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vorbereitet war sie darauf, daß irgend etwas Peinliches da war. Schon seit Tagen war ihr Vater so seltsam ruhelos; sie hatte sich schon Sorgen hingegeben, sie hatte auch schon mit Heinrich Traudel, der ihrem Vater sehr nahe stand, über ihn geredet; aber Heinrich war ihren Fragen ausgewichen und einmal — als sie die Frage tat, ob vielleicht Verarmung ihm drohe, da hatte der sonst so stille, bescheidene Jugendfreund laut aufgelacht und höhnisch geantwortet: „Das ist’s nicht. Was ich fürchte, ist — daß Euer Reichtum sich noch vermehren wird.“ Dann war er, als empfände er, schon zu viel gesagt zu haben, davongegangen.

      Dann war das Fest und der Überfall, die Werbung und deren Abwehr und dann — dann hatten Lascienski und ihr Vater miteinander geredet und sie war, ungewollt, heimlich Zeugin dieser Unterredung gewesen.

      Da wußte sie alles! Und deshalb war sie in ihr Schlafgemach geflüchtet, deshalb hat nicht einmal eine der Mägde mehr zu ihr kommen dürfen, die, einer Irrsinnigen gleich, stundenlang ohne Ruh und Rast auf und nieder rennt wie ein zu Tod verwundetes, schmerzgepeitschtes Edeltier. Als die Uhr von Sankt Stephan sieben Schläge tat, stand Eva eben am Fenster und starrte zu dem herrlichen Turm hinüber, dessen Form schon aus der weichenden Morgendämmerung tauchte.

      „Licht wird es, Gott im Himmel! Wie fürchte ich jetzt das Licht!“ murmelte sie. Da rasselte unten das Tor und Hufschlag wurde hörbar. Frater Anselmus, auf einem bescheidenen Klosterklepper sitzend, ritt aus dem Hause.

      „Gott sei mit Euch, junger Herr!“ hörte man die tiefe Stimme des Pförtners Peter sagen, und ihr Bruder antwortete: „Bruder Anselmus bin ich, guter Peter. Ein Armer, der in sein armes Kloster zurückkehrt. Gott sei mit euch allen, die ihr in diesem Hause, in dieser trauten Stadt wohnt.“ Die Stimme verhallte, das Rößlein trabte weiter. Es wurde wieder still.

      Eva hatte ihrem Bruder einen Abschiedsgruß nachrufen wollen, aber sie tat es nicht. Sie ließ die Hände wieder sinken und murmelte: „Zieh in Frieden, du Kluger, der du den Narrenprunk dieses Hauses hinter dir gelassen hast. Gott ist mit dir, mein Bruder, wer aber wird mit uns sein?“

      V.

      Etliche Stunden später hielten zwei prächtige Schlitten vor dem Hause des Baumeisters, um die drei geladenen Gäste abzuholen.

      In dem einen Schlitten unter silbergrauen Fellen huschelte sich Anna, des Magisters Frau, zusammen, deren liebes Gesicht von der Kälte schon rosig gefärbt war. Ihr Mann, der bei ihr gesessen, hatte den Schlitten verlassen, um mit Thorgau Eva herunterzuholen.

      Sie trat ihnen schon im Flur entgegen. Auch Frau Hähnlein in ein Tuch gehüllt, war heruntergekommen. „Lieber Magister“, sagte sie ein bißchen aufgeregt, „welcher von den beiden Herren wird der Kavalier Evas sein? Der muß nämlich ein bißl aufpassen, denn unser Kind ist nicht wohl und will die Fahrt doch nicht unterlassen.“

      „Aber liebe Muhme, mach’ doch nicht so ein Wesen aus meinem bißchen Kopfweh“, bat Eva und setzte, den Herren beide Hände reichend, hinzu: „Eine vergnügliche Gesellschaft werde ich aber wirklich nicht sein; also wer wird so vorsichtig sein, nicht mit mir zu fahren?“

      „Ich habe nie für besonders vorsichtig gegolten“, warf Herr von Thorgau rasch ein und der Magister setzte lustig hinzu: „Und mich hält man mit Recht für eifersüchtig. Nicht um eine Welt ließe ich Wolf Dietrich mit meiner Frau fahren. Also bleibt er Euch, liebe Eva.“

      „Na, dann rasch in den Schlitten“, drängte Frau Hähnlein, „und ums Dunkelwerden seid Ihr wieder zurück.“ Und die geschäftige Frau ließ es sich nicht nehmen, „unser Kind“, von dem sie reichlich um Haupteslänge überragt wunde, auch recht gut in die Bärenfelle einzuhüllen.

      Mit einem liebreichen Lächeln grüßte Eva ihre alte Verwandte, die Pferde zogen an und unter Schellengeklingel nahmen die beiden Schlitten ihre Fahrt auf.

      Es ging zum Schottentor hinaus. In den engen, krummen Gassen der Stadt war es nicht sehr kalt; als die Schlitten jedoch ins Freie kamen, machte sich das scharfe Frostwetter recht bemerkbar. Es war ein prächtiger Wintertag. Vom lichtblauen Himmel strahlte das Sonnenlicht auf die schneebedeckten Fluren und ließ Millionen farbenreicher Fünkchen in den weißen Flächen aufblitzen, an denen die Fahrzeuge vorüberkamen.

      Bald lag die Vorstadt Roßau hinter ihnen, die Hügel von Nußdorf tauchten auf und immer näher kam man dem Leopoldsberg, an dessen Fuß die Straße weiterführt nach der lieben, alten Stadt Klosterneuburg.

      Stolz ragte die feste Babenbergerburg in den lichten Himmel und weiter drüben im Lande duckten sich das Kahlenberger Kirchlein und das Kloster der Kamaldulenser unter die mächtigen Baumriesen, die schon seit hunderten von Jahren auf Wien, das mauerumgürtete Bollwerk der Christenheit, hinüberschauten.

      Und auf all diesem lag die weiße Pracht des Winters, bestrahlt vom Sonnenlicht.

      Anna und der Magister plauderten und lachten zuweilen so laut, daß es die hinter ihnen Fahrenden gut hören konnten, wie froh den beiden zumute war.

      Um so auffallender empfand Herr von Thorgau die ernste Stimmung seiner schönen Fahrtgenossin. Eines wußte er: es war nicht ein körperliches Unbehagen, das Eva quälte, sondern es war ihre Seele, die litt.

      Um ihr ein wenig zu Hilfe zu kommen, fing er an, ihr von seiner Heimat und seiner alten, guten Mutter zu erzählen und ihr zu schildern, wie man bei ihm daheim lebe und wirtschafte, und wie die sandige Heide auch ein liebes Stück Erde sei.

      Der wackere Brandenburger war ein schlichter, ernster Mann, der niemals in Reichtum gebettet, niemals vom Glücke verwöhnt worden war. Reich war nur sein Herz, das fühlte Eva, als er so lieb und gut redete, was aber nur so eifervoll geschah, weil er merkte, wie schwer es ihr jetzt sei, harmlos zu scheinen.

      Harmlos! Herr Gott! Sie war einfach von bitterster Sorge für ihres Vaters ferneres Leben erfüllt und voll Angst um sich selber. Aber es durfte niemand merken, von woher die Pein gekommen, die sie seit dem gestrigen Abend erfüllte. Deshalb nahm sie alle ihre Kraft zusammen, deshalb machte sie jetzt mit ihren Freunden diese „Lustfahrt“.

      Beim Kahlenbergerdörfel bogen die Schlitten von der breiten Straße ab und verließen die Donau. Bauernfeinds Landhaus lag am Fuße des Kahlenberges. Man sah es erst, wenn man schon fast bei seinem Tore stand. Es war ein kleiner, aber fester Bau, dessen rückwärtige Seite an eine steile Felswand gebaut war.

      Bauernfeind hatte das Haus vor vielen Jahren einem Müller abgekauft, der darin sein Gewerbe getrieben. Jetzt freilich erinnerte nichts mehr als der starke Bach, über welchem ein Teil der ungemein derben Mauern aufgeführt war, daran, daß einst viele Menschenalter hindurch hier ein Mühlrad geklappert hatte.

      Dem Baumeister hatte es gefallen, die einstige Mühle durch allerlei Veränderungen in ein vornehmes, allerdings ein bißchen festungsartiges Landhaus umzuwandeln. Die äußerliche Düsterkeit hatte er dem alten Bau freilich nicht nehmen können. Jeder aber, der über die derbe, steinerne Brücke in den kleinen Hof einfuhr und dann den alten Bau betrat, war erstaunt, denn darin war alles hell und freundlich und trotz aller Einfachheit schön und vornehm.

      Als das Schellengeklingel vom Haus aus vernehmbar geworden, hatte sich dessen Tür geöffnet und ein behäbiger, ältlicher Mann war so flink wie die Freude macht, die paar Stufen in den Hof hinunter gestiegen. Als der erste der Schlitten anhielt, war auch schon das Hoftor, an welchem die Brücke endete, aufgetan, riß der wohlbeleibte Alte die Ottermütze vom Kopfe und begrüßte mit Verbeugungen und herzlichen Worten die Einfahrenden.

      Eine auch nicht mehr junge, aber robuste Frau und ein junges Mädchen waren gleichfalls zur Stelle und halfen den Gästen beim Aussteigen.

      „O, Fräulein Eva, wie bin ich froh, daß wieder einmal Leben ins Haus kommt“, sagte das junge Ding vergnügt und ihre Mutter beteuerte das gleiche.

      „Ach! Schröckenfucbsin. Ich bin doch selber froh, daß ich wieder einmal habe herauskommen können“, entgegnete Eva freundlich. „Habt Ihr es uns denn auch recht gemütlich gemacht?“

      Etliche Minuten später saßen die vier in einem behaglich eingerichteten und wohlig durchwärmten Zimmer

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