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ich wußte es nicht.

      „Natürlich, Mister Shane“, log ich.

      Er schaute mich an und schüttelte den Kopf. „Den Eindruck hatte ich nicht, mein Junge. Aber dann los, auf was wartest du noch?“

      „Äh, Sir, ich …“

      Nimm deinen Mut zusammen! dachte ich. Den Kopf wird er dir schon nicht abreißen.

      In dem Moment sagte der graubärtige Riese: „Genügend Farbe findest du in der Vorpiek, den Bootsmannsstuhl kannst du allein abfieren. Und wo die Achterdecksverschanzung ist, weißt du.“

      „Aye, aye, Sir!“ Ich war ihm dankbar für die Hilfestellung, und dementsprechend beeilte ich mich, meine Verpflichtungen zu erfüllen.

      Sir Hasard Killigrew und seine Crew waren eine verschworene Gemeinschaft, in deren Nähe ich mich wohl fühlte. Seit rund sechs Wochen befand ich mich auf der Schebecke und hatte mich – soweit ich das selbst beurteilen konnte – gut eingelebt.

      Die Strahlen der aufgehenden Sonne färbten die östliche Kimm, als ich mich, mit Farbkübel und Pinsel bewaffnet, beim Wachgänger auf dem Achterdeck meldete. Mit Roger Brighton, dem Takelmeister, verband mich von Anfang an ein besonderes Verhältnis – wie auch mit den vier anderen Arwenacks, die ebenfalls zum Dienst auf die „Respectable“ gepreßt worden waren.

      Unwillkürlich versteifte sich meine Haltung.

      „Clint Wingfield meldet sich für Arbeit außenbords!“

      Erst als der Takelmeister belustigt die Brauen hochzog, entsann ich mich, daß derlei militärisches Gehabe auf der Schebecke verpönt war. Aber so ist das eben. Wenn man alles besonders gut hinkriegen will, dann zäumt man das Pferd beim Schwanz auf.

      „Ein neuer Anstrich schadet bestimmt nicht“, sagte der Takelmeister. „Das Schanzkleid ist an gut einem Dutzend Stellen ausgebessert.“

      Er half mir, das Brett des Bootsmannsstuhls in die beiden Stroppen einzuhängen und abzufieren. Bei ruhiger See war die Arbeit ein Kinderspiel, und ich hatte schon Schlimmeres erlebt.

      Vor einer mäßigen Brise aus leicht wechselnden südlichen Richtungen segelte die Schebecke unter Vollzeug auf Nordkurs. Der Himmel war von tiefem Blau, das Meer ebenfalls, eine sanfte Dünung strebte dem Festland entgegen.

      Gestern hatten wir die Palkstraße hinter uns gelassen. Zur Zeit befanden wir uns ungefähr auf der Höhe von Nagapattinam, jedoch außer Sichtweite der Küste. Ich schätzte die Entfernung auf etwa fünfzehn bis zwanzig Seemeilen.

      Zufällig hatte ich aufgeschnappt, daß die Hafenstadt Karikal, nur wenig nördlich von Nagapattinam gelegen, unter portugiesischer Herrschaft stand. Dan O’Flynn schien das aus den Karten herausgelesen zu haben. Es wunderte mich nicht, daß der Seewolf jede neuerliche Feindberührung vermeiden und statt dessen möglichst schnell Madras anlaufen wollte, um unsere wertvolle Ladung zu löschen. In Mannar auf Ceylon hatten wir wieder mal erfahren, daß wir nicht umsichtig genug sein konnten. Dabei scheuten die Arwenacks gewiß keine Auseinandersetzungen, gleichgültig, ob sie mit Fäusten oder mit Schiffsgeschützen ausgetragen wurden.

      Soviel ich inzwischen wußte, hatte Philip Hasard Killigrew dem Maharadscha von Bombay sein Wort gegeben, eine Fracht von insgesamt elf Tonnen Gold und Silber sicher dem indischen Mogulkaiser Akbar zu überstellen. Der Sultan von Golkonda würde die Ladung in Madras übernehmen und weiterleiten, die Gegenleistung des Maharadschas bestand in Handelskonzessionen für die englische Krone.

      Schon früh am Morgen brannte die Sonne heiß vom nahezu wolkenlosen Himmel herab. Obwohl ich nur ein leichtes Leinenhemd und eine unterhalb der Knie abgeschnittene Hose trug, schwitzte ich.

      Ich begann am Steuerbordschanzkleid mit der Arbeit und fierte mich langsam weiter ab. Gegen neun Uhr erhielten die Stückpforten des Hauptdecks einen neuen Anstrich. Die See war inzwischen noch ruhiger geworden und lag fast spiegelglatt vor uns.

      „Segel Steuerbord voraus!“ hallte Dan O’Flynns Ausruf über Deck. Er stand in der Tonne am Großmast und hielt Ausguck. „Es ist eine Galeone auf Parallelkurs!“

      Mir schossen Tränen in die Augen, als ich in die angegebene Richtung spähte, denn die Sonne blendete. Flüchtig fragte ich mich, wie der Navigator in dem Gleißen und Flimmern überhaupt etwas erkennen konnte.

      „Das sind Portugiesen“, hörte ich den Seewolf sagen. Er stand gemeinsam mit Don Juan de Alcazar auf der Höhe des Besanmastes.

      Der Spanier erwiderte: „Vermutlich haben sie uns noch nicht entdeckt. Ihr Ziel dürfte Karikal sein.“

      „Entfernung acht bis neun Meilen!“ meldete Dan O’Flynn. Augenblicke später fügte er hinzu: „Das Schiff dreht ab, ich sehe es kaum noch.“

      Ich widmete mich wieder meiner Arbeit. Die Farbe trocknete sofort auf den Planken. Drei Yards über mir führten der Seewolf und Señor Alcazar ihre Unterhaltung weiter. Sie sprachen über die Portugiesen, über das Gold des Maharadschas und schließlich auch über das Wetter.

      Die Luft war mittlerweile zum Schneiden, im Südosten aufziehende Düsternis verhieß ein nahendes Gewitter, und tatsächlich war bald darauf ein fernes Grollen zu vernehmen.

      Nach einer Weile wurde das Geräusch lauter. Aber das war kein Donnern, sondern eher ein dumpfes, anhaltendes Rumoren, das von überallher zu erklingen schien, sogar aus dem Wasser. Die Schwingungen übertrugen sich auf den Bootsmannsstuhl und ließen ihn ohne mein Zutun gegen den Schiffsrumpf stoßen, ja sogar die Schebecke zitterte plötzlich. Auf dem Wasser bildeten sich konzentrische Wellen, als hätte jemand einen Stein hineingeworfen. Aber das war natürlich Unsinn, denn ein solcher Stein hätte riesig sein müssen.

      Ich hörte einige Arwenacks diskutieren. Sie sprachen von einem verheerenden Gewitter, das sich hinter der Kimm austobte. Schwül genug war es ja.

      Während der Wind böig auffrischte, schleppte ich meinen zweiten Farbkübel an Deck. Vorübergehend entstand Schaum auf den Wellen, doch das Meer blieb weiterhin ungewöhnlich ruhig.

      Die Gewitterwolke stand nahezu unverändert in Südost. Ich war überzeugt davon, daß sich dort über dem Indischen Ozean ein verheerendes Unwetter zusammenbraute.

      Niemand warnte mich davor, das monotone Streichen außenbords fortzusetzen. Aber schließlich konnte keiner der Männer wissen, was das dumpfe Rumoren wirklich bedeutete, das wenig später abermals anhob.

      Diesmal drang das Grollen aus der Tiefe des Meeres herauf. Die Dünung brach schlagartig zusammen und wich kabbeliger See.

      Auf dem schwankenden Bootsmannsstuhl hatte ich Mühe, den Farbkübel festzuhalten. Fasziniert und entsetzt zugleich, starrte ich nach achtern, unfähig zu begreifen, was sich in Gedankenschnelle abspielte.

      Wenige Meilen hinter der Schebecke schäumte und brodelte die See von einem Augenblick zum anderen – wie in einem Kochtopf, in dem das Wasser zu sieden beginnt. Oder noch besser: wie die Fontänen, die schlecht gezielte Kanonenkugeln aus der See stanzen.

      Eine unheimliche Wasserwand baute sich auf – gigantisch, furchterregend, tödlich.

      Turmhoch wuchs die Mauer hoch, das Grollen steigerte sich zum infernalischen Lärm.

      Ich hörte den Seewolf Befehle brüllen, aber ich war unfähig, aufzuentern. Ich konnte den Blick nicht von der riesigen Welle lösen, die sich schäumend und tosend heranwälzte.

      Der Kaventsmann war mächtig genug, um selbst ein Schiff wie die Schebecke zu zerschmettern.

      „Clinton!“ Jemand brüllte aus Leibeskräften meinen Namen. Vielleicht war es der Profos, möglicherweise aber auch Mister Shane. Mehr verstand ich nicht.

      Die Riesenwelle löste in mir ähnliche Empfindungen aus wie der starre Blick einer Schlange beim Kaninchen, das sich danach bereitwillig verschlingen läßt. Ich hatte von solchen extremen Einzelseen gehört, ihr Auftreten jedoch stets in das Reich überschäumender Phantasie verwiesen. Schließlich gab es viele Seeleute, die nur dann glücklich waren, wenn sie den Schiffsjungen gehörig

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