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Nana. Emile Zola
Читать онлайн.Название Nana
Год выпуска 0
isbn 9788726642902
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ein anderes Mal“, fuhr Steiner leiser fort, „hat Léonide ihren Tenor nach Montauban kommen lassen. Sie bewohnte das Schloß Beaurecueil, zwei Meilen weiter weg, und kam alle Tage in einer zweispännigen Kalesche an, um ihn im ,Lion d’Orʻ, wo er abgestiegen war, zu besuchen . . . Der Wagen wartete vor der Tür, Léonide blieb stundenlang, während sich die Leute ansammelten und die Pferde betrachteten.“
Schweigen war eingetreten; einige feierliche Sekunden verstrichen in dem hohen Raum. Zwei junge Leute tuschelten, doch auch sie schwiegen, und man vernahm nur noch den gedämpften Schritt des Grafen Muffat, der das Zimmer durchquerte. Die Lampen schienen blasser geworden zu sein; das Feuer erlosch, und ein düsterer Schatten umhüllte die alten Freunde des Hauses in ihren Sesseln, die sie dort seit vierzig Jahren einnahmen. Es war, als hätten die Gäste zwischen dem Wechseln zweier Sätze den Geist der Mutter des Grafen mit ihrer vornehmen, eisigen Miene verspürt.
Doch schon begann Gräfin Sabine wieder:
„Schließlich war ein Gerücht darüber in Umlauf . . . Der junge Mann soll gestorben sein, und das würde den Eintritt dieses armen Kindes ins Kloster erklären. Übrigens heißt es, Herr de Fougeray hätte niemals in die Heirat eingewilligt.“
„Es werden noch allerhand andere Sachen erzählt“, rief Léonide unbesonnen aus. Sie begann zu lachen, weigerte sich jedoch, zu reden.
Sabine führte, von dieser Heiterkeit angesteckt, ihr Taschentuch an die Lippen. Und dieses Lachen in der Feierlichkeit des großen, weiten Raums nahm einen Klang an, der Fauchery in Erstaunen setzte. Es klang wie zerklirrendes Kristall. Sicher war da ein Sprung im Entstehen.
Sofort antworteten alle Stimmen; Frau du Joncquoy erhob Einspruch; Frau Chantereau wußte, es sei eine Heirat geplant gewesen, aus der Sache sei aber nichts geworden. Selbst die Männer wagten ihre Meinung zu äußern. Einige Minuten lang herrschte ein Durcheinander von Urteilen, in die sich die verschiedenen Elemente des Salons, Bonapartisten und Legitimisten, die mit den Skeptikern der Gesellschaft vermischt waren, auf einmal stürzten, wobei sie hart aneinandergerieten. Estelle hatte geläutet, damit Holz auf das Feuer gelegt würde. Der Diener schraubte die Lampen wieder hoch. Man hätte an ein Erwachen denken können. Fauchery lächelte gleichsam vor Behagen.
„Zum Teufel! Sie heiraten Gott, wenn sie ihren Vetter nicht haben heiraten können“, stieß Vandeuvres, den diese Frage langweilte und der eben wieder zu Fauchery getreten war, zwischen den Zähnen hervor. „Mein Lieber, haben Sie jemals erlebt, daß eine Frau, die geliebt wird, Nonne geworden ist?“ Er wartete die Antwort nicht ab, er hatte genug davon; und halblaut fragte er: „Sagen Sie, wie viele sind wir morgen? — Da sind die Mignons, Steiner, Sie, Blanche und ich . . . Wer noch?“
„Caroline, nehme ich an . . . Simonne . . . Gaga zweifellos . . . Genau weiß man das nie, nicht wahr? Man glaubt, es sind zwanzig bei diesen Anlässen, und dann sind es dreißig.“ Vandeuvres, der die Damen betrachtete, sprang jäh auf ein anderes Thema über.
„Vor fünfzehn Jahren muß sie sehr gut ausgesehen haben, diese Dame du Joncquoy . . . Die arme Estelle ist noch länger geworden. Das ist nun ein hübsches Plättbrett zum Ins-Bett-Legen!“ Doch er unterbrach sich und kam auf das morgige Souper zurück. „Das Langweilige bei diesen Dingern da ist, daß es immer dieselben Frauen sind . . . Man brauchte was Neues. Bemühen Sie sich doch mal, welche aufzutreiben . . . Halt! Ich habe eine Idee! Ich werde den dicken Mann da bitten, die Frau mitzubringen, die er neulich abends ins Théâtre des Variétés ausgeführt hat.“ Er sprach von dem Bürovorsteher, der in der Mitte des Salons eingeschlummert war.
Fauchery amüsierte sich von weitem damit, diese heikle Verhandlung zu verfolgen. Vandeuvres hatte sich neben den dicken Mann gesetzt, der sehr würdig blieb. Die beiden schienen einen Augenblick maßvoll die schwebende Frage zu erörtern, nämlich herauszubekommen, welches wirkliche Gefühl ein junges Mädchen dazu treibe, ins Kloster zu gehen. Dann kam der Graf zurück und sagte:
„Es ist nicht möglich. Er schwört, sie sei sittsam. Sie würde ablehnen . . . Dabei hätte ich gewettet, daß ich sie bei Laure gesehen habe.“
„Wie? Sie gehen zu Laure!“ murmelte Fauchery lachend. „Sie wagen sich an solche Orte! — Ich glaubte, da kämen nur wir hin, wir armen Teufel . . .“
„Oh, mein Lieber, man muß doch alles kennenlernen.“ Jetzt grinsten sie mit leuchtenden Augen und erzählten sich Einzelheiten über den Mittagstisch in der Rue des Martyrs, wo die dicke Laure Piédefer die kleinen Weiber, die in Geldverlegenheit waren, für drei Francs essen ließ. Ein schönes Loch! Alle kleinen Weiber küßten Laure auf den Mund. Und als Gräfin Sabine den Kopf wandte, da sie beim Vorbeigehen ein Wort verstanden hatte, zogen sie sich erheitert und rot geworden zurück, wobei sie einander anstießen. In ihrer Nähe hatten sie Georges Hugon nicht bemerkt, der ihnen zuhörte, wobei er so stark errötete, daß sich eine rosige Woge von seinen Ohren bis zu seinem Mädchenhals ergoß. Dieses Baby war schamerfüllt und hingerissen. Seit ihn seine Mutter im Salon losgelassen hatte, schlich er hinter Frau de Chezelles umher, der einzigen Frau, die er schick fand. Und doch übertraf Nana sie ganz gewaltig!
„Gestern abend“, sagte Frau Hugon, „hat mich Georges ins Theater geführt. Ja, ins Théâtre des Variétés, in das ich bestimmt seit zehn Jahren keinen Fuß mehr gesetzt habe. Der Junge schwärmt für Musik . . . Mir hat das kaum Spaß gemacht, aber er war so glücklich! — Merkwürdige Stücke macht man heute. Außerdem begeistert mich Musik wenig, muß ich gestehen.“
„Wie Madame? Sie mögen Musik nicht?“ rief Frau du Joncquoy und erhob die Augen zum Himmel. „Ist es möglich, daß man Musik nicht liebt?“
Das wurde zu einem allgemeinen Ausruf. Niemand erwähnte dieses Stück im Théâtre des Variétés, aus dem die gute Frau Hugon nicht klug geworden war; die Damen kannten es, aber sie redeten nicht darüber. Sofort stürzte man sich in Gefühlsseligkeit, in eine ausgeklügelte und verzückte Bewunderung der Meister. Frau du Joncquoy liebte nur Weber, Frau Chantereau hielt es mit den Italienern. Die Stimmen der Damen waren weich und schmachtend geworden. Man hätte meinen können, es sei eine kirchliche Andacht vor dem Kamin, der verschwiegene und vor Wonne vergehende Lobgesang in einer kleinen Kapelle.
„Nun“, murmelte Vandeuvres und führte Fauchery in die Mitte des Salons zurück, „wir müssen doch eine Frau für morgen finden. Wie wär’s, wenn wir Steiner fragen?“
„Ach, Steiner“, sagte der Journalist, „wenn der eine Frau hat, dann will sie Paris nicht mehr haben.“
Vandeuvres suchte jedoch seine Umgebung ab.
„Warten Sie“, versetzte er, „neulich habe ich Foucarmont mit einer reizenden Blondine getroffen. Ich werde ihm sagen, er soll sie mitbringen.“ Und er rief Foucarmont. Schnell wechselten sie einige Worte. Eine Komplikation mußte eingetreten sein, denn sie beide gingen, mit vorsichtigen Schritten über die Röcke der Damen hinwegschreitend; davon und suchten einen anderen jungen Mann auf, mit dem sie die Unterhaltung in der Nische eines Fensters fortsetzten.
Fauchery, der allein geblieben war, beschloß, an den Kamin heranzutreten, als Frau du Joncquoy gerade erklärte, sie könne nichts von Weber hören, ohne sogleich Seen, Wälder und Sonnenaufgänge auf taugetränkten Fluren zu sehen. Doch eine Hand berührte ihn an der Schulter, während eine Stimme hinter ihm sagte:
„Das ist nicht nett.“
„Was denn?“ fragte er, während er sich umdrehte und La Faloise erkannte.
„Dieses Souper morgen . . . Du hättest mir ruhig eine Einladung verschaffen können.“
Fauchery wollte gerade antworten, als Vandeuvres zurückkam und zu ihm sagte:
„Es scheint, als ob es keine von