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zwei Tage vor Carl Eugens Geburtstag, sah sich Franziska mitten darin, selbst erstaunt, wie rasch sie sich in das unaufhörliche Getriebe gefunden hatte. Der Tanz machte ihr Vergnügen, sie fühlte sich freier, seit sie vorgestellt worden war und dazugehörte. Die Bewegung tat ihr gut, da sie sonst immer nur still über ihren erbaulichen Büchern saß; lang war es her, seit sie geritten und durch die Wälder gelaufen war oder zur Obstzeit auf den Bäumen gesessen hatte …

      Jetzt, geschützt durch die schmale schwarze Maske, ließ sie ihrer Lust freie Bahn: Sie tollte herum, wie es einer Kammerherrin vielleicht nicht anstand; aber Leutrum, selbst eine unglückliche Figur auf dem Parkett, gönnte ihr den Spaß, weil sie sich dabei schöner entfaltete, und beobachtete heimlich, wie er bei den Eingeweihten durch ihre Anmut einige Sympathie gewann.

      Beim Menuett schleiften die Kavaliere geneigt und hüftdrehend über den blanken Fußboden, Lachen und Girren flatterte wie eine Wolke über dem Reigen. Wer nicht tanzte, stand schwatzend in einer Fensternische oder am Tisch mit den Getränken, einer komplimentierte wohl auch seine Dame – vorsorglich in ihren Pelz gewickelt – auf den Balkon hinaus. Franziska drehte sich zwischen den anderen; ein Kammerjunker hatte Leutrum um die Ehre gebeten, sie zur Gavotte zu führen.

      Ihr türkisches Kostüm mit den rockweiten Hosen war gewiß sehr kühn – sie hatte zuerst abgelehnt, als es der Hofschneider vorschlug; aber zu ihrem Trost milderten die schwarzen Fransen an dem gerafften Überrock den Affront, den Leutrum als „étonnant“ genehmigt hatte. Das Mieder glänzte mattgolden, die Ärmel waren aus grünem Schleierstoff, die Haare unter einem winzigen roten Käppchen hochfrisiert. Franziska schielte atemholend unter der seidenen Larve hervor nach ihrem Mann; Leutrum lehnte am Büfett und trank; er redete eifrig auf einen runden seriösen Domino ein und schaute geradeaus. Sie nickte ihm zu, obwohl er hier nicht gegrüßt werden wollte, aber er blickte an ihr vorbei – ein grämlicher Papagei im gezipfelten Frack.

      Da war ihr Tänzer plötzlich wie weggewischt. Sie fühlte sich behutsam umfaßt und vorwärts geschoben. Empört drehte sie sich um: Ein hochgewachsener Mars in goldstrotzender Rüstung hatte den Arm mit dem blutroten Mantel um sie geschlungen. Eine Art Visier mit Augenfugen verdeckte das Gesicht, riesige Straußenfederbüschel wogten auf der gebogenen Helmkrone … Franziska schob vorsichtig die Hand mit dem leuchtenden Mantel von sich weg; hinter den Schlitzen waren die Pupillen nicht zu erkennen, doch unter der goldüberdachten Nase wölbte sich ein selbstherrlicher Mund.

      Der Gewaltige trat zurück und sagte halblaut: „Madame, warum tragen Sie keine blauen Schuhe?“ „Blau?“ antwortete sie gekränkt, „weil ich a anständige Frau bin!“

      Der Mars lachte so dröhnend und volltönig, daß Franziska erschrocken zurückwich. Er nahm jetzt mit einer Verneigung ihre Hand und führte sie in den kleinen Erfrischungsraum hinter dem Ballsaal. Vor ihnen bildete sich eine freie Bahn, hinter ihnen blieb neugieriges Schweigen zurück. Leutrum schaute dem Paar finster nach. Er strich sich das Kinn nach Art alter Männer, als jemand neben ihm flüsterte: „Hohe Ehre, Reinhard, wahrhaftig: eine Auszeichnung!“

      „Oh, schöne Türkin …“, sagte draußen der Kriegsgott und versuchte, Franziskas Maske zu lüften. „Da wäre ich wohl besser als der Savoyer erschienen, als ein ritterlicher Prinz Eugen und Türkenbezwinger, damit ich Sie entführen könnte?“

      Franziska lachte; seine mächtige Ausstrahlung machte sie sicherer. Sie verbot sich selber darüber nachzudenken, wer da als Olympier auftrat. Es lockte sie, den Unbekannten unbekannt sein zu lassen und doch mit seinem Geheimnis zu spielen. „Die Türkin läßt sich nicht entführen, Göttlicher“, gab sie ihm zurück, „aber sie tanzt gern und schwätzt gern und wüßt auch gern, mit wem?“

      Er lachte wieder, warf den Mantel auf ein Sesselchen und dehnte die Arme. Goldene Schuppenärmel reichten bis fast zu den kräftigen Ellbogen herunter, ein schmiegsamer Panzer spannte sich über der gewölbten Brust; gelbe Löwenhäupter lagen auf den Schultern. „Den Helm gibt Mars nicht preis“, sagte der Maskierte vergnügt, „solange die Odaliske ihr Augenband aufbehält.“

      „Dann muß er sich halt mit dem großen Trumm abschleppen“, entschied sie prompt, und gleich darauf setzte sie mitfühlend hinzu: „Ist’s arg schwer?“ „Bloß heiß“, schnaufte der Mars. „Wenn die Türkin erlaubt, könnten wir auf die Terrasse gehen, mein Purpur macht warm.“

      Als er ihr den Mantel umlegte, hielt er sie ein wenig fest, doch er ließ sie gleich los, als sie steif stehenblieb. Im Vorbeigehen zog er einen Vorhang beiseite und öffnete eine Tür. Draußen lag kein Schnee, dünner Regen fiel in den milden Februarabend. Unter dem Vordach standen die beiden Masken und atmeten auf. Der Mantel wärmte angenehm; Mars wartete, die Arme gekreuzt, auf ein zutrauliches Gespräch.

      Franziska trat an die Brüstung und beugte sich vor.

      „Des tut net gut – im Feber so lau“, meinte sie tadelnd, „nachher verfriert alles!“

      „Eine schwäbische Türkin!“ stellte Mars resigniert fest, da er eine persönlichere Äußerung erwartet hatte.

      „Sie sprechet auch net griechisch oder römisch!“ gab sie zurück, „aber i weiß scho, es sind jetzt allerlei Leut’ beim Herzog, Italiener und Preuße und des französische Ballett und die welsche Sänger und …“

      „So?“ brummte Mars und rückte ein wenig näher, „was sie nicht sagt – la belle turque!“

      „Vielleicht sind Sie doch ein Franzos’?“ fragte sie tastend.

      „Vielleicht …“, erwog auch der Kriegsgott in seltsamem Ton.

      Da überkam sie ein ungewohnter Mut. Ich brauch’s ja nicht zu wissen und ich weiß es auch nicht, überlegte sie, und er soll mich jedenfalls anhören. „Das wär schon recht“, verkündete sie in ihrem strengsten Hochdeutsch, „wenn auch’s Theater und’s Ballett viel Geld kostet, aber daß der Durchlauchtigste die vielen Tänzerinnen haben muß und die maitresse en titre, die …“

      „Was sagst du da, Kind?“ Der Goldhelm klirrte leise an eine Säule, weil der Held sich in den Schatten zurückbog.

      „Die?“ rief Franziska empört und bemerkte das unwillkürliche „Du“ nicht, „die ist ein Öffentlich erklärter Schatz vom Herzog!“

      Der Erhabene lachte ein wenig flackernd.

      „Ach? Sagt man so im Schwäbischen?“

      „Mer sagt noch viel mehr!“ fuhr sie auf, „von seine Schulde an d’ Kirchekass’, und von dene Jagde im Schönbuch und am Bäresee, wenn se an tausend Tierle abschießet, und die Baure hent nix zum Esse wegen der Wildmast! Und von dene ei’gsperrte Leut’, vom Rieger …“

      „Halt!“ schnitt ihr Mars das Wort ab, „jetzt ist’s genug! Woher wissen Sie denn das alles?“

      „Bloß von de Leut’!“ flüsterte sie schüchterner; wahrscheinlich war sie doch zu weit gegangen.

      „So – die Leut’!“ brummelte der Maskierte, „die Leut’!“

      In diesem Augenblick trat ein Kammermohr durch die Balkontür heraus, von Kopf bis Fuß feuerrot gekleidet. Er näherte sich mit Verbeugungen, aber Mars winkte ab und neigte ihm den Kopf entgegen. Der schwarze Mann flüsterte ihm ins Ohr.

      „Ah!“ seufzte der Behelmte erfreut, „da kann die Frau Türkin gleich selber sehen …“

      Der Diener entfernte sich. Mars schob die Türflügel weiter auf, Franziska drängte neugierig nach. Durch den Spalt schien das Licht aus dem Saal. Mitten im Blickfeld der beiden erhob sich eine helle Gestalt, eine Wolke aus Tüll, das stark geschminkte Gesicht zu ihnen gekehrt.

      „Concetta!“ murmelte Mars beeindruckt.

      Die Primaballerina trippelte jetzt auf den starren Fußspitzen, die Geigen zirpten dazu. Aus kreisrunden braunen Augen warf sie einen schmachtenden Blick herüber – sie hatte wohl den goldenen Schimmer erkannt.

      „Die Göttliche!“ hauchte Mars mit boshaft betonter Begeisterung. „Wie finden

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