allemal verloren sind!“

      Aglaës kleine Hand, welche in ihrem Schosse lag, erzitterte unmerklich. Sie schüttelte aber energisch das Köpfchen: „Ihre Sorge um mich lässt Sie zu schwarz sehen! Ich habe viele Freundinnen und Freunde beim Theater, welche mir gewiss sehr schnell empor helfen werden!“

      „Diese Illusion ist die erste Klippe, an welcher Sie scheitern werden!“

      „Warten wir’s ab. — Jedenfalls will ich lieber alles ertragen und dulden, ehe ich von Almosen lebe oder eine dienende Stellung annehme!“

      „Sie sprechen von „Ertragen und Dulden“ wie der Blinde von der Farbe! — Haben Sie schon jemals im Leben gehungert? Haben Sie gefroren in dem Bewusstsein, zu arm zu sein, um den Ofen heizen zu können?!“

      „Nein, — wie sollte ich!“

      Er trat wie in leidenschaftlicher Angst näher und fasste beschwörend ihre Hände: „Aglaë! Seien Sie kein unvernünftiges Kind, welches blindlings in sein Verderben rennt! Ich weiss es, wie bitter die Armut, das Notleiden und Entbehren ist — ich, der willensstarke, körperlich abgehärtete Mann bin in dem Kampf um das Dasein beinahe unterlegen, — wie viel mehr werden Sie, die zarte, sonnenlichtverwöhnte Blüte in solchem Sturm zu Grunde gehen!“

      Sie sah ihm voll in die Augen — ein warmer, dankerfüllter Blick, welcher dennoch durch Thränen glänzte.

      „Sonnenlichtverwöhnte!“ wiederholte sie leise, — „o nein, Hans, ich bin nicht so verwöhnt, wie es wohl der Welt gegenüber den Anschein hat! Ich habe in der Dunkelheit eines Lebens, dem keine Sonne von Liebe und Glück gestrahlt, manch heimlich Leid erduldet, ich habe an der eigenen Herzenskälte gefroren bis in die Seele hinein! Und doch spielte ich die grosse Comödie der beneidenswerten glücklichen Frau! — Haben Sie meine bösen, frivolen Worte von damals ganz vergessen? — Ich habe sie wahr gemacht, Hans, und habe eine Maske vor das Antlitz gelegt, welche alle Welt getäuscht hat! — Man muss in der Welt Comödie spielen, um zum Ziel zu gelangen, — das sagte ich schon damals und wiederhole es auch heute aus vollster Überzeugung. Und ich will mich auch jetzt wieder danach richten, will weiter Comödie spielen, nicht nur auf der grossen Schaubühne des täglichen Lebens, sondern auf den Brettern, welche die Welt bedeuten! Warum sorgen Sie sich um mich? Ich bin ja eine so gute Comödiantin! Ich habe mir den Titel einer Vicomtesse von Saint Lorrain erspielt, warum nicht auch mein täglich Brot? — Und ob ich dem Sturm gewachsen bin? — Eine schwache Birke ist biegsamer als ein starker Eichbaum, jener wird leichter herabgesplittert in den Staub als sie! — Und nun seien Sie bedankt, lieber Hans, für alles, was Sie mir in dieser traurigen Stunde Liebes gesagt! — Sagen Sie es auch Ihren braven Eltern! Mich aber überlassen Sie getrost meinem Schicksal — mir sind Schmetterlingsflügel gewachsen, die tragen leichter über die Miseren des Lebens hinweg, als Sie glauben!“

      Hans atmete schwer auf. „Ist dies mein Abschied, Aglaë?“ —

      Sie nickte und lächelte. — „Vielleicht auf Wiedersehen, vielleicht auch nicht. — Ich werde Sie nie in die Verlegenheit bringen, mich verleugnen zu müssen.“

      Ein schmerzliches Lächeln bebte über sein schönes, ernstes Angesicht. „Ich sehe ein, dass Sie erst bei der Erfahrung in die Schule gehen müssen, ehe Sie den Weg zurück in die Heimat finden! — Aglaë — vergessen Sie nicht, dass Sie in mir einen Freund besitzen, und wann und wo es auch sei, rufen Sie mich, falls Sie Hilfe brauchen! Verleugnen werde ich Sie nie, Aglaë, — es sei denn ...“

      Er stockte und biss sich auf die Lippe, sein Antlitz ward blutrot, — hastig wollte er sich von ihr abwenden. Sie hielt seine Hand fest. Angstvoll sah sie zu ihm auf. „Vollenden Sie, Hans! — bei allein, was Ihnen heilig ist, — wann würden Sie sich meiner schämen?! Wenn ich keine Erfolge habe und ausgepfiffen werde? Wenn ich in Armut und Elend verkomme?!“ —

      Er schüttelte beinahe heftig das Haupt, sein Auge flammte.

      Wie die verkörperte, edle Männlichkeit stand er ihr gegenüber. „Nein, Aglaë, nicht dann! Im Gegenteil, Ihre Armut, Ihre Not würden mir lieb sein wie ein Feierkleid der Unschuld, welches die Märtyrerin schmückt! — Aber das Gegenteil davon — das gleissende Gewand der Üppigkeit, — das, Aglaë, würde ich verleugnen vor Gott und der Welt, und ein Weib, welches Triumphe und Lorbeeren mit der Ehre bezahlt — das würde für mich vergessen und verloren sein — bis in den Tod!“

      Sie stand vor ihm, bleich und ernst, aber hocherhobenen Hauptes. Stumm reichte sie ihm die Hand. Ihre Lippen bebten, es lag etwas feierlich Keusches in ihrem Auge, was er zuvor nie gekannt. —

      Krampfhaft presste er ihre schlanken Finger in seiner Rechten, die volle, leidenschaftliche Angst einer Liebe, welche nie erloschen, urplötzlich wieder aufflammt und um ihr Teuerstes zittert, brach durch seine Worte. „Aglaë!“ rief er beschwörend, „nur eines, — eines gelobe bei dem Andenken an deine Mutter; bleibe brav und gut! Strauchle nicht auf dem schlüpfrigen Weg! — Hungere und friere, aber lass nicht von der Tugend!“ —

      Eiskalt war ihre Hand. — Fest blickte sie ihm ins Auge, und ihre Stimme klang wie ein Gelöbnis. „Ja Hans, ich will gut und brav bleiben!“ —

      „Gott segne dich!“ — — und er riss sich los und stürmte davon. —

      Aglaë aber strich langsam über die Stirn, es war ihr, als habe sie geträumt. Mechanisch faltete sie die Hände. Wie lange hatte sie keines Menschen Mund mehr gesegnet — wie lange hatte sie nicht mehr gebetet! —

      Ja, es ist hart und schwer arm zu sein, aber arm zu werden ist noch viel tausendmal schwerer. — Ein Fuss, welcher nicht gewohnt ist auf Stein und Dorn zu wandeln, leidet Qual bei jedem Schritt und eine Hand, welche nicht arbeiten lernte, trägt gar manche Schwiele davon, bis sie es nur versteht zuzugreifen und sich zu regen. —

      Wie ist es schon so ungewohnt und unbequem, ein einziges kleines Zimmer bewohnen zu müssen; welch eine fremde Beschäftigung, alles, was man braucht, zusammen zu suchen und fort zu legen! Aglaë hatte sich stets von ihrer Kammerfrau bis zur kleinsten Kleinigkeit bedienen lassen, und nun stand sie plötzlich allein und sollte sich sogar selbst frisieren! — Völlig ratlos hielt sie die prachtvollen Haare in Händen und hatte keinen Begriff, wie sie diese ungefügige Lockenfülle in die knappe Modefrisur, welche sie gewohnt war, eindrehen und aufnesteln sollte. — Stundenlang mühte und quälte sie sich ab, bis sie endlich die Arme

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