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er und betrachtete die gebeugt Stehende in ihrem grauseidenen Gewand. Sie schien ihm nicht ganz das, was die Wichtigtuer ihm hatten nahelegen wollen, keines der verfügbaren Mädchen, und ihre Erregung deutete eher auf große Not als auf kokette Berechnung hin. Er wartete also ein paar Augenblicke. Louise zwang sich zum Reden.

      „Durchlaucht, bitte tausend-, hunderttausendmal um Vergebung – ich … ich komme nicht wegen mir – es ist wegen meiner kleinen Schwester, der Franziska!“

      „Ach?“ machte der Erhabene gemütlich, „was fehlt denn dem Fräulein Schwester?“

      „Sie soll doch heiraten!“

      „Ist das denn so schlimm?“

      „Manchmal schon, Durchlaucht!“ flüsterte die Bittstellerin.

      Carl Eugen mochte an eigene Erfahrungen denken und seufzte. „Ja, es kann schlimm werden, manchmal …“

      Louise faßte Mut; es eilte ohnehin, denn schon spähte ein Lakai mahnend durch den Türspalt.

      „Durchlaucht“, setzte sie wieder an, „sie soll den Leutrum kriegen – er ist ganz krumm und sehr klein, und sie mag ihn gar nicht, und sie ist erst sechzehn und so zart und hell und …“

      „Nehmen Sie immerhin einen Stuhl, Demoiselle!“

      Der Herzog deutete auf einen der imposanten goldgerahmten Fauteuils aus rotem Samt.

      Louise dankte; sie blieb lieber stehen, falls doch noch ein Kniefall nötig werden sollte. „Euer Durchlaucht haben dabei gewiß ein Wort mitzureden – zu befehlen, mein’ ich. Und da wollte ich alleruntertänigst bitten, dem Leutrum zu bedeuten … zu verbieten … ach, Durchlaucht wissen es gewiß selbst am besten!“ Sie schloß aufatmend und erschöpft den Mund.

      „Der Leutrum?“ erkundigte sich der Herzog, „der ist mir wohlbekannt; sein Vater ist Ritterschaftsrat des Kantons Kocher, Baden-Durlachscher Geheimderat … ja, da kann sie doch eigentlich zufrieden sein, Ihre kleine Schwester, nicht?“

      „Das sagt mein Vater auch, aber der Leutrum …“ „Ich weiß, er ist nicht gut gewachsen, kein Mensch, der den Frauen gefällt. Und Ihre Franziska – ist sie schön?“

      „Sehr! Wunderschön, Durchlaucht, und paßt gar nicht zu so einem … Zwerg!“

      „Hm“, brummte der Herzog, „so arg ist’s ja nicht gerade. Kennt sie denn den Freier schon?“

      „Ja, leider.“

      „Und liebt einen anderen, wie das in solchen Fällen ist?“

      „Nein, nein, Durchlaucht, niemand, bloß – der Hauslehrer hat ihr einmal ein Gedicht gebracht, und da hat ihn der Vater mit Prügeln fortgejagt.“

      „Also – in Adelmannsfelden dichten sie auch, das liegt den Schwaben scheint’s im Blut … War’s denn ein Hymnus oder eine Ode, was der Dorfschulmeister da zusammengereimt hat?“

      Sie merkte den Spott nicht. „Ich weiß nicht recht“, kam es stockend, „halt ein schöner Vers. Ich kann bloß noch den Schluß:

      Die kühne Hoffnung, die mich längst erfüllt,

      Seit ich dich sah, du süßes Engelsbild,

      Will jetzt im Unglück wirklicher erscheinen.

      Der demutsvoll zu deinen Füßen kniet,

      Weiht dir, verehrte Franzel, dieses Lied:

      Laß mich dir dienen, laß mich mit dir weinen.“

      Carl Eugen lachte amüsiert. „Hm, gar nicht so schlecht! Aber was denkt sich der Mensch eigentlich? Nichts? So ist das also mit der Franzel! Nun, ich werd mir den Leutrum für irgendeine Dekoration vormerken und die kleine Schwester auch bestellen und ihr gut Zureden. Gehen Sie nur heim, Mademoiselle, einen Gruß an den Herrn Vater und an die – Franziska!“

      „Die wissen’s gar nicht!“ platzte Louise heraus, „ich bin einfach weggelaufen!“

      Jetzt lachte Carl Eugen, und er lachte noch, als Louise mit einem scheuen und vorsichtshalber nicht allzu tiefen Knicks verschwand. Dann vergaß er die Angelegenheit sofort.

      Auf den Gängen und Treppen mußte sich Louise ohne Geleit zurechtfinden. Sie lief, als würde sie gejagt, um möglichst schnell aus dem Labyrinth dieses bedrückend weitläufigen Baues hinauszukommen. Aus einem Seitengang hörte sie Gelächter, Frauenstimmen und das Getrippel vieler Füße. Eine Gruppe junger Damen wogte schwatzend durcheinander wie gefiederte Vögel, schillernd in Seide und Spitzen. Ihre gepuderten Haare sahen aus wie eine einzige Wolke von Flaumfedern, so nah standen sie beieinander. Louise fragte schnell nach der Treppe zum Park. Sie kicherten und winkten; eine der Jüngeren trat auf Louise zu, um ihr den Weg zu weisen. Man sah sie bedauernd und belustigt an; dann blieb alles zurück, das klirrende Gelächter und die glitzernde Schar, die ganze fremde, verlockende, undurchschaubare Welt des Hofes.

      Als Louise sich auf dem großen Vorplatz umsah, entdeckte sie über die Fläche hinweg ihren Vater, Leutrum, die Mutter mit Franziska und die kleinen Schwestern. Sie schlüpfte in eine Nische und wartete, bis alle ein wenig weitergegangen waren; zittrig, aber verwegen kam sie bei der kleinen Gesellschaft an. Man begrüßte sie erstaunt; aber sie hatte sich eine nette Geschichte ausgedacht: daß sie im Park mit einer Dame ins Gespräch gekommen sei, die sie ins Schloß geführt hätte. Sie sei jetzt noch ganz durcheinander von dem Vielerlei, was sie dort gesehen hätte. Louise nahm Franziska heimlich beiseite. „Franzel“, wisperte sie, „jetzt brauch ich beinah deinen Trost, und dazu noch deinetwegen!“ Franziska blickte sie verständnislos an.

      „Ich hab’s recht machen wollen“, flüsterte Louise, „ich hab gedacht, jetzt kann keiner mehr der Franzel vom Leutrum helfen als der Herzog selber! Deshalb bin ich auch weggelaufen und hab mich bei der Audienz melden lassen und bin zugelassen worden, obwohl man sonst wochenlang drum eingeben muß …“

      „Louise! Das hast du meinetwegen getan? Und der Vater? Und der Leutrum? O gute, gute Louise … das gibt ein Unglück!“

      „Ich hab’ ja auch gar nichts erreicht“, beichtete Louise kleinlaut, „er hat mich angehört und gefragt, ob du einen anderen gern hättest, und er wollte einmal mit dir drüber diskutieren, und den Leutrum wollt er dekorieren, und du solltest halt zufrieden sein, er wär’ nicht ganz so übel, und die Ehe …“ Franziska drückte ihr die Hand auf den Mund. „Sag kein Wort mehr, damit der Vater nichts erfährt! Ich hoff nur, daß es der Leutrum nicht merkt. Und wenn der Herzog je mit ihm reden sollt’ und mit mir … wenn er mir einen Brief schriebe, mich zur Audienz beföhle, dann würde ja alles publik! Ach, liebste Louise!“

      Beide schwiegen bedrückt; sie wagten sich kaum anzusehen, während man Leutrums Wohnung besichtigte. Franziska ging wie im Nebel mit und erkannte kaum, was sie umgab. Das angebotene Mahl lehnte Bernerdin ab, es werde Zeit, sagte er ernst, an den weiten Heimweg zu denken. Im Wagen klang alles nur noch wie ein Traum in Franziska nach, ein Alptraum, der sie immer mehr bedrückte, je unabwendbarer das Beschlossene herankam.

      Pforzheimer Jahre

      Anfang Juli 1765 wurde die Hochzeit gefeiert. Franziskas Hand „war dem Freier gewährt worden“, wie es Frau von Bernerdin ausdrückte. Das Paar wurde in Adelmannsfelden getraut; die bescheidene Mitgift von 1500 Gulden hatte Leutrum ohne Kommentar hingenommen. Nach der Feier zog er mit seiner jungen Frau nach Pforzheim.

      „Du mußt dich mit ihm arrangieren, Kind“, hatte Frau von Bernerdin beim Abschied geflüstert, als ihr Franziska weinend um den Hals fiel. Der Vater hatte ihr kurz die Hand gedrückt und den beiden „Gottes Beistand“ gewünscht; er verbesserte sich schnell und wünschte „Gottes Segen“.

      Franziska sah sich angstvoll in der neuen Umgebung um. Sie hatte das Gefühl, der Atem sei ihr abgeschnürt, alles bedrückte sie: das Palais mit seinen vielen Zimmern, der kühle Luxus – nichts Wohnliches, Atmendes spürte sie, kein Behagen. Auch die Dienerschaft war nur korrekt und verhielt sich unpersönlich. In Adelmannsfelden hatte sie die Köchin seit den Kindertagen

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