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aber rief verzweifelt aus: «Komm nicht zu mir! Rühre mich nicht an! Du siehst, ich habe meine Eltern getötet, und dich, du reinste Frau, habe ich verdächtigen können. Verzeih mir, wenn du es kannst. Ich gehe fort, um nie wieder zu kommen. Leb wohl.»

      Die junge Frau jedoch hielt ihn zurück und warf sich ihm an den Hals:

      «O, ich flehe dich an, zweifle nicht an der Barmherzigkeit Gottes. Deine Sünde kann nicht so groß sein, daß sie dir nicht verziehen werden könnte. Du hast ja deine Eltern nicht töten wollen, Julian, und jetzt bereust du deine rasche Tat. Geh zum Heiligen Vater, geh sogleich nach Rom und lege eine Beichte ab. Und bei der Sühne will ich, dein Weib, dir helfen. Geh mit Gott, mein armer Julian, und komm wieder zu mir zurück. Vergiß nicht, daß ich alles mit dir tragen will.»

      Die Frau machte noch das Kreuzzeichen über ihn, und damit nahmen die Gatten Abschied voneinander.

      Dann trug Julian die schwere Last seiner Sünde nach Rom, wo er vor dem Papst eine reumütige Beichte ablegte und in Demut um eine heilsame Buße bat. Der Papst trug ihm als Sühne auf, vierzehn Jahre lang ein unstetes Wanderleben zu führen und sich von Almosen zu nähren. Er durfte keine zwei Nächte nacheinander am gleichen Ort schlafen, und somit war es die Heimatlosigkeit, die ihm als harte Sühne auferlegt wurde. Julian war dankbar, büßen zu dürfen. Die Buße erschien ihm im Vergleich zur Sünde so sehr leicht. Es fiel dem einstigen König nicht schwer, als wandernder Bettler die Welt zu durchqueren. Es war nur die Sünde, die ihn drückte und die er nicht genug bereuen konnte.

      Die Gattin aber wartete vergeblich auf ihren Mann. Sie konnte nicht begreifen, warum er nicht zu ihr zurückkam. Es beunruhigte sie, nichts über ihn zu wissen, und endlich entschloß sie sich, nach Rom zum Heiligen Vater zu gehn, um sich bei ihm nach Julian zu erkundigen. Der Heilige Vater sagte ihr, daß ihrem Gatten vierzehn Jahre Wanderleben als Buße auferlegt worden seien, und als die junge Frau dieses hörte, bat sie den Heiligen Vater kniefällig, die Hälfte der Sühne auf sich nehmen zu dürfen, was ihr gewährt wurde.

      Jetzt kleidete sich die Königin in ein ärmliches Pilgergewand, zog wandernd von Ort zu Ort, und in jeder Kirche, an der sie vorüberkam, betete sie für das Seelenheil ihres Mannes und dann erst für ihr eigenes. Als die Frau nun eines Tages in einer Kirche von Ravenna kniete, erkannte sie in einem Beter neben sich ihren Gatten Julian, der auch hierher gekommen war, seine Sühneandacht zu verrichten. Julian war so tief versunken in sein Gebet, daß er seine Frau neben sich nicht gleich bemerkte. Sie aber sah, wie die Tränen der Reue ihm aus den Augen fielen und über sein leidensvolles Gesicht rannen. Da empfand die Frau ein tiefes Mitleid mit ihrem Manne, bat den lieben Gott, daß er ihr helfen möge, immer treu und standhaft an der Seite ihres Mannes bleiben zu dürfen. Sie empfing die Eingebung, daß Gott ihr Gebet erhörte, und da rückte sie ein wenig näher an den Beter heran, ihm mit holder Zärtlichkeit ins Ohr flüsternd:

      «Julian, ich darf als deine Frau wohl mit dir beten.»

      Julian blickte auf seine Frau im Pilgerkleid, und es rührte ihn, daß sie ihm gefolgt war. Sie erzählte ihm sogleich, sie sei beim Heiligen Vater gewesen und er habe ihr erlaubt, die Hälfte der Buße auf sich zu nehmen. Julian wollte dieses Opfer nicht annehmen und wünschte, seine Frau möge wieder nach Hause gehen, um dort ein ruhiges Leben zu führen.

      «Nein», entgegnete die Frau, «mein Platz muß an deiner Seite sein. Habe ich das Glück mit dir genießen dürfen, will ich auch alles Schwere mit dir tragen. Wir sind Mann und Frau, und du hast nicht das Recht, mich von dir zu weisen. Wir gehören zusammen. Gott selbst ist es, der unseren Ehebund gewollt und beschlossen hat. Ich muß bei dir bleiben, um deine Gehilfin zu sein. Warum willst du mich von dir weisen?»

      «Ich will nicht, daß du als zarte Frau ein hartes Leben auf dich nimmst. Du wirst nicht die Kraft haben, es zu ertragen.»

      «O Julian, glaubst du denn nicht, daß mit dem guten Willen, den ich habe, mir auch die Kraft verliehen wird? Deine Prüfung muß auch meine Prüfung sein. Und habe nicht auf eine gewisse Weise auch ich Schuld an deiner Schuld? Hast du nicht mein etwegen die Sünde begangen? Vielleicht wäre deine Tat ohne mich ungeschehen geblieben. Darum laß mich bei dir bleiben und mit dir sühnen.»

      So sprach die edle Frau zu ihrem Manne, der sich trotz ihrer Vorhaltungen noch nicht entschließen konnte, sie bei sich zu behalten. Da sagte sie zu ihm:

      «Was mir der Heilige Vater bewilligt hat, muß gelten, denn wir müssen auch seine Vergünstigung, die er uns gewährt hat, als einen Befehl hinnehmen, dem wir zufolgen haben. Wenn es dir aber recht ist, gehen wir zusammen nach Rom und befragen den Heiligen Vater gemeinsam, was wir zu tun haben.»

      Damit war Julian einverstanden, weil er hoffte, der Papst würde ihm auf seine, des Mannes Bitte, erlauben, die Buße allein auf sich zu nehmen, da er ernstlich fürchtete, die Frau könne den Beschwerden einer siebenjährigen Wanderung nicht gewachsen sein, zumal sie körperlich von sehr zarter Konstitution war.

      Der Heilige Vater entschied folgendermaßen: Es wurde dem Ehepaar gestattet, vierzehn Jahre lang an einem Orte zu bleiben, und es wurde ihnen zur Pflicht gemacht, für die Armen zu sorgen.

      Da errichtete Julian in der Nähe eines Flusses ein Heim, in dem Kranke und Obdachlose verpflegt wurden. Es waren arme Reisende, die durch diese einsame Gegend geführt wurden und wohl dankbar waren für die liebevolle Aufnahme, die sie hier fanden. Julian führte auch Reisende im Boot zum andern Ufer des Flusses, während die Frau im kleinen Spital für die Kranken sorgte. Die Aufgabe, die sich die junge Frau gestellt hatte, war gewiß nicht leicht zu erfüllen, denn einmal geschah es, daß ihre Kraft zu erlahmen drohte. Sie seufzte und sprach zu ihrem Manne:

      «Julian, die vierzehn Jahre sind schon vergangen. Wann werden wir wohl wieder nach Ägypten zurückkehren?»

      «Wenn ich meine Sünde gesühnt haben werde, will ich in die Heimat zurück. Sollte es dir aber schwerfallen, bei mir zu bleiben, will ich dir gewiß nicht zürnen, wenn du mich verläßt.»

      Da schämte sich die Frau ihrer Schwäche, bat ihren Mann um Verzeihung und gestand ihm, es sei nur ein vorübergehendes Heimweh, das sie befallen habe.

      Julian tröstete sie und sprach ihr liebreich zu, während sie sich ein wenig vor dem Hause im Freien ergingen. Die Frau faßte die Hand des Mannes, versprach, ihn niemals verlassen zu wollen, und so beschlossen sie in schöner Einigkeit, bis an ihr Lebensende an diesem Orte zu bleiben.

      Während sie noch miteinander sprachen, erblickte Julian in einiger Entfernung einen Mann im Walde, der sich nur mühsam vorwärts zu bewegen schien. Es mochte ein armer Wanderer sein, dessen Kräfte vom langen Gehen vielleicht erschöpft waren. Julian ließ die Hand seiner Frau los und eilte dem Manne entgegen, um ihn zu stützen. Es war aber ein Aussätziger, den Julian vor sich sah, mit eiternden und verschorften Wunden bedeckt, die einen widrigen Geruch ausströmten, aber darauf achtete Julian nicht, sondern bot dem Leidenden seinen Arm, damit er sich auf diesen stützen könne. Der Kranke jedoch hauchte mit müder Stimme:

      «Nein, du mußt mich tragen, denn ich kann nicht weitergehen.»

      Da nahm Julian den Aussätzigen in seine Arme, hob ihn behutsam zu sich empor und trug ihn ins Haus. Er trug ihn in seine Kammer, in der Julian allein zu schlafen pflegte, und legte den Aussätzigen in sein eigenes Bett. Dann bot Julian ihm ein stärkendes Getränk an, da der Kranke im Fieberfrost zu zittern begann. Julian deckte ihn sorglich zu, aber der Kranke schien gleichwohl zu frieren. Julian holte seinen Mantel und hüllte den Unglücklichen hinein.

      Der Aussätzige aber hauchte mit sterbender Stimme:

      «O, eine Todeskälte ist in mir. Wie könnte ich je erwarmen?»

      Da empfand Julian ein namenloses Mitleid mit dem Aussätzigen. Rasch zog er sein Gewand aus, legte sich zum armen Manne ins Bett, umfing ihn mit seinen Armen und preßte seinen jungen, warmen, gesunden Leib an den des Aussätzigen, um ihn zu erwärmen. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke, er werde sich nahezu unfehlbar die gleiche, ansteckende Krankheit zuziehen. Er achtete nicht auf den Geruch der Verwesung, den die grauenhaften Wunden ausströmten. Er sah nur das Leiden eines armen Menschen, und nur vom Wunsche beseelt, die Qual zu lindern, drängte er sich noch

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