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Die Henkerin. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Die Henkerin
Год выпуска 0
isbn 9788711461372
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
– Acht, sagte der Doktor endlich, während er ihnen das Leuchtzifferblatt seiner Armbandstoppuhr vor Augen hielt, Strangulationen, und alle finden in einer Kassette Platz! Allein das beweist, daß die einzelnen Nummern durchschnittlich nicht dreißig Minuten, wie jeder annehmen würde, sondern dreißig Sekunden gedauert haben. Wenn wir nicht wüßten, daß für diese Show eine ganz brutale, langwierige Schlächterei vorgeschrieben war, so erschiene mir diese rasche Art von »slow hanging« als ein riskantes Spiel und all diese Obszönitäten als dessen unumgänglicher Bestandteil; der Mann war ein Fan seiner Kunden, wie einst Ihr Favorit Mydlář, und falls die Archive seinen Namen nicht preisgeben, verdient er es, nach dem Vorbild großer Persönlichkeiten der bildenden Kunst, in die Lehrbücher einzugehen als unbekannter –
fügte der Doktor hastig hinzu, als auf der Leinwand ein Emblem mit den Buchstaben I.R.T.C. erschien,
– Meister, aber heben wir uns die Bewertung bis zum Schluß auf, denn die Video-Aufzeichnung aus Bagdad ist ein abschrekkendes Pendant zum vorhergehenden Streifen.
Der Vorspann wurde von einer Einstellung abgelöst, die drei Stühle von unterschiedlichem Alter, Ursprung und Zweck ins Bild brachte.
– Zeit des Geschehens, sagte der Doktor, und in seiner Stimme schwang die Erregung des Fachmanns mit, Winter 1963, Schauplatz des Geschehens auf den ersten Blick eine Dekoration für Ionescos ›Stühle‹ oder –
fuhr der Doktor fort, während die Einstellung mit den Stühlen von der Einstellung auf einige Notenpulte abgelöst wurde, auf denen Maschinenpistolen von unterschiedlichem Kaliber und unterschiedlicher Fabrikation lagen,
– ein anderes Stück eines anderen absurden Autors, in Wirklichkeit jedoch das Musikaufnahmestudio der Iraq Radio Television Corporation.
Die Einstellung mit den Pulten wurde von einer Einstellung auf eine Gruppe von Männern in Militäruniformen abgelöst, die sich zwischen abgelegten Instrumenten hindurchwanden, über Kabelstränge stolperten, der Kamera gegenüber stehenblieben, die Hacken zusammenschlugen und einen Schrei ausstießen.
– Sieg! rief der Doktor gleichzeitig, während die Männer aus dem Bild gingen, bis auf einen, der nervös begann, einen Text in kaum verständlich kehliger Sprache in die Kamera zu verlesen. Was sonst konnten diese eben berufenen Revolutionsführer rufen, denen es oblag, die frisch abberufenen Revolutionsführer kaltzumachen, und zwar in dem Bewußtsein; daß das ganze Volk dank des Fernsehens im selben Moment ihr Heldentum würdigte.
Der Mann auf der Leinwand hatte ausgeredet und blickte seitwärts. Der rasche Kameraschwenk erreichte die Stühle: Dort waren inzwischen drei gedunsene Männer in zerrissener Uniform mit elektrischem Leitungsdraht festgezurrt worden; ihre Augen, zwischen Striemen eingesunken wie Bergseen, waren offen, schienen aber ins Jenseits zu blicken.
– Das soeben verlesene Urteil, fuhr der Doktor fort, und in seiner Stimme schwang wieder die Nüchternheit des Historikers mit, gibt uns die Möglichkeit, zu identifizieren, »who is who«, so daß wir uns mit den Zuschauern der Direktübertragung freuen dürfen, auskosten und vergleichen zu können, wie sich der große und einzige Führer der irakischen Revolution Abd Al Karim Kasim, sein berühmter Mitkämpfer, Präsident des höchsten Militärgerichtshofs, Oberst Mahdavi, und der hervorragende Soldat und Patriot, Kommandeur der Operationstruppen, Scheich Taha, mit ihrer Hinrichtung abfinden. Indes, der Mensch denkt, und irgendein Trottel lenkt!
Ein Geräusch ertönte, das wie Osterrasseln klang. Die drei Männer stützten das Kinn aufs Schlüsselbein. Wäre das verspätete Projektil nicht gewesen, das Tahas Schädel durchschlug, so daß Blut hervorsprudelte wie ein Rinnsal im Rasen, dann hätten selbst Wolf und Schimssa nicht begriffen, was da eigentlich geschehen war.
– Eine derartige buchstäblich historische Gelegenheit zu haben und sie dann so, mit Verlaub, rief der Doktor, und in seiner Stimme schwang die Empörung des betrogenen Fans mit, zu verscheißen! Alle auf einmal abzufertigen, ohne Kommando oder wenigstens einen Hinweis des Ansagers, sich die Überblendung auf das Erschießungspeloton entgehen zu lassen, sich ein so attraktives Milieu auszudenken und sie dann anzuschnallen, daß sie nicht einmal zucken, auch den Ton durch schlecht eingestellte Mikrophone zu verhunzen und den Trick nicht anzuwenden, ohne den heutzutage nicht einmal die Übertragung des Fußballspiels AC Dunghausen gegen FC Katzenhofen auskommt, die Wiederholung in –
fuhr der Doktor fort, in den Lichtkegel über seinem Kopf die senkrecht aufragende gestreckte Rechte und die waagerecht darangelegte Linke hochhaltend, um vermittels des Schattenkreuzes auf der Leinwand dem Vorführer mitzuteilen, er sei entlassen,
– Zeitlupe, das ist eine skandalöse Unterschätzung sowohl des Mediums Fernsehen als auch des Exekutionswesens. Wen nimmt es dann wunder, daß dieses schöpferische Experiment nie mehr wiederholt worden ist, obwohl weltumspannende Fernsehgesellschaften gleichzeitig ein Heidengeld für alle möglichen künstlerischen Surrogate zahlen wie etwa die Guillotinage in Lelouchs Film ›La vie, l’amour, la mort‹. Womit –
fuhr der Doktor fort und schenkte Wolf noch einen Whisky ein,
– wir bei dem Paradoxon angelangt wären, daß das Prachtwerk der Filmproduzenten, das Rekordeinnahmen erzielen und sämtliche Preise kassieren würde, unter sieben Siegeln liegt, während ein dilettantisches Machwerk vermittels anderer Verleihe um die Welt geht. Welches Wasser auf die Mühlen all jener, die mit ihrem Geschrei über die Wirkungslosigkeit der Todesstrafe dauernd die Luft verpesten und auf diese Weise niedrigste Triebe von der Kette lassen, die oftmals zu ihrem Verbot führen, was –
fuhr der Doktor fort und schenkte Schimssa noch einen Saft ein,
– uns summa summarum verdrießen kann, aber nicht deprimieren darf, wenn wir erst einmal begriffen haben, daß hier gemeinsam mit Irrtümern etwas völlig Neues entsteht, das uns einmal genauso beeindrucken wird wie das erste Auto oder das erste Grammophon!
Stille trat ein, in der nur der Motor des Vorhangs ertönte, der die Leinwand wieder verhüllte. Der Doktor schaute jedoch noch immer vor sich hin, wie gebannt von einem Anblick, der den anderen verborgen blieb.
– Aber, wandte Wolf ein, was vermögen ein paar vereinzelte Raufbolde in einer Zeit, in der in Europa das Gespenst des Humanismus umgeht? Was vermögen aufgeklärte, aber isolierte Eliten, wenn kein Jahr vergeht, ohne daß wieder eine Regierung dem moralischen Terror von Schriftstellern und anderen deklassierten Elementen nachgibt und die Top-Strafe abschafft, obwohl gerade sie die treibende Kraft der Geschichte ist und ohne sie selbst die fortgeschrittensten Nationen noch wie die Affen auf den Bäumen hocken würden?
– Nur nicht, der Doktor erwachte zum Leben, so daß aus dem meditierenden Philosophen wieder der begeisterte Diskutierer und unermüdliche Organisator wurde, das Kontinuitätsbewußtsein verlieren, also vor allem nicht den Glauben an die erneuernde Kraft unverdorbener Kommunen! Was tut’s, daß ein paar degenerierte Regierungen ihre besten Scharfrichter zu Frührentnern machen, wenn gleichzeitig die neue Regierung eines wenig entwickelten, jedoch offensichtlich progressiven Landes ihre Vorgänger im Fernsehen hinrichtet? Wenn eine andere Regierung innerhalb eines noch weniger entwickelten, aber offensichtlich progressiveren Archipels eine Million schuldbeladener Bürger auf einen Schlag hinmachen läßt, wenngleich, zugegeben, auf ziemlich primitive Weise nach dem System »kill as kill can«? Siehe, ex oriente lux, das die europäische Finsternis erhellt.