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wachse, sei falsch und von ihnen nie ausreichend begründet worden.6 Stattdessen gebe es sowohl Erweiterungen als auch Kürzungen im Stoff.7 Fünftens: Bultmann begründet seine These, dass Mt die „Jünger“ und die Zwölf gleichsetze, mit der Behauptung, dass Mt diese Gleichsetzung von Mk übernommen habe. Diese Gleichsetzung sei für Mt „selbstverständlich“. Bultmann impliziert erstens, dass man die Gleichsetzung nicht an der redaktionellen Tätigkeit des Evangelisten Mt nachweisen müsse. Hierbei stellt sich die Frage: auf welche alternative Weise könnte man belegen oder widerlegen, was der Evangelist gedacht oder gemeint hat, wenn er „Jünger“ schrieb, wenn nicht am Text selbst? Und wäre es nicht konsequent zu schlussfolgern, dass die Rede von den „Jüngern“ in die vor-mk-Phase einzuordnen sei, weil „Jünger“ so allgemein und unbestimmt klingt, als wäre eine nicht näher definierte Anhängerschaft gemeint? Und zweitens impliziert Bultmann, dass der Evangelist Mt den Jünger-Stoff des MkEv „richtig“ gelesen habe. Doch hat Mt diese (nur) in der redaktionellen Tendenz erkennbare Gleichsetzung von Jüngern und Zwölf wirklich erkannt, indem er – gewissermaßen form- und redaktionskritisch denkend – die älteren traditionellen Elemente von den jüngeren mk Elementen trennen konnte?8 Außerdem müsste Bultmann dann erklären, warum der Evangelist Lk die Zwölf meistens „Apostel“ (und manchmal „Jünger“) und die anderen Jesusanhänger meistens „Jünger“ nennt. Vorausgesetzt, dass Lk (u.a.) das MkEv als Quelle hatte: Könnte es nicht auch sein, dass Lk im MkEv gar keine absolute Gleichsetzung von „Jüngern“ und Zwölf vorfand? Sechstens: Belegen die Stellen, die Bultmann aus dem MtEv anführt, tatsächlich ein besonderes Interesse des Evangelisten Mt am konkreten Jüngerkreis, den er zudem mit dem Zwölferkreis gleichsetze? Z.B. lässt sich aus Mt 17,4 lediglich ableiten, dass einzelne Mitglieder des Zwölferkreises auch „Jünger“ genannt werden. Und würde man in Mt 17 die Erzählungsabfolge von V.1-13 und V.14-20 beachten, dann wäre es eine angemessene Schlussfolgerung, dass mit den „Jüngern“ in V.16.19 diejenigen gemeint sind, die Jesu Verklärung gerade nicht miterlebt hatten; d.h. es gibt in 17,1ff zwei verschiedene Personengruppen, die beide „Jünger“ genannt werden.9

      1.2 Redaktionskritik

      Nach dem zweiten Weltkrieg kam mit den Veröffentlichungen von Günther Bornkamm (zum MtEv), Willi Marxsen (zum MkEv) und Hans Conzelmann (zum LkEv) die redaktionskritische Methodik auf und dominierte die Evangelien-Forschung mindestens bis in die 1980er Jahre.1 Der Redaktor galt nicht mehr in erster Linie als „Sammler“ von überlieferten Einzelformen, die er mehr oder weniger sinnvoll ordnete,2 sondern als ein theologisch bewusster und klug gestaltender Interpret seiner Quellen.3 Anhand der redaktionellen Modifikationen seiner Quellen versuchte man sowohl die Theologie des Evangelisten als auch den „Sitz im Leben“ eines Textes zu rekonstruieren.4 Dabei betrachtete man den Text gewissermaßen als ein „Fenster“ für die dahinterliegende reale Gemeindesituation.5 Das konkretisierte sich u.a. darin, verschiedenen Personen des Textes reale Personen innerhalb oder außerhalb der mt Gemeinde zuzuweisen. Einen besonders klaren Blick auf die mt Gemeindesituation versprach man sich von der Jüngergruppe im MtEv. Im Zusammenhang mit den „Jüngern“ und ihrer Bedeutung für die mt Gemeinde gingen etliche redaktionskritisch arbeitende Forscher auch speziell auf die zwölf Jünger ein. Dabei waren v.a. zwei Verhältnisbestimmungen ausschlaggebend: erstens das Verhältnis zwischen den Jüngern und den zwölf Jüngern, und zweitens das Verhältnis zwischen den (zwölf) Jüngern und „Mitgliedern“ der mt Gemeinde.

      1.2.1 „Klassische“ redaktionskritische Studien

      „Jünger“ als „ekklesiologischer terminus“. Stanton spricht stellvertretend für die redaktionskritische Mt-Forschung zwischen 1945 und 1980, wenn er resümiert: „Matthew᾽s distinctive portrait of the disciples (including Peter) is very much part of his ecclesiological interest.“1 Spätestens seit Günther Bornkamm galt in der redaktionskritischen Mt-Forschung der Begriff „Jünger“ (ὁ μαθητής oder οἱ μαθηταί) als ein zentraler „ekklesiologischer terminus“, weil mit ihm nachösterliche Gemeindethemen wie z.B. „Nachfolge“ verbunden seien.2 Daher war es konsequent, wenn Bornkamm und einige andere Mt-Forscher der redaktionskritischen Pionierphase auf der einen Seite die Jünger im MtEv und auf der anderen Seite die adressierte mt Gemeinde als austauschbare Größen verstanden: mit „Jünger“ sei die mt „Kirche“ gemeint. Bornkamms ekklesiologische Deutung der Jünger teilten nicht nur seine eigenen „Schüler“ Gerhard Barth3 und Reinhart Hummel,4 sondern viele andere Mt-Forscher (dazu gleich mehr), z.B. Wolfgang Trilling, der in Das Wahre Israel: Studien zur Theologie des Matthäusevangeliums (1959) zum Ergebnis gelangte, dass mit „Jünger“ im MtEv der „ideale Jünger“ gemeint sei.5

      Die „Zwölf (Jünger)“ als „typische“ Jünger der mt Gemeinde. Weder Bornkamm noch Barth, Hummel oder Trilling nahmen eine Unterscheidung zwischen den zwölf Jüngern bzw. Aposteln einerseits und den Jüngern andererseits vor:6 Laut Bornkamm sind die zwölf Jünger, die in Mt 9,35-11,1 ausgesandt werden, nicht mehr als „Jünger par excellence, Prototypen und Vorbilder auch der späteren Jüngerschaft“, sie sind v.a. Vorbilder für die Mission der Kirche.7 Weil für Barth die Gleichsetzung der Jünger mit der Kirche im Vordergrund steht, können s.E. weder die zwölf Jünger noch die Apostel einen besonderen Status oder eine besondere Funktion haben, die sie von den allgemeinen Jüngern abhebt.8 Und Trilling schlussfolgert, dass mit „Jünger“ kein Apostel oder eine andere historische Person gemeint sein könnte. Vielmehr gelte: „An vielen weiteren Stellen ist zu erkennen, daß Matthäus den engeren Kreis (bei Markus meist der ,Zwölf‘) als Typus und Paradigma für den wahren christlichen Jünger auffaßt.“9

      Die „Zwölf (Jünger)“ als Inhaber und Vorbilder eines besonderen „Amtes“? In den 1970er Jahren rückten mehrere redaktionskritische Arbeiten bestimmte Begriffe des MtEv in den Fokus und diskutierten, ob diese Begriffe termini technici seien und als solche auf bestimmte Funktionen oder Ämter in der mt Gemeinde hinwiesen:10 Weisen z.B. Mt 5,12; 7,22f; 10,41; 23,34 auf Propheten in der mt Gemeinde hin, zu denen evtl. auch die Wundertäter und Exorzisten zählten? Das bejahen z.B. Hummel,11 Sand,12 Schweizer13 oder Künzel.14 Doch Trilling15 und Frankemölle16 verneinen das. Gab es z.B. aufgrund von Mt 8,19; 11,25; 13,52; 18,18; 23,8-12.34 Schriftgelehrte bzw. Lehrer, zu denen evtl. auch „Weise“ gehörten? Dem stimmen z.B. Hummel,17 Trilling,18 Sand,19 Schweizer20 oder Künzel21 zu. Frankemölle22 und van Tilborg23 hingegen lehnen das ab. Oder existierte – z.B. aufgrund von Mt 10,41 – eine bestimmte Gruppe von „Gerechten“? Das negiert z.B. Trilling,24 Schweizer jedoch ist sich diesbezüglich unsicher.25 Oder leiteten vielleicht Presbyter bzw. Älteste und außerdem Episkopen die Gemeinde? Das können sich z.B. Sand26 und Frankemölle27 nicht vorstellen. Ergänzend zu diesen Begriffen wurde v.a. aufgrund von Mt 16,17ff ein mögliches Petrus-Amt debattiert:28 Viele Forscher erkannten die herausragende Rolle des historischen Petrus an, der erstens die Schlüsselgewalt erhalten hatte (Stichwort „Disziplinarvollmacht“) und zweitens ein autoritativer Überlieferer der Jesuslehre war (Stichwort „Lehrvollmacht“). Und manche dieser Forscher erkannten gerade in seiner zweitgenannten Funktion seine bleibende Bedeutung für die mt Gemeinde. Doch es wurde stark bezweifelt, dass sich Petri heilsgeschichtliches Primat in einem Gemeindeamt fortgesetzt haben könnte, welches mit einer entsprechenden Autorität ausgestattet gewesen wäre. Die meisten sahen in Petrus stattdessen einen (proto-) typischen Jünger, einen primus inter pares, mit dem sich jedes Gemeindemitglied identifizieren sollte. Diese Position vertraten z.B. Kilpatrick,29 Hummel,30 Schweizer,31 Trilling,32 Bornkamm,33 Künzel,34 Kingsbury35 und bemerkenswerterweise auch Strecker36 und Walker.37 Frankemölle hingegen sah in Petrus tatsächlich die Gemeindeleiter angesprochen.38 Wenn nun im Zusammenhang der Frage nach Ämtern in der mt Gemeinde die zwölf Jünger bzw. Apostel in den Blick geraten, dann fällt die Bewertung relativ eindeutig aus: es gebe in der mt Gemeinde in Fortsetzung der zwölf Jünger kein entsprechendes Amt. Auf die Frage, ob sie im MtEv als (historisch vergangene) Autoritäten dargestellt werden, zumindest an wenigen Stellen, gibt es unterschiedliche Antworten: zu „Nein“ tendieren z.B. Hummel,39 Sand40 und Walker.41 Mit einem eingeschränkten „Ja“ hätte z.B. Trilling geantwortet: Laut Mt 10,2 seien die Zwölf „Apostel“ im dogmatischen Sinne, ähnlich wie im LkEv, nur dass der Evangelist Lk diese dogmatische Angleichung der Zwölf

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