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Kinderstation. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Kinderstation
Год выпуска 0
isbn 9788711718988
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Hilde schmiegte sich an ihn. »Ich liebe dich so sehr, Kurt, ich bin halb wahnsinnig vor Liebe. Ach, manchmal glaube ich, es wäre besser, ich hätte dich nie kennengelernt.«
Sie schloß die Augen, als er sie küßte.
Und daher sah sie nicht den Ausdruck der Verachtung, der sein schmales, ebenmäßiges Gesicht entstellte.
Marina hatte eine kleine Reisetasche aus Schottenstoff in der Hand. Sie ging langsam durch den Korridor der Kinderklinik bis zu der Station, in der sie zuletzt Dienst gehabt hatte. Leise öffnete sie die Tür.
Alle sechs Betten waren belegt. Die Kinder schliefen. Einen Augenblick zögerte Marina, aber dann wandte sie sich mit einem Ruck um und verließ den Raum.
Mechanisch legte sie den Weg zum Zimmer des Chefarztes zurück. Sie klopfte an die Tür und trat ein, ohne das Herein abzuwarten. Arno Vogel saß am Schreibtisch und blickte ihr freundlich entgegen. »Na, was gibt’s denn, Schwester Marina?« sagte er.
»Ich möchte mich von Ihnen verabschieden, Herr Chefarzt.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Was heißt verabschieden? Setzen Sie sich doch.«
»Nein, bitte nicht. Ich möchte schnell das Haus verlassen.«
Vogel stand auf, rückte einen Stuhl an den Tisch und veranlaßte Schwester Marina mit sanfter Gewalt, sich hineinzusetzen. Dann ging er zu seinem Sessel zurück.
»So«, sagte er, »nun erzählen Sie mal, Kind! Was ist los?«
Marina sah ihn mit kläglichem Gesicht an. »Herr Chefarzt, bitte quälen Sie mich nicht. Sie wissen doch selbst, daß es hier nicht weitergeht. Ich bin zu Gefängnis verurteilt worden, und wenn ich durch die Klinik gehe, habe ich das Gefühl, daß alle Menschen mich hämisch ansehen.«
»Schwester, Ihr Gefühl trügt Sie. Verlassen Sie sich doch in diesem Punkt auf mich. Die Leute hier haben eher Mitleid mit Ihnen. Selbst der Eichner wagt nicht, ein böses Wort über Sie zu reden.« Marina fuhr hoch: »Das sollte er auch wagen, dieser meineidige Kerl.«
»Pst, pst!« Arno Vogel lächelte. Und dann sagte er begütigend:
»Schwester Marina, Ihr Temperament geht mit Ihnen durch. Aber ich verspreche Ihnen feierlich: Sie werden mir nicht durchgehen. Ich habe bestimmt, daß Sie hierbleiben. Das ist auch mit den vorgesetzten Stellen besprochen. Und wenn Ihnen irgend jemand Unannehmlichkeiten machen will, dann wird der Betreffende das Haus verlassen … aber nicht Sie.«
Marina kämpfte mit den Tränen.
»Also abgemacht.« Arno Vogel gab diesen Worten jene Bestimmtheit des Tones, von dem Marina und alle anderen Schwestern wußten, daß er eine Entscheidung bedeutete.
Sie schwieg.
Da ging Arno Vogel nochmals zu ihr hin, packte sie an beiden Schultern und schüttelte sie freundschaftlich. »Mädchen, Marina, machen Sie doch keine Dummheiten!«
Marina hob den Kopf. Sie starrte auf die Tür, die sich leise geöffnet hatte. Arno Vogel sah Marinas Gesichtsausdruck, ließ sie los und drehte sich um.
Oberarzt Dr. Kurt Eichner stand in der halbgeöffneten Tür.
Niemand sprach.
Nach einer langen Pause sagte Eichner übertrieben langsam und mit besonderer Betonung: »Pardon, Herr Chefarzt, Sie müssen mein Anklopfen überhört haben …«
4
Marina tat ihre Arbeit wie bisher. Niemand sprach mit ihr über das, was vor ein paar Wochen geschehen war.
Auch Dr. Kurt Eichner, der Oberarzt, sagte nichts. Nur seinem Chefarzt Dr. Vogel gegenüber leistete er sich hin und wieder ein mokantes Lächeln …
Arno Vogel übersah es.
Drei Wochen nach der Verurteilung Marinas erschien eine aufgeregte Mutter in der Klinik. Sie hatte ihren kleinen kranken Jungen Hans mitgebracht. Nach einem flüchtigen Blick auf den Patienten rief der diensthabende Arzt Dr. Schmittchen den Chefarzt herbei. Dr. Vogel kam sofort in das Aufnahmezimmer.
Das Bild, das sich ihm bot, war erschreckend. Der kleine Junge, der auf dem Bett lag, rang nach Luft. Sein Brustkorb war unnatürlich erweitert, seine Haut blau verfärbt.
Seine angsterfüllten Blicke wanderten zwischen den beiden Ärzten hin und her. Die Mutter, Frau Heiberg, stand Arno Vogel gegenüber. »Muß er sterben?« fragte sie schluchzend. »Muß er sterben? Bitte, Herr Doktor, sagen Sie mir die Wahrheit. Muß er sterben?«
Dr. Vogel lächelte ihr beruhigend zu. »Aber, Frau Heiberg, nun lassen Sie mich doch erst mal Ihren Jungen untersuchen. Wir werden dann schon sehen, wie wir ihm helfen können.«
Die Aufnahmeschwester reichte dem Chefarzt die Karteikarte des neuen Patienten. Dr. Vogel warf einen Blick darauf und wandte sich dann wieder an die Mutter: »Er ist vier Jahre alt, nicht wahr?«
»Ja, im Juni ist er vier geworden.«
»Was für Krankheiten hat er gehabt?«
»Gar keine, das ist es ja, Herr Doktor. Er ist immer gesund gewesen, und jetzt dieses Unglück …«
Dr. Vogel begann, das kranke Kind behutsam zu untersuchen. Dabei sprach er mit der Mutter weiter. »Hat er denn noch gar keine Kinderkrankheiten gehabt?«
Frau Heiberg hob das tränenüberströmte Gesicht. »Kinderkrankheiten?« fragte sie erstaunt. »Ja, natürlich hat er Kinderkrankheiten gehabt. Masern und Windpocken und so was. Und dann ist er wegen eines Leistenbruchs operiert worden. Aber das hat doch mit diesem Anfall nichts zu tun, Herr Doktor.«
Arno Vogel antwortete nicht.
Nachdem er die Untersuchung beendet hatte, richtete er sich auf und wandte sich an die Schwester. »Bitte, Schwester, schreiben Sie mal: Der Klopfschall der Lunge ist hypersonor. Man hört über beide Lungen im verlängerten Exspirium Pfeifen. Die Herzaktion ist stark beschleunigt. Puls gut gefüllt. Status asthmaticum.«
Die Schwester machte routiniert ihre Notizen. Dabei sagte sie: »Fieber habe ich schon gemessen, Herr Doktor.«
»Na und?«
»Die Temperatur ist nicht erhöht.«
Dr. Arno Vogel wandte sich wieder an die Mutter: »Sagen Sie, Frau Heiberg, seit wann ist Hans denn eigentlich krank? Ich meine, wann haben Sie zuerst etwas gemerkt?«
»Heute früh. Ich war ja so entsetzt. Gestern abend war er noch ganz in Ordnung, gesund und munter, aber dann plötzlich, heute früh …«
»Um wieviel Uhr war es?«
»Ja, als ich zu ihm ins Zimmer kam, da atmete er schon so komisch. Wie spät es da war, ja, das muß sieben Uhr gewesen sein. Aber so schlimm wie jetzt war es nicht. Ich dachte bestimmt, es würde von selbst vorbeigehen, sonst hätte ich doch sofort den Arzt geholt.«
»Und wann haben Sie also einen Arzt gerufen?«
»Kurz vor zwölf. Und Doktor Meier, das ist unser Hausarzt, kam sofort, obwohl er eigentlich Sprechstunde hatte, und dann hat er gleich die Einweisung in Ihre Klinik angeordnet, und da habe ich richtig gemerkt … Bitte, Herr Doktor, er muß sterben, nicht wahr? Mein armes Hänschen muß sterben …«
Sie wollte sich über das Kind werfen.
Dr. Vogel riß sie zurück. »Nun hören Sie aber auf«, sagte er unfreundlich. »Was soll denn das? Seien Sie nicht so egoistisch. Sie schaden ja Ihrem Kind durch Ihre Hysterie.«
»Hysterie!« Frau Heibergs Stimme wurde hoch und schrill. »Hysterie! Na hören Sie. Das hat mir noch niemand gesagt.«
Dr. Vogel sah sich nach dem diensthabenden Arzt um. »Wo ist denn Doktor Schmittchen?« fragte er die Schwester.
»Er ist im Nebenraum, Herr Chefarzt. Ein kleines