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      Sie schüttelte den Kopf.

      Er aber nahm teilnehmend ihre Hand und sagte: »Was ist es wieder, meine liebe gnädigste Frau? Sie müssen diese Melancholie von sich abtun. Es gehört nicht zu den Machtmitteln unserer Kirche, den Himmel aufzuschließen und seligzusprechen. Aber so wir nur den rechten Glauben haben, so trägt unser Heiland unsere Schuld. Diese freudige Gewißheit haben wir, und Sie dürfen sich nicht mit Vorstellungen quälen, die darauf aus sind, diese Gewißheit immer wieder in Frage zu stellen. Ich weiß wohl, was diesen Ihren beständigen Zweifeln zugrunde liegt, es ist das, daß Sie, vor Tausenden, in Ihrem Herzen demütig sind. Und diese Demut soll Ihnen bleiben. Aber es ist doch zweierlei die Demut vor Gott und die Demut vor den Menschen. In unserer Demut vor Gott können wir nie zu weit gehen, aber in unserer Demut vor den Menschen können wir mehr tun als nötig. Und Sie tun es. Es ist freilich ein schöner Zug und ein sicheres Kennzeichen edlerer Naturen, andere besser zu glauben als sich selbst, aber wenn wir diesem Zuge zu sehr nachhängen, so verfallen wir in Irrtümer und schaffen, weit über uns selbst hinaus, allerlei Schädigungen und Nachteile. Damit sprech ich dem Hochmute nicht das Wort. Wie könnt ich auch? Ist doch Hochmut das recht eigentlich Böse, die Wurzel alles Übels, fast noch mehr als der Geiz, und hat denn auch die Engel zu Fall gebracht. Aber zwischen Hochmut und Demut steht ein drittes, dem das Leben gehört, und das ist einfach der Mut.«

      Er hatte sich erhoben, und beide waren an die Balkonbrüstung getreten, von der aus sie jetzt die stille, vor ihnen ausgebreitete Blumenwelt überblickten. Eine Weile schwiegen sie. Dann sagte Cécile: »Mut! Vielleicht hätt ich ihn, wenn ich nicht in trüben Ahnungen steckte. Die mir jetzt zurückliegenden glücklichen Tage, welchem Umstande verdank ich sie? Doch nur dem, daß er, den Ihre Güte mir zum Freunde geben möchte, sieben Jahre lang draußen in der Welt war und ein Fremder in seiner eigenen Heimat geworden ist. Er weiß nichts von der Tragödie, die den Namen St. Arnauds trägt, und weiß noch weniger von dem, was zu dieser Tragödie geführt hat. Aber auf wie lange noch? Er wird sich rasch hier wieder einleben, alte Beziehungen anknüpfen, und eines Tages wird er alles wissen. Und an demselben Tage… «

      Sie brach hier ab und schien einen Augenblick zu schwanken, ob sie weitersprechen solle. Dann aber fuhr sie voll wachsender Erregung fort: »Ja, mein Freund, er wird eines Tages alles wissen, und an demselben Tage wird auch der heitere Traum, den ich träumen soll, zerronnen sein. Und, daß ich es sagen muß, ein Glück, wenn er zerrinnt. Denn wenn er jemals Gestalt gewönne… «

      »Dann? was dann, meine gnädigste Frau?«

      »Dann wäre jeder Tag ein Bangen und eine Gefahr. Denn es verfolgt mich ein Bild, das ich nicht wegschaffen kann aus meiner Seele. Hören Sie. Wir gingen, als wir noch in Thale waren, St. Arnaud und ich und Herr von Gordon, eines Spätnachmittags an der Bode hin und plauderten und bückten uns und pflückten Blumen, bis mich plötzlich ein glühroter Schein blendete. Und als ich aufsah, sah ich, daß es die niedergehende Sonne war, deren Glut durch eine drüben am andern Ufer stehende Blutbuche fiel. Und in der Glut stand Gordon und war wie davon übergossen. Und sehen Sie, das ist das Bild, von dem ich fühle, daß es mir eine Vorbedeutung war, und wenn nicht eine Vorbedeutung, so doch zum mindesten eine Warnung. Ach, mein Freund, suchen wir ihn nicht zu halten, wir halten ihn nicht zu seinem und meinem Glück. Sie sind der einzige, der es wohl mit mir meint, der einzige, der reinen Herzens ist, und ich beschwöre Sie, helfen Sie mir alles in die rechten Wege bringen und vor allem beten Sie mir das Grauen fort, das auf meiner Seele liegt. Sie sind ein Diener Gottes, und Ihr Gebet muß Erhörung finden.«

      Sie war unter diesen Worten in ein nervöses Fliegen und Zittern verfallen, und der Hofprediger, der wohl wußte, daß ihr, wenn diese hysterischen Paroxysmen kamen, einzig und allein durch ein Ab- und Überleiten auf andere Dinge hin und, wenn auch das nicht half, lediglich durch eine fast rücksichtslose Herbheit zu helfen war, sagte, während er sie bis an ihren Platz zurückführte: »Dieser Überschwang der Gefühle, meine gnädigste Frau, das ist recht eigentlich der böse Feind in Ihrer Seele, vor dem Sie sich hüten müssen. Das ist nicht Ihr guter Engel, das ist Ihr Dämon. Überschwenglichkeiten, die sich ins Religiöse kleiden, ohne religiös zu sein, haben keine Geltung vor Gott, ja, nicht einmal vor dem Papste. Wovon ich mich selbst einmal überzeugen durfte.«

      Der nüchterne Ton, in dem er dies sagte, machte sie stutzen, aber eine gute Wirkung, an der die Neugier einigen Anteil haben mochte, war doch für den sie scharf beobachtenden Hofprediger unverkennbar, und so nahm er denn aufs neue herzlich und zutulich ihre Hand und wiederholte: »Ja, meine gnädigste Frau, nicht einmal vor dem Papste, wovon ich mich selbst einmal überzeugen konnte. Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich Hauslehrer und dann Reisebegleiter bei dem jungen Grafen Medem war und mit ihm nach Rom ging. Als wir daselbst eines Tages zu Schiff nach Terracina wollten, traf es sich, daß auch der Papst, der alte Gregor XVI., dieselbe Reise machte, damals schon ein hoher Siebziger. Ich seh ihn noch, wie er über die Schiffbrücke kam und, umgeben von seinen Dienerschaften, auf ein Zeltdach zuschritt, das man eben in der Nähe des Steuers für ihn aufstellte. Kaum aber, daß er sich hier placiert hatte, so drängte sich auch schon eine die Fahrt mitmachende Frau durch alle Dienerschaften hindurch, warf sich vor ihm nieder und umfaßte seine Knie. Sie war augenscheinlich aus der Campagna nach der Stadt gekommen und rief jetzt, unter fortwährenden heftigen Selbstanklagen, die Vergebung des Heiligen Vaters an. Der ließ sie denn auch eine Weile gewähren, als es aber andauerte, trat er zuletzt an den Schiffsrand und sagte kalt und abwehrend: ›Una enthusiasta.‹«

      Cécile starrte verwirrt und verstimmt vor sich hin, war aber doch sichtlich aus dem Bann ihrer Ängste heraus, und so durfte denn der Hofprediger in einem mit jedem Augenblicke freundlicher werdenden Tone fortfahren: »Und nun zürnen Sie mir nicht, meine gnädigste Frau, wegen eines Mangels an Rücksichtnahme. Kenn ich doch Ihren beweglichen und im letzten auch gesunden Sinn und weiß deshalb, Sie werden sich endgiltig aufrichten an dieser Geschichte. Die Heilslehren existieren und sollen uns Brot und Wein des Lebens sein. Aber sie sind nicht ein Schlagwasser oder Riechsalz, um uns in jedem beliebigen Momente plötzlich aus unserer Ohnmacht aufzuwecken. Es gibt auf diesem Gebiete nichts Plötzliches, sondern nur ein Allmähliches, auch die geistige Genesung ist ein stilles Wachsen, und je tiefer Sie sich mit dem Glauben an den Erlösertod Jesu Christi durchdringen, desto sicherer und fester wird in Ihnen der Friede der Seele sein.«

      Kapitel Sieben­und­siebzig

      Während der Hofprediger mit Cécile dies Gespräch führte, schlenderte Gordon am andern Kanalufer auf seine Wohnung zu, bog aber, als er auf diesem Rückwege die Pfeiler der die Straße kreuzenden Eisenbahnbrücke passiert hatte, zunächst nach links hin in einen wenig belebten Weg ein, um hier, am Potsdamer Bahndamm entlang, ungehinderter seinen Gedanken nachhängen zu können. Ahnungslos hinsichtlich des Stimmungsumschlages, der sich, nachdem er den Balkon verlassen, im Gemüte seiner Freundin vollzogen hatte, war das ihn beherrschende Gefühl lediglich ein freudiges Staunen über die vorgefundene Wandlung zum Guten und Gesunden hin. Ja, die Cécile seiner Thalenser Tage war eine schöne, trotz aller Melancholie beständig nach Huldigungen ausschauende Dame gewesen, während die Cécile von heut eine heitre, lichtvolle Frau war, vor der der Roman seiner Phantasie ziemlich schnell zu verblassen begann.

      »Was bleibt übrig? Ich glaube jetzt klar zu sehen. Sie war sehr schön und sehr verwöhnt, und als der Prinz, auf den mit Sicherheit gerechnet wurde, nicht kommen wollte, nahm sie den Obersten. Und ein Jahr später war sie nervös, und zwei Jahre später war sie melancholisch. Natürlich, ein alter Oberst ist immer zum Melancholischwerden. Aber das ist auch alles. Und schließlich haben wir nichts als eine Frau, die, wie tausend andre, nicht glücklich und auch nicht unglücklich ist.«

      Unter solchem Selbstgespräche war er bis an die Bülowstraße gekommen und wollte sich eben, unter Benutzung derselben, in weitem Bogen wieder zurück nach dem Tiergarten schlängeln, als er, in einiger Entfernung, eines Begräbniszuges gewahr wurde, der nach dem Matthäikirchhofe hinaus wollte. Der gelbe, mit Kränzen überdeckte Sarg stand auf einem offnen Wagen, in dessen Front ein schmales, silbernes Kreuz beständig hin und her schwankte. Hinter dem Wagen kamen Kutschen und hinter den Kutschen ein ansehnliches Trauergefolge. Gordon wäre gern ausgewichen, aber der gehabten Anwandlung sich schämend, blieb er und ließ den

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