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      Das dumpfe Grollen schien nicht mehr enden zu wollen. Selbst die Luft zitterte. Das Zentrum des Seebebens – der Begriff entstand ohne mein Zutun in meinen Gedanken – lag offenbar nur wenige Meilen hinter uns. Falls sich jetzt ein feuerspeiender Schlund auftat, war es um die Schebecke ohnehin geschehen.

      Jäh wurde das Schiff nach Backbord gedrückt, danach neigte es sich ebenso rasend schnell zur anderen Seite. Der Bootsmannsstuhl pendelte frei über dem Wasser, ich verlor den Farbkübel, dessen Inhalt ich teilweise über mich ergoß, ließ den Pinsel fallen und klammerte mich an den Tauen fest.

      Während die Schebecke von den Randwirbeln eines trichterförmigen Sogs gebeutelt wurde, der sich gurgelnd und schmatzend wie ein Tor zur Hölle öffnete, donnerte unaufhaltsam von achtern die gut zehn Yards hohe Wasserwand heran, schäumend und tosend und alles unter sich begrabend wie eine gewaltige Lawine.

      Was mir an jenem verhängnisvollen Morgen im Oktober 1599 wie eine kleine Ewigkeit anmutete, währte in Wirklichkeit nur wenige Minuten. Ich empfand mehr Angst und Entsetzen als jemals zuvor. Heute sehe ich das alles mit anderen Augen und würde sicher auch anders reagieren, doch kann ich es mir keineswegs verübeln, daß ich mich hilfesuchend an ein Tau klammerte, statt aufzuentern, solange das noch möglich war.

      Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel und gleich darauf, als die Riesenwelle weder abdrehte noch in sich zusammensank, ein zweites.

      Mir erschien es, als wachse die See bis in den Himmel. Sie riß ein gigantisches, geiferndes Maul auf, um die Schebecke zu verschlingen. Schaum und Gischt erweckten tatsächlich den Eindruck riesiger Fangzähne, die sich alles zerstörend in die Planken des Schiffes bohren würden.

      Viel zu langsam liefen die Arwenacks nach Backbord ab. Der Strudel unter dem Heck weitete sich aus und war erfüllt von lichtloser Schwärze, die meinen Blick wie magisch anzog.

      Spring! hämmerte es verhängnisvoll in meinem Kopf. Laß dich einfach fallen! Nur in der Tiefe ist Sicherheit.

      Schon hing ich nur mehr mit einem Arm am Stropp, der Bootsmannsstuhl neigte sich gefährlich weit über, als wolle er sich aufbäumen und mich abschütteln. Wild pochte das Herz gegen meine Rippen, ich spürte Übelkeit, die mir alles gleichgültig erscheinen ließ, und war mir dennoch irgendwie bewußt, daß ich dem nicht nachgeben durfte.

      Heute glaube ich, daß ich trotz aller widersprüchlichen Empfindungen aus Leibeskräften schrie – bis der Kaventsmann die Schebecke einholte und wie ein welkes Blatt im Herbstwind herumwarf. Gischt und Schaum und gleich darauf eine erstickende Wasserflut schlugen über mir zusammen.

      Ich verlor den Halt, krachte gegen die Planken des Schiffsrumpfs, schluckte Wasser, als mir der stechende Schmerz schier die Besinnung raubte, und hatte das Gefühl, rasend schnell in eine endlose Tiefe zu stürzen.

      Das Salzwasser brannte in meinen Augen, in Mund und Nase. Wie durch einen dichter werdenden Schleier hindurch sah ich etwas Großes, Dunkles vorüberhuschen. Das mußte die Schebecke gewesen sein. Ich wurde abgetrieben, von der Woge mitgerissen, aber trotz aller Gleichgültigkeit, die mich umfing, wollte ich weiterleben. Ich durfte nicht aufgeben, nicht nach allem, was ich in den vergangenen Jahren schon durchgestanden hatte.

      Das Gesicht meines Vaters – bärtig, wie ich es in Erinnerung bewahrt hatte – erschien vor meinem inneren Auge.

      „Clinton“, glaubte ich, ihn sagen zu hören, „leben heißt immerfort kämpfen. Trotzdem darfst du nie müde werden, diesen Kampf durchzustehen, denn wer einmal resigniert, geht sang- und klanglos unter.“

      Nie hatte ich den tieferen Sinn, der in seinen Worten verborgen lag, so deutlich verstanden.

      Die Luft wurde mir knapp. Mit Armen und Beinen rudernd, kämpfte ich gegen den Sog an, der mich in die Tiefe zerrte. Und ich überwand den Zwang, einfach einzuatmen.

      „Du schaffst es, Clinton Wingfield – laß dich nicht unterkriegen.“

      Wo war oben, wo unten? Ich hatte jede Orientierung verloren und wußte nur, daß mich eine gigantische Flutwelle gefangen hielt, die der fernen Küste entgegenstrebte.

      Mein Strampeln half wenig, ich schaffte es nicht bis an die Oberfläche.

      Die Atemnot drohte meinen Brustkorb zu zersprengen, Schmiedehämmer dröhnten in meinem Schädel.

      Danach endeten alle Wahrnehmungen in einer wohltuenden, gnädigen Ohnmacht.

       2.

      Auf den Decks der Schebecke herrschte Wuhling. Obwohl die Riesenwelle das Schiff nur gestreift hatte, stand das Wasser knapp zwei Fuß hoch. Es floß denkbar schlecht ab, da die Speigatten mit weggeschwemmten Tauen, zerfetzten Persennings und Unmengen von Seegras verstopft wurden.

      Gefährlich weit hatte sich der Dreimaster vor der tobenden See übergelegt, und es grenzte an ein Wunder, daß sich die Ladung nicht verschoben hatte. Eine schwere Schlagseite oder gar ein Kentern wäre die Folge gewesen.

      Die über das Schiff hinwegflutende Woge hatte sogar den Seewolf von den Beinen gerissen und bis an die Backbordverschanzung gespült. Vor Nässe triefend, hastete er nach vorn zur Querbalustrade.

      „Schadensmeldung! Sorgt dafür, daß das Wasser schneller abläuft!“

      Er mußte brüllen, um das Knattern der Segel zu übertönen. Die Schebecke drohte querzuschlagen, weil der Wind weiter aufbriste und ein landwärts gerichteter Wellengang das Schiff von der Seite traf.

      Die Arwenacks hatten alle Hände voll zu tun. Sie mußten Fock und Großsegel herumholen und neu trimmen, das Besansegel ins Gei hängen sowie die Speigatten säubern.

      Über die Niedergänge und die ungeschützte Kuhlgräting war viel Wasser in die unteren Räume gedrungen. Es galt, kräftig zu lenzen.

      „Ausfälle?“

      „Nicht der Rede wert, Sir!“ meldete Ben Brighton, der Erste Offizier. „Einige Männer haben Prellungen und Abschürfungen erlitten, aber keine ernsthaften Verletzungen.“

      „Wir hatten unverschämtes Glück“, sagte der Profos. „Wenn uns das Seebeben voll erwischt hätte …“

      Hasard blickte sich um. Bis zur Kimm lag das Meer fast wieder so ruhig wie zuvor. Keine zweite Riesenwelle baute sich auf.

      Lediglich im Südosten verdunkelte sich der Himmel weiter. Dort zog tatsächlich ein heftiges Gewitter heran.

      „Ist Clinton an Bord?“

      Niemand hatte in der Hektik auf den Schiffsjungen geachtet. Big Old Shanes Frage wurde von Deck zu Deck weitergegeben. Wenig später stand fest, daß Wingfield verschwunden war. Auch der Bootsmannsstuhl war fort, lediglich die Stroppen hingen noch außenbords.

      Der Seewolf ließ beidrehen.

      Es stellte sich heraus, daß niemand wußte, wo der Junge abgeblieben war.

      „Wahrscheinlich wurde er von dem Kaventsmann überrascht“, sagte Shane bedrückt. „In dem Fall hat ihn die See mitgerissen.“

      „Er ist kein schlechter Schwimmer. Bestimmt hält er sich über Wasser.“

      Das Meer war nicht kalt, und wenn Clinton Wingfield von der Riesenwelle wieder freigegeben worden war, bestand durchaus die Möglichkeit, daß ihn die Arwenacks sogar nach einem Tag noch leidlich wohlbehalten wieder aufnehmen konnten.

      „Dan“, befahl der Seewolf, „du bleibst im Ausguck! Die Freiwache ist auch für alle anderen aufgehoben.“

      Noch herrschte Zuversicht. Die meisten vertrauten darauf, daß sie Clinton Wingfield schnell aufspüren würden. Den Pessimisten in der Mannschaft wurde entgegengehalten, daß schließlich auch die Zwillinge und Old Donegal wieder aufgetaucht seien, obwohl nach Wochen vergeblicher Suche jeder überzeugt gewesen war, daß sie im Sturm den Tod gefunden hätten. Der vielleicht entscheidende Unterschied bestand nur darin, daß Clinton Wingfield kein Boot zur Verfügung stand, das ihn

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