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Platz genommen hatten, und zwar an einem unmittelbar am Abhange stehenden Tische, neben dem auch ein Teleskop für das schaulustige Publikum aufgestellt war. Eine junge, freilich nicht allzu junge, mit Skizzierung der Landschaft beschäftigte Dame saß schon vorher an dieser Stelle, was den Obersten, als er seinen Stuhl heranschob, zu den Worten veranlaßte: »Pardon, wenn wir lästig fallen. Aber alle Tische sind besetzt, mein gnädiges Fräulein, und der Ihrige genießt außerdem des Vorzugs, der landschaftlich anziehendste zu sein.«

      »Das ist er«, sagte die Dame rasch und mit ungewöhnlicher Unbefangenheit, während sie das Blatt, an dem sie bis dahin gezeichnet, in die Mappe schob. »Ich ziehe diese Stelle jeder andern vor, auch der eigentlichen Roßtrappe. Dort ist alles Kessel, Eingeschlossenheit und Enge, hier ist alles Weitblick. Und Weitblicke machen einem die Seele weit und sind recht eigentlich meine Passion in Natur und Kunst.«

      Der Oberst, den das frank und freie Wesen der jungen Dame sichtlich anmutete, beeilte sich, sich und seine Begleitung vorzustellen, und fuhr dann fort: »Ich hoffe, meine Gnädigste, daß wir nicht zu sehr als eine Störung empfunden werden. Sie schoben das Blatt in die Mappe… «

      »Nur weil es beendet war, nicht um es Ihren Augen zu entziehen. Ich mißbillige diese Kunstprüderie, die doch meistens nur Hochmut ist. Die Kunst soll die Menschen erfreuen, immer da sein, wo sie gerufen wird, aber sich nicht wie die Schnecke furchtsam oder gar vornehm in ihr Haus zurückziehen. Am schrecklichsten sind die Klaviervirtuosen, die zwölf Stunden lang spielen, wenn man sie nicht hören will, und nie spielen, wenn man sie hören will. Das Verlangen nach einem Walzer ist ihnen die tödlichste der Beleidigungen, und doch ist ein Walzer etwas Hübsches und wohl des Entgegenkommens wert. Denn er macht ein Dutzend Menschen auf eine Stunde glücklich.«

      Ein herantretender und nach den Befehlen der neuen Gäste fragender Kellner unterbrach hier auf Augenblicke das Gespräch, aber es wurde rasch wieder aufgenommen und führte, nach einer kleinen Weile schon, zur Durchsicht der bereits die verschiedensten Blätter enthaltenden Mappe. Cécile war entzückt, verklagte sich ihrer argen Talentlosigkeit halber, unter der sie zeitlebens gelitten, und tat freundliche, wohlgemeinte Fragen, die reizend gewesen wären, wenn sich nicht, bei mancher überraschenden Kenntnis im einzelnen, im ganzen genommen eine noch verwunderlichere Summe von Nicht-Wissen darin ausgesprochen hätte. Sie selber schien aber kein Gewicht darauf zu legen und übersah ein nervöses Zucken, das bei der einen oder anderen dieser Fragen um den Mund ihres Gatten spielte.

      Gordon, selber ein guter Zeichner und speziell von einem für landschaftliche Dinge geübten Auge, hatte hier und da Bedenken und gab ihnen, wenn auch unter den artigsten Entschuldigungen, Ausdruck.

      »Oh, nur das nicht«, sagte die junge Dame. »Nur keine Entschuldigungen. Nichts schrecklicher als totes Lob; ein verständiger und liebevoller Tadel ist das Beste, was ein Künstlerohr vernehmen kann. Aber sehen Sie das hier; das ist besser.« Und sie zog unter den Blättern eines hervor, das eine Wiese mit Brunnentrog und an dem Trog ein paar Kühe zeigte.

      »Das ist schön«, sagte Gordon, während die beständig auf Ähnlichkeiten ausgehende Cécile durchaus eine Wiese, die man vorher passiert hatte, darin wiedererkennen wollte.

      Die junge Malerin überhörte diese Bemerkungen aber und fuhr, während sie Gordon ein zweites Blatt zuschob, in immer lebhafterem Tone fort: »Und hier sehen Sie, was ich kann und nicht kann. Ich bin nämlich, um es rundheraus zu sagen, eine Tiermalerin.«

      »Ah, das ist ja reizend«, sagte Cécile.

      »Doch nicht, meine gnädigste Frau, wenigstens nicht so bedingungslos, wie Sie gütigst anzunehmen scheinen. Eine Dame soll Blumenmalerin sein, aber nicht Tiermalerin. So fordert es die Welt, der Anstand, die Sitte. Tiermalerin ist an der Grenze des Unerlaubten. Es gibt da so viele intrikate Dinge. Glauben Sie mir, Tiere malen aus Beruf oder Neigung ist ein Schicksal. Und wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Denn zum Überfluß heiße ich auch noch Rosa, was in meinem speziellen Falle nicht mehr und nicht weniger als eine Kalamität ist.«

      »Und warum das?« fragte Cécile.

      »Weil mich, auf diesen Namen hin, die Neidteufelei der Kollegen in Gegensatz bringt zu meiner berühmten Namensschwester. Und so nennen sie mich denn Rosa Malheur.«

      Cécile verstand nicht. Gordon aber erheiterte sich und sagte: »Das ist allerliebst, und ich müßte mich ganz in Ihnen irren, wenn Sie diese Namensgebung auch nur einen Augenblick ernstlich verdrösse.«

      »Tut es auch nicht«, lachte jetzt das Fräulein, das eigentlich stolz auf den Spitznamen war, den man ihr gegeben hatte. »Man kommt darüber hin. Und Spielverderberei gehört ohnehin nicht zu meinen Tugenden.«

      In diesem Augenblick erschien der Kellner mit einem tassenklirrenden Tablett, und während er die Serviette zu legen und den Tisch zu arrangieren begann, hörte man, bei der eingetretenen Gesprächspause, beinah jedes Wort, das unter dem Zeltschuppen, und zwar an dem zunächststehenden Tische, gesprochen wurde.

      »Darin«, sagte der Langhaarige, dessen Botanisiertrommel trophäenartig an einem Balkenhaken hing, »darin, mein sehr verehrter Herr Emeritus, muß ich Ihnen durchaus widersprechen. Es ist ein Irrtum, alles in unserer Geschichte von den Hohenzollern herleiten zu wollen. Die Hohenzollern haben das Werk nur weitergeführt, die Begründer aber sind die halb vergessenen und eines dankbaren Gedächtnisses doch so würdigen Askanier. Ein oberflächlicher Geschichtsunterricht, der beiläufig die Hauptschuld an dem pietäts- und vaterlandslosen Nihilismus unserer Tage trägt, begnügt sich, wenn von den Askaniern die Rede ist, in der Regel mit zwei Namen, mit Albrecht dem Bären und Waldemar dem Großen, und wenn der Herr Lehrer ein wenig ästhetisiert (ich hasse das Ästhetisieren in der Wissenschaft), so spricht er auch wohl von Otto mit dem Pfeil und der schönen Heilwig und dem Schatz in Angermünde. Nun ja, das mag gehen; aber das alles sind, wenn nicht Allotria, so doch bloße Kosthäppchen. In Wahrheit liegt es so, daß sie, die Askanier, trotz einiger sonderbarer Beinamen und Bezeichnungen, die, wie gern zugestanden werden mag, den Scherz oder einen billigen Witz herausfordern, samt und sonders bedeutend waren. Ich sage, gern zugestanden. Aber andrerseits muß ich doch sagen dürfen, wohin kommen wir, mein Herr Emeritus, wenn wir die Bedeutung der Menschen nach ihren Namen abschätzen wollen? Ist Klopstock ein Dichtername? Vermutet man in Griepenkerl einen Dramatiker oder in Bengel einen berühmten Theologen? Oder gar in Ledderhose? Wir müssen uns frei machen von solchen Albernheiten.«

      An einer lebhaften Bewegung seiner Lippen ließ sich erkennen, daß der Emeritus emsig dabei war, dem Manne des historischen Essays mit gleicher Münze heimzuzahlen, da seine Pensionierung aber, auf Antrag seiner ihn sonst verehrenden Gemeinde, vor zehn Jahren schon, und zwar »um Mümmelns willen«, erfolgt war, so war an ein Verstehen dessen, was er sagte, gar nicht zu denken, während das, was in eben diesem Augenblick an dem berlinischen Nachbartisch gesprochen wurde, desto deutlicher herüberschallte.

      »Sieh nur«, sagte der ältere. »Die beiden Türme da. Der nächste, das muß der Quedlinburger sein, das ist klar, das kann 'ne alte Frau mit 'm Stock fühlen. Aber der dahinter, der sich so retiré hält! Ob es der Halberstädter ist? Es muß der Halberstädter sein. Was meinst du, wollen wir 'n mal ein bißchen ranholen?«

      »Gewiß. Aber womit?«

      »Na, mit 's Perspektiv. Sieh doch den Opernkucker da.«

      »Wahrhaftig. Und auf 'ner Lafette. Komm.«

      Und so weitersprechend, erhoben sie sich und gingen auf das Teleskop zu.

      »Berliner«, flüsterte Rosa leise zu Gordon hinüber und rückte mehr seitwärts.

      Aber sie gewann wenig durch diese Retraite, denn die Stimmen der jetzt abwechselnd in das Glas hineinschauenden beiden Freunde waren von solcher Berliner Schärfe, daß kein Wort von ihrer Unterhaltung verlorenging.

      »Nu? hast du 'n?«

      »Ja. Haben hab ich ihn. Und er kommt auch immer näher. Aber er wackelt so.«

      »Denkt nicht dran. Weißt du, wer wackelt? Du.«

      »Noch nich.«

      »Aber bald.«

      Und damit traten

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