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wir so! — Und weil die alten Germanen sich in der Schlacht aneinandergekettet haben, um gemeinsam zu siegen und zu sterben! Dös waren die alten Germanen! Wir san die Jungen!“

      „Was glauben’s denn? Ich bin auch dabei!“ Unten schwenkte einer begeistert sein Hütel.

      „Gut is! Da schaugts: Den Herrn im weissen Haar!“

      „Vor uns liegt die Zukunft!“ schrie der Jüngling, immer noch die Rechte feierlich zum Schwur erhoben. „Die Zukunft soll unser sein, sag’ i . . .Wir wollen nicht unser Leben lang kuschen wie die stummen Hunde und von rechts und links, von jedem dreckigen Nachbar, Fusstritte kriegen und noch: Dank schön! dazu sagen, so, wie wir’s jetzt tun! . . . Wir wollen eine neue, stolze, deutsche Zukunft — das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit — in Ewigkeit — Amen!“

      Seine Stimme schmetterte über den Platz wie das Trompetensignal zur Attacke. Als ein Echo gelte fanatisch die Mädchenstimme aus der Masse: „Deutschland hoch!“ — „Hoch! . . . hoch! . . .“ Die Männer riefen es. Die Frauen hatten feuchte Augen. Von der Mitte des Platzes warnte ein gutgekleideter Herr:

      „Und was Moskau dazu sagt — daran denkt ihr nicht! . . . Die deutsche Mentalität ist international, oder sie ist überhaupt nicht!“

      Als die Schutzleute bei ihm ankamen, lag er schon auf den kleinen, spitzen Kieseln des Pflasters und zappelte mit Armen und Beinen um sich. Sie hatten Mühe, ihn, mit zerrissenem Seidenfutter des Mantels, den Fausthieben der Männer, den Schirmschlägen der Damen zu entreissen. „Von deiner Sort’ haben wir schon mehr als einen kalt-g’macht in München, du Bazi!“ tobte es grimmig hinter ihm her. Die Luft über dem Pflaster schien elektrisch zu zittern, wie in unsichtbaren Wellen aus jenen mörderischen Maitagen von 1919, als die Strassen Münchens von dem Blut von vielen hundert Toten dampften.

      Der Siegfried war inzwischen vom Prellstein gesprungen. Er lachte dem Sipomann auf dessen nachsichtige Warnung: „Wenn Sie jetzt net Ruhe geben, muss ich Sie aufschreiben!“ — lachte ihm trotzig ins Gesicht.

      „Das können’s gleich haben, Herr Wachtmeister! Zeigen’s mich nur an! Ich sag’ vor Gericht schon mein Sprüchel auf — aber gehörig! Sie — darauf spitz’ ich! Also schreiben’s nur auf: Johann-Baptist Mühlberger — sechsundzwanzig Jahre — katholisch — Oberleutnant der Reserve a. D. — jetzt Handelsbeflissener in der Eisenwarengrosshandlung von Langguth und Meissl — Sohn des pensionierten Bankbuchhalters Sebastian Mühlberger, Ritter des Eisernen Kreuzes von 1870, und seiner Ehefrau, geborenen Rosine Wuchterl . . .“

      „Erst schreiben Sie mich auf, Herr Wachtmeister! Ich habe den s-tärksten S-kandal gemacht!“ Ein junger Mann in abgeschabter, sauber gebürsteter Kleidung sagte es in westfälischer Mundart und stellte sich schützend vor den blonden Recken — mittelgross — borstig das Haupthaar — hartstirnig — stiernackig — mit eckigen Schultern — ein Sohn der roten Erde.

      „Ich heisse Otto Rulemann. Ich bin Werks-tudent. Hörer am Polytechnikum und Arbeiter in der Eisengiesserei ehemals Morshuber und Kompagnie A.-G. S-pitzen Sie nur Ihren S-tift und notieren Sie auch meine Arbeitskameraden hier!“

      Junge bayrische Former und Dreher standen hinter dem trutzigen Niedersachen — Kriegsteilnehmer — mit finsteren Gesichtern — die Fäuste in den Hosentaschen — auf den in das Genick geschobenen Sportkappen das Hakenkreuz. Ein beweglicher junger Mann schob sich durch sie hindurch gegen die Polizei.

      „Erscht die Pälzer!“ schrie er fröhlich und heissblütig. „Ich war der wahre Krischer, Herr Wachtmeister! Schreiwe Sie mich uff!“ Und plötzlich hochdeutsch: „Louis Leichsenring — nein . . . Ludwig Leichsenring — Husarenrittmeister a. D. und Kommerzienratssohn aus Pirmasens — jetzt Bankvolontär . . . Ich und der ganz Kriegsbund Leichsenring hier gehören auch auf Ihre Auslieferungslischť — die alle da!“

      Die jungen Männer drängten sich von drei Seiten hinter ihren Führern heran. Nahmen sich das Wort vom Mund. Jeder wollte vor dem andern in das Notizbuch kommen. Die Namen hagelten: „Hinrichs — Hauptmann a. D., Landwirtschaftspraktikant! — Schreiben Sie: Neigenfink — Kriegsschwerbeschädigter — nur ein Bein — hier in München mit Respekt zu sagen: ä Sachse! . . . Ritter des Hausordens von Hohenzollern . . .“. . „Friedrich Plänk — Kaiserlicher Korvettenkapitän und U-Bootkommandant — zur Zeit stellungslos . . .“ „Oberst a. D. Ritter von Häveker . . . Ja — was denn, mein Liaber? Sie müssen uns alte Leut’ gerad’ so gut aufschreiben wie das Jungvolk!“

      „Wir wollen alle vor’s Gericht!“

      „Da sagt’s denen Grosskopfeten, wo’s Deutschland not tut!“

      „Mut!“ schrie der Siegfried mit eherner Stimme. Sein blauäugiger, blonder Jünglingskopf überragte alle umher. „Mut! Himmelsakra! Mut! Daran fehlt’s. Schwatzen tun’s — die Herren und die Damen und die Fräulein — in den Parlamenten und aussi — schwatzen tun’s — die Minister — überall in den Ländern — Schwatzen tun’s — die Redner in den Volksversammlungen! Aber’s geschieht nix! Das ist der Fluch! Wir brauchen den starken Mann! Den Mann, der’s Maul hält und handelt!“

      „Na — ich mein’, Ihr Mundwerk ist auch net schlecht!“ Der Wachtmeister gab es, erschöpft von dem Massenandrang, auf. Er wollte sein, noch leeres, Notizbuch wieder zwischen die Knöpfe des Mantels schieben. Da zwängte sich ein junges Mädchen mit rücksichtslosen Ellenbogenstössen leidenschaftlich durch die Gruppen der jungen Männer vor ihn hin. Es war, als fürchtete sie, zu spät zu kommen . . .

      „Bitte — schreiben Sie mich auch auf!“ sagte sie atemlos.

      „Ja — was wär’ denn dees?“

      „Ich möchte auch dabei sein . . .“

      Der Wachtmeister schmunzelte ein wenig und blickte sie an. Sie war zart gewachsen und einfach dunkel gekleidet. Sie hatte, unter dem schwarz getupften Schleier, runde, kindlich weiche, blasse Züge. Die Augen waren sanft und dunkel. Sie schien noch sehr jung. Sie sagte eifrig:

      „Ich bin die Dame, die immer so laut geschrieen hat — die ganze Zeit . . . Haben Sie’s denn nicht gehört?“

      „Freili . . .“

      „Dann, bitte, tun Sie Ihre Pflicht! Ich mach’ noch mehr Lärm, wenn es nötig ist. Ich will mit vor Gericht!“

      „Wie alt san’s denn, Fräulein?“

      „Zwanzig!“

      „Da stehen’s noch unter väterlicher Gewalt!“

      „Meinen Vater haben die Russen, wie sie ihn zu Anfang des Krieges nach Sibirien brachten, auf einer Station acht Tage lang auf einem toten Strang vergessen. Da ist er mit zehn anderen, älteren, nicht mehr wehrpflichtigen deutschrussischen Kaufleuten, in dem verschlossenen Viehwagen erfroren.“

      Es ging eine stumme Bewegung durch die Leute ringsum.

      „Und da haben’s nix helfen können?“

      „Wir konnten gerade noch fliehen! Wir haben unser ganzes Vermögen verloren. Wie wir hierherkamen, starb meine Mutter vor Erschöpfung. Meine beiden Brüder sind als Kriegsfreiwillige im Westen gefallen! Ich will vor Gericht, weil ich: ‚Hoch Deutschland!’ gerufen hab’! Ich heisse Almuth Römer. Bitte, schreiben Sie mich auf!“

      „Da stehen’s hier in München ganz allein?“

      „Ja. Ich nähre mich von russischem Sprachunterricht und Übersetzungen! . . . Ich bitte Sie: Lassen Sie mich nicht aus Ihrer Liste weg . . .“

      „Ja — warum denn?“

      „Ich will auch einmal etwas für Deutschland tun!“ Sie sagte es sanft und eifrig. Ihr Lächeln war bescheiden. Sie setzte stolz hinzu:

      „Ich bin Genossin des Teutschenrings Irminsûl!“

      „Dieselbigen kenn’ ich!“ sagte der dicke Hofbräuhäusler schnaufend zu seinem Nachbarn. „Dös san schon die ganz Scharfen . . . Die Schärfsten — verstengen’s — von die Schärfsten.“

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