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wissen die Herren in München etwas!’ — und hab’ mich auf die Bahn gesetzt und bin hierher!“

      „Nix wissen wir!“ sprach Hans Mühlberger und nagte an der Unterlippe. Seine Augen gingen gedankenverloren über den von der Herbstsonne vergoldeten, menschenwimmelnden, musiküberfluteten Platz. Dort, zwischen den anderen Leuten, stand das junge Mädchen von vorhin, das durchaus auch hatte aufgeschrieben werden wollen. Sie schaute herüber. Er war schon gewohnt, dass ihn die jungen Mädchen anstarrten. Junge Frauen auch. Ihr Name, den sie vorhin der Polizei genannt, ging ihm, in der Geistesabwesenheit, durch den Kopf: Almuth Römer . . . Er sah zerstreut unter dem Schleier das weiche, junge, runde Kindergesicht — die dunklen, sanften, eigensinnigen Augen. Er sah ihr bescheidenes, dunkles Kleid im Wind um die zarte, magere Gestalt flattern, und beachtete es nicht und wendete seinen blossen blonden Haarschopf zur Seite und sagte:

      „Sie nennen mich den Freund von unserem Kettrich, Herr Major! . . . Wissen’s: das is für mich zu viel Ehre! Der Kettrich und ich sind freilich Freunde! Aber ’s is halt doch ’was anderes . . . vom Kettrich geht ’was aus . . . auf einen . . . Ja — das lässt sich net so beschreiben! . . . Und kurz und gut: I geh’ eben für den Kettrich durchs Feuer.“

      „Und sell bawwelt er net bloss so hin!“ bestätigte Louis Leichsenring, der Rheinpfälzer. „Sell hat er im Krieg mehr wie einmal bewiese!“

      Das junge Mädchen stand drüben und schaute immer wieder einmal in einer stillen, leidenschaftlichen Versunkenheit zu dem Hans Mühlberger hinüber. In ihrem unscheinbaren Mäntelchen und Rock hob sie sich wenig aus der Menge ab. Nicht weit von ihr leuchtete es farbenfreudig in grüngesticktem grauem Loden und gemsledernen kurzen Hosen, blossen, braunen Knien, gesticktem Ledergürtel unter bunter, von Silbertalern klirrender Weste, rosa Halstuch, wehendem weissem Adlerflaum auf keckem Hütl. Jetzt, wo nach altem Brauch das Oktoberfest auf der Theresienwiese draussen begonnen hatte, waren immer viele Tausende von Bauern, zumal Sonntags, in der Stadt. Der junge Bursche, der diese Pracht des bayrischen Hochlandes trug, war klein von Wuchs und ein wenig säbelbeinig. Er hatte ein offenes, freundliches, blasses Gesicht mit einem kleinen blonden Schnurrbart. Er ging unsicher, zögernd, ein an die Einsamkeit seiner Berge gewöhnter Älpler, unter dem Stadtvolk herum. Näherte sich, wie durch Zufall, bis auf einige Entfernung, der Gruppe um den Major von Goddentow. Blieb, die Hände im Gurt, müssig stehen.

      Die Kleine drüben sah es. Sie bemerkte deutlich, dass das Auge des Oberländers einen Blick des blonden Siegfried zu erhaschen suchte. Aber der und seine ganze Gesellschaft steckten die Köpfe zusammen wie die Verschwörer und verhandelten leise. Er achtete nicht auf den dürftigen jungen Menschen im kurzen Wichs, der sich langsam zurückzog und in der Masse verlor.

      Aber da war er wieder . . . diesmal von der anderen Seite, so dass der Hans Mühlberger ihn eigentlich hätte sehen müssen, wenn er nicht so angelegentlich mit dem schnurrbärtigen Preussen einen Kriegsrat gepflogen hätte. Überall auf dem Platz tuschelten solche Gruppen, wisperten, hatten Geheimnisse. Der junge Mann in Lodenjoppe und Wadenstutzen stand und bemühte sich, dem eben vergnügt wie ein Junge lachenden Blondkopf, der hoch den Kreis der Freunde um ihn überragte, ein Zeichen zu geben — ihn unauffällig beiseite zu locken . . . Es half nichts. Das junge Mädchen drüben sah es deutlich . . . . . . . .

      Es zuckte ihr in den Fingerspitzen, in den Fussspitzen, selber an Stelle des einfachen Mannes vom Lande hinüberzugehen und den Hans Mühlberger darauf aufmerksam zu machen, dass ihn da jemand suchte! Aber er kannte sie ja ebensowenig wie den jungen Oberbayern. Gott sei Dank — sie atmete auf — jetzt fasste der endlich einen Entschluss. Er ging, bedächtig in seinen schlürfenden Nagelschuhen, mit dem schweren, etwas krummen Knie des Bergbauern, auf den Ring der jungen Deutschen zu.

      Zwischen denen und ihm schwenkte knatternd ein Motorrad auf den Platz ein. Stoppte. Der vierzehnjährige blonde Bub im Sonntagsgewand, der es geübt lenkte, sprang vom Vordersitz und näherte sich, es mit der Linken schiebend, mit der Rechten höflich sein Kapperl lüftend, aufgeregt den Herren.

      „Musst gleich heimkimma, Hansei!“ schrie er seinem älteren Bruder, dem Siegfried, zu. Der lachte:

      „Wo brennt’s denn nachher, Peperl?“

      „Telephoniert hat einer . . .“

      „Ja mei’! — Ist denn der Vater net da?“

      „Dich hat er sprechen wollen! Keinen anderen net!“ flüsterte auf einmal der Bub und hob sich auf den Fussspitzen, um das Ohr des grossen Bruders zu erreichen. „Recht ängstlich war er am Telephon und hat gedrängt, man soll dich holen! Nachher will er noch ’mal anrufen! Es wär’ ganz ’was Wichtiges!“

      „Aber was — das hat er net gesagt?“

      „Na! Bloss . . .“ Der Pepi machte grosse geheimnisvolle Augen. Auf seinem Kindergesicht malte sich der besorgte Ernst des Mitwissers der Geheimnisse, die über dem Odeonsplatz brauten. „Bloss . . . die drei Worte hat er g’sagt . . .“ Er wisperte dem jungen Hünen etwas ins Ohr. „Verstehst — die drei Worte hat er g’wusst! . . . Hansei — der is zünftig — derselbige am Telephon!“

      Das Antlitz des Hans Mühlberger war plötzlich sehr ernst geworden. Der Kleine ergänzte atemlos und wichtig:

      „Da hab’ i glei’ dei’ Rad genommen und bin hierher!“

      „Weiss keiner ’was?“

      „Ah na! Die Eltern waren noch in der Kirch!“ sagte der Tertianer, „und die Cenz — die Madel san doch zu dumm zu so ’was!“

      „Dös is was vom Kettrich!“ Sein Bruder sprang auf das Rad, der Gymnasiast setzte sich hinten auf. Es puffte und knatterte. Sie schossen davon — in der Richtung nach der Nymphenburger Strasse — achtlos an dem bleichen, säbelbeinigen jungen Mann in trotziger Hochlandstracht vorbei, der ihnen betroffen und verbissen nachguckte.

      „Hat er schon angebimmelt?“ Hans Mühlberger stürmte mit Siebenmeilenstiefeln an den langen Beinen die Treppe zu der bescheidenen elterlichen Wohnung empor. Der Papa Mühlberger sass da in der Wohnstube am Fenster und hatte, unter dem weissen Schnurrbart, die lange Pfeife im Mund. Er trug heute, dem Sonntag zu Ehren, sein Eisernes Kreuz von 1870 im Knopfloch. An der Wand hing unter Glas und Rahmen ein photographisches Gruppenbild seines Vereins der Ritter des Eisernen Kreuzes von Anno Siebzig — alle nun schon Siebziger und Achtziger — mit der Erinnerung an Wörth und Sedan.

      „E hat bisher noch nix wieder von sich g’spüren lassen!“ sagte er und paffte heftig, um seine eigene Unruhe zu verbergen. „Da kannst nix machen, Hanserl! Musst halt warten!“

      Das Telephon war in der Stube. Nebenan deckte die Cenz, die hübsche, blonde Haustochter, den Mittagstisch und lief dazwischen in die Küche, wo ihre Mutter mit der Magd ein Ganserl briet. Ihr Bruder Hans stellte sich zornig mit dem Rücken gegen den Kachelofen, die Hände in den Hosentaschen, wie eine Schildwache neben den Fernsprecher.

      „Wann d’ bloss warten darfst!“ stiess er hervor. „Alleweil heisst’s: Seid stad! . . . Oder, wie’s in einer gerad’ so hundsmiserabligen Zeit bei die Preussen geheissen hat: ‚Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!’ . . .“

      „Hol’ der Teifi die Ruh’!“ sprach der Alte freundlich.

      „I sag’ dir, Vater: Was i heut’ wieder fuchtig gewesen bin . . .“

      „I — meinst, ich krieg’s net mit der Wut, wenn ich den Saustall von heutzutag’ she —.“ Der Papa Mühlberger stocherte in seiner Pfeife: „ich, wo ich noch bei Orleans mit dret Löcher im Leib die Winternacht im Schnee gelegen hab’ und mir g’sagt hab: ‚Wastl — jetzt is mit dir gar! Macht nix! . . . Das Reich is da!’ Und jetzt bringen’s das ganze Reich auf die Gant — die Bazi — die drecketen . . .“

      „. . . wie ich heuť am hellichten Tag mitten auf der Maximilianstrass’ wieder die roten Käppi und die roten Hosen gesehen hab’“ . . . knirschte der junge Mann. „Ich hab’ sie gesehen draussen, wie du, Vater, im ersten Jahr vom Krieg! . . . Da waren am Abend die Felder weithin rot, wie wenn der Mohn blüht, und hat sich nix mehr gerührt — so haben wir aufgeräumt! . .

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