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Das Geheimnis des Medaillons. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Das Geheimnis des Medaillons
Год выпуска 0
isbn 9788711718483
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Er stellte sich vor: »Doktor Hagedorn – Klaus Hagedorn«, sah das verstörte Mädchen lächelnd an und fragte: »Na, wo fehlt’s denn? Sie sehen wirklich elend aus. Warum sind Sie nicht im Bett?«
»Nicht ich bin krank«, sagte Undine mit zitternden Lippen, »mein Vater …«
»Ach ja, das sagte mir Kollege Schirmer am Telefon. Aber Sie sind doch auch nicht ganz in Ordnung, Mädchen.«
Sie wich mit angstvoll aufgerissenen Augen zurück, als er auf sie zutrat. »Nicht, bitte nicht. Es geht mir ganz gut.«
»Hier, bitte …« Undine öffnete die Tür zur Schlafstube, zog sich aber einige Schritte zurück, als er hineinging; erst als er sich an das Bett des alten Mannes setzte und dessen Puls fühlte, kam sie zögernd näher.
»Wie alt?« fragte Dr. Hagedorn.
»Achtundsiebzig«, antwortete Undine.
Dr. Hagedorn betrachtete das verzerrte Gesicht des Kranken, dem das dichte schlohweiße Haar eine rührende Würde verlieh, bewegte erst den linken, dann den rechten Arm, zog die Augenlider hoch. Er nahm sein Stethoskop aus der Bereitschaftstasche, öffnete das Hemd des Kranken, horchte das Herz ab.
»Achtundsiebzig Jahre«, wiederholte er, »ein schönes Alter. Aber ich hoffe, ein paar Jährchen mehr darf er sich noch gönnen.« Er lächelte Undine ermutigend zu. »Tadelloses Herz«, sagte er, »ich denke, wir kriegen ihn über den Berg.«
Sie entspannte sich. »Gott sei Dank!« sagte sie inbrünstig.
Ein seltsames Geräusch, wie ein vielstimmiges Gemurmel, war durch die dicken Mauern des alten Hauses zu hören.
»Was ist das?«
Sie rang die Hände. »Ich weiß nicht.«
Er lauschte noch einen Augenblick. Das Geräusch wurde schwächer, verstummte ganz, so daß er glaubte, sich geirrt zu haben.
»Sie sind ein interessantes Mädchen«, sagte er, »mit Ihnen möchte ich mich gerne länger unterhalten.« Er nahm eine Ampulle aus einer Schachtel in seiner Bereitschaftstasche, sägte die gläserne Spitze ab, füllte den durchsichtigen Inhalt in eine Spritze. »Leben Sie immer hier?«
»Ja«, sagte sie.
»Schrecklich einsam, wie?«
Sie schüttelte den Kopf. »Was machen Sie da?«
»Ein krampflösendes Mittel.« Er drückte den entblößten Arm des alten Mannes, bis die Vene dick und bläulich hervortrat. »Wird intravenös gespritzt. Haben Sie einen Eisschrank?«
»Nein. Warum?«
»Ein Eisbeutel auf den Kopf wäre das Richtige, aber, na ja, was nicht ist, kann nicht sein. Machen Sie ihm statt dessen bitte wenigstens kalte Umschläge.«
Sie lief fort und kam sehr bald mit einer Blechschüssel kaltem Wasser und einem Handtuch über dem Arm wieder, reichte beides dem Arzt.
»Danke«, sagte er, »und nun passen Sie auf.« Er tunkte das Tuch in das kalte Wasser, wrang es kräftig über der Schüssel aus, strich es glatt und legte es dem alten Mann über die Stirn. »So wird’s gemacht«, sagte er, »und so oft wie möglich wechseln. Alle zehn Minuten, später seltener.«
»Was – fehlt ihm?« fragte Undine.
»Eine Apoplexie«, sagte der Arzt, »Schlaganfall kann man es auch nennen oder Gehirnschlag, ich weiß nicht, was Ihnen geläufiger ist. Kein Wunder in diesem Alter. Wenn er zu sich kommt, wird wahrscheinlich seine eine Seite gelähmt sein. Die linke, soviel ich feststellen konnte; auch sein Gesicht wird verzerrt bleiben, die eine Hälfte wenigstens. Sie dürfen nicht darüber erschrecken. Das sind Begleiterscheinungen einer solchen arteriosklerotischen Störung, die sich später meist völlig wieder geben …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
Mit dumpfem Poltern schlug etwas Schweres gegen die Haustür.
Dr. Hagedorn sah das Mädchen verblüfft an. Sie preßte die Faust vor den Mund, unterdrückte ein Wimmern.
Ehe Dr. Hagedorn etwas sagen konnte, polterte ein wahrer Hagel von Schlägen gegen die Tür. Gleichzeitig rauschte das Gemurmel vieler Stimmen auf, schwoll an, wurde drohend, wuchs zu einem unverständlichen Inferno voll dumpfer Bösartigkeit.
Dr. Hagedorn vergewisserte sich mit einem Blick, daß die Fenster durch schwere Läden gesichert waren. »Bleiben Sie ruhig«, sagte er, »niemand kann Ihnen etwas tun. Haben Sie eine Taschenlampe?«
Sie zögerte, dann lief sie zu einem Schrank öffnete die Schublade, holte die Stablampe heraus, mit der sie Jakobus Schwenzen auf den Kopf getroffen hatte. Sie berührte sie nur mit Widerwillen, war froh, als er sie ihr aus der Hand nahm.
Er prüfte den Lichtstrahl, sagte befriedigt: »Funktioniert«, sah sie nachdenklich an, fragte mit einer Kopfbewegung nach draußen: »Wissen Sie, was das zu bedeuten hat?«
Undine zitterte so, daß sie kaum sprechen konnte. »Sie – nennen mich – Hexe«, brachte sie mühsam hervor.
»Nicht zu fassen! Na, denen werde ich heimleuchten. Bleiben Sie hier oben, was auch geschieht. Kommen Sie mir nicht nach und öffnen Sie auf keinen Fall ein Fenster.« Er wandte sich zur Treppe.
Ganz plötzlich kam Bewegung in sie, sie lief ihm nach, packte ihn am Ärmel. »Bitte«, sagte sie, »bitte gehen Sie nicht.«
Er nahm ihre Hand, hielt sie einen Atemzug lang beruhigend fest. »Sie brauchen nichts zu fürchten, Undine, mir tun sie nichts. Ich bin Arzt. Niemand würde es wagen, und ich werde nicht zulassen, daß jemand Ihnen auch nur ein Haar krümmt. Verstanden?«
Sie sagte nichts, sah ihn nur mit ihren schwarzen, weit aufgerissenen Augen angstvoll an.
Er wandte sich ab, ging mit raschen Schritten die Treppe hinunter. Als er die Haustür öffnete, schrie eine Frau mit gellender Stimme: »Mörderin!«
Undine klammerte sich an das Geländer, um nicht umzusinken.
Dann zog der Arzt die Tür hinter sich ins Schloß, und die drohenden Stimmen draußen verloren ihre Kraft.
›Lieber Gott‹, dachte Undine, ›wenn ich nur beten dürfte!‹
Dr. Klaus Hagedorn hatte sich durchaus nicht so sicher gefühlt, wie er vorgegeben hatte.
Aber als der Strahl seiner Taschenlampe die Gesichter der gegen das Haus Drängenden traf, gewann er sein Selbstvertrauen zurück. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er begriffen, daß es sich im Grunde nur um ein armseliges Häuflein Menschen handelte, vor allem alte Frauen und junge Burschen, die einzeln völlig harmlos gewesen wären, sich aber zusammen in einem Zustand gefährlicher Hysterie befanden.
»Was wollt ihr?« fragte er mit erhobener Stimme, bemüht, ihr einen Klang von eherner Festigkeit zu geben. »Ich bin Doktor Hagedorn. Sprecht, wenn ihr etwas zu sagen habt. Aber einzeln, bitte, und in aller Ruhe.«
John Mannerstrat vor. Er stemmte die Fäuste in die Hosentaschen, warf herausfordernd den Kopf zurück und sah den Arzt zornig an. »Sie ist eine Hexe«, sagte er, »sie hat meinen Freund auf dem Gewissen, Ole Peters, meinen besten Freund. Sie hat ihn durch ihren Hexenfluch umgebracht.«
Wieder klang im Hintergrund das böse Wort »Mörderin« auf.
»Wenn dem so ist«, sagte Dr. Hagedorn, »warum geht ihr nicht zur Polizei und zeigt sie an?«
Eine kräftige Frau, fest in ein schwarzes Schultertuch gehüllt, kam nach vorn, und alle wichen auseinander, machten ihr ehrfürchtig Platz. »Mein Sohn ist tot, Herr Doktor«, sagte sie, »mein Ole ist gestorben in dieser Nacht. Kommen Sie mit uns und sehen Sie ihn an, wenn Sie mir nicht glauben. Sie hat meinen Ole auf dem Gewissen.« Der Schmerz in ihrer Stimme war echt. »Erst meinen Mann, jetzt meinen Sohn.