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haben wir es geschafft.“

      „Noch lange nicht“, widersprach Malindi. „Jetzt haben wir das Allerschlimmste erst noch vor uns, die Fahrt an der Küste, den Marsch durch den Dschungel und über die Berge bis nach Kandy. Und da erwarten uns noch viel mehr Unannehmlichkeiten, denn die Tempel sind scharf bewacht und keinem Menschen zugänglich. Wenn wir diese Küste wieder im Rücken haben und den Zahn des Buddha bei uns, dann haben wir es so gut wie geschafft, aber vorher nicht.“

      „Aber wir haben schon eine harte Probe hinter uns.“

      „Es werden noch mehr von uns verlangt werden.“

      Der dunstige Strich wurde langsam klarer, und sie bemerkten einen Küstenstreifen, der dicht mit Palmen bewachsen war. Eigentlich sah es an dieser Küste genauso aus wie drüben, von wo sie losgesegelt waren. Aber dennoch war alles neu und aufregend.

      Die Küstenlinie war langgezogen und erstreckte sich weit zum Horizont, der wieder dunstig und verwaschen war. Zum Süden hin waren ein paar der Küste vorgelagerte kleine Inseln zu erkennen. Sie ragten hügelig und dunkelgrün aus der See und waren dicht bewachsen.

      Sie segelten genau auf das Land zu, bis sie jede Einzelheit erkennen konnten, und sie sahen sich auch alles genau an.

      Die Palmen waren viel weiter weg, als sie anfangs gedacht hatten. Der Eindruck hatte nur getäuscht.

      In Wirklichkeit gab es hier keinen Sandstrand, sondern Dschungel, der bis dicht ans Wasser wuchs. Davor gab es sandige und flache Mangrovenbuchten, und erst weiter hinten überragten Kokospalmen den wildwuchernden Dschungel.

      Auch Geräusche waren jetzt zu hören, die ersten außer dem Branden und Rauschen vor der Küste.

      Da brüllten Affen schauerlich im Dschungel, und anderes Getier fiel mit allen möglichen Stimmen laut ein.

      Vor der Lagune eines Mangrovendickichts stoben ganze Schwärme weißer, großer Vögel auf, als sie sich mit dem Boot näherten. Es war wie eine weiße Wolke, die sich plötzlich in die Lüfte erhob und unter wildem Gekreische davonstob.

      Nein, es sah hier doch ein wenig anders aus als an ihrer Küste, und sie wurden recht unsanft daran erinnert, daß es immer wieder dann Überraschungen gab, wenn man am wenigsten damit rechnete oder ganz einfach für ein paar Augenblicke unachtsam war.

      Ein langer Ast schrammte am Boot entlang und legte sich langsam quer vor den Bug. Das Boot wurde ein bißchen herumgedrückt und lag dann wie vor einer Sperre im Wasser.

      Chandra erhob sich und nahm einen der Riemen, um den Ast oder vermoderten Baumstamm wegzuschieben. Er stellte sich vorn im Bug des Bootes hin und drückte den Riemen auf den Ast.

      Für einen Augenblick glaubte er, ein kleines, starres Auge zu sehen, das ihn ausdruckslos musterte.

      Dann drückte er zu und stemmte sich dagegen.

      Das Wasser bewegte sich plötzlich in einem wilden Wirbel. Ein mächtiger Schwanz zuckte durch das Wasser, ein riesiges, langes Maul öffnete sich und scharfe lange Zähne bissen zu. Sie wurden mit wilder und ungestümer Kraft in den Riemen geschlagen, dessen unteres Ende krachend zersplitterte. Der fürchterliche Rachen öffnete sich ein zweites Mal.

      Chandra war so überrascht und entsetzt, daß er den zersplitterten Riemen festhielt oder sich daran festhalten wollte.

      Die Bestie, es war ein dösendes Salzwasserkrokodil von unglaublicher Länge, peitschte jetzt wild das Wasser. Ihr Echsenschwanz knallte an den Rumpf des Bootes, und es gab einen dumpfen Schlag.

      Chandra Muzaffar wurde von der wilden Wucht ins Wasser geschleudert und stieß einen lauten Schrei aus, ehe er versank.

      Malindi war starr vor Entsetzen, als er das fürchterliche Riesenmaul mit den scharfen Zähnen sah. Auch er wollte schreien, doch der Schrei blieb in seiner Kehle stecken. Er brachte ihn nicht mehr heraus.

      Wie gelähmt starrte er ins Wasser auf jene Stelle, wo Chandra untergegangen war. Dort kochte und brodelte es.

      Er hatte das Ungeheuer nur kurz gesehen, aber er wußte, daß es ein Krokodil war, allerdings ein Krokodil von etwas anderem Aussehen, als er sie kannte.

      Ein grausiges Bild zog blitzschnell an seinem Auge vorüber. Die Erinnerung überfiel ihn schlagartig.

      Er, Malindi, war damals etwa sechs Jahre alt gewesen und mit seinem Vater in einem kleinen Nachen oft zum Fischen hinausgefahren. Das lag schon viele Jahre zurück, aber es hatte sich für den Rest seines Lebens in seine Erinnerung eingebrannt.

      Sie hatten in einer Mangrovenlagune gefischt, und beim Einholen des Netzes hatte sich ein riesiges Ungeheuer in dem kleinen Netz verfangen. Es war ein Krokodil, das zu toben begann und mit dem Schwanz um sich schlug. Sein Vater hatte das kostbare Netz nicht losgelassen und war dabei über Bord gegangen.

      Der Rest war schrecklich und grauenvoll gewesen. Die riesige Bestie hatte das Netz zerrissen und dann nach seinem Vater geschnappt. Malindi hatte noch einen verzweifelten Schrei gehört und gesehen, wie sich das Wasser der Lagune blutrot färbte.

      In der Zwischenzeit war der Nachen durch einen weiteren Schlag der Panzerechse gekentert, und Malindi hatte auf dem Kiel des Bootes gehockt und mit ansehen müssen, wie ein zweiter dieser gefräßigen Räuber auftauchte.

      Sie hatten seinen Vater in die Tiefe gerissen und ihn regelrecht zerfleischt und gefressen.

      Die Erinnerung an das furchtbare Unglück schlug wie ein Blitz in sein Gehirn, und auch jetzt sah er unter Wasser eine rosarote Wolke, die in alle Richtungen quoll und sich ausbreitete.

      Der Inder handelte wie in Trance. Was er tat, geschah instinktiv und nicht aus Überlegung. Er konnte einfach nicht anders.

      Er griff nach dem dünnen scharfen Messer, nahm es in die rechte Hand und stürzte sich kopfüber ins Wasser.

      Erst als das Wasser hochaufspritzte, fiel ihm ein, daß er überhaupt nicht schwimmen konnte. Er hatte es nie gelernt.

      Er paddelte wild herum, kriegte das Boot zu fassen und hielt sich mit einer Hand daran fest.

      Mit der Messerhand stach er zu, als der gepanzerte Rücken der Echse auftauchte. Immer wieder stach er zu, traf manchmal ins Leere, gab aber nicht auf.

      Blut färbte jetzt das Wasser rot. Malindi konnte nicht unterscheiden ob es Chandras Blut oder das des Krokodils war.

      Er hieb solange ins Wasser, bis seine Kräfte erlahmten und die Echse längst nicht mehr zu sehen war. Er hätte auch fast noch auf Chandra eingestochen, als der auftrieb.

      Mit allerletzter Kraft half er Chandra ins rettende Boot, wo sie lange über den Duchten hingen und vor Erschöpfung keinen Ton hervorbrachten.

      Malindi starrte den anderen an. Er bemerkte, daß von Chandras Arm Blut tropfte und auf die Gräting fiel, und er sah auch, daß die scharfen Zähne der Riesenechse eine lange Fleischwunde gerissen hatten.

      Er sah sich die Wunde genauer an und nickte schließlich. Sein Atem pfiff beim Sprechen immer noch.

      „Du hast Glück gehabt, Chandra. Das Biest hätte dich zerfleischen können. Die Götter haben dir beigestanden.“

      Chandra war weiß im Gesicht und blickte auf die Wunde, die schlimmer aussah, als sie war. Aber sie blutete stark.

      „Ein Wunder ist geschehen“, sagte er keuchend. „Es war mein Glück, daß ich gut schwimmen kann, aber es hätte wirklich nicht viel gefehlt, und ich wäre …“ Er brach ab, erschöpft, ausgelaugt von der langen Zeit unter Wasser, wo er nicht atmen konnte.

      „Wie mein Vater“, sagte Malindi dumpf. „Den hat auch ein Krokodil angegriffen und – und …“

      „Dein Vater ist von einem Krokodil getötet worden?“ fragte Chandra entsetzt.

      „Ja“, sagte Malindi einsilbig. „Und jetzt wollen wir deinen Arm verbinden, damit du nicht verblutest. Tut es sehr weh?“

      Chandra nickte heftig und verzog das Gesicht.

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