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»Hannover bringt jedoch auch eine Neuigkeit. Zwischen den zugesoffenen Nietenpunks bewegt sich eine kleine Gruppe Italiener, die völlig aus der Reihe fallen. Das beginnt bei ihrem Äußeren: Sie tragen keine Lederjacken und Spikes, sondern geschorene Schädel und bunte Stirntücher [kannte man von der SUICIDAL TENDENCIES-Platte], Armeejacken, Turnschuhe und normale Jeans. […]

      Das Outfit spielt plötzlich wieder eine große Rolle, allerdings auf eine andere Art und Weise als bei Punkrock. Man will nicht die Bürger erschrecken oder möglichst cool aussehen. Es dient lediglich dem Erkennen der eigenen Gruppe.«

      Man kann fast schon von einer Tarnung sprechen, von subversivem Auftreten, das sich auf Erkennungsmerkmale beschränkt, die so wenig von alltäglicher Kleidung abweichen, daß ihr Spezifisches nur noch Eingeweihten erkennbar wird. Und doch können der Kapuzenpulli (gibt’s in jedem Sportgeschäft) und das Halstuch (Stangenware) im Handumdrehen – etwa auf Demos – zur tatsächlichen Tarnung eingesetzt werden. Insofern folgt das scheinbürgerliche Auftreten dem Prinzip des Straßenkampfes, dem unerkannten »Brüllen, zertrümmern und weg« (SLIME), während Punk ein »Für immer Punk« (GOLDENE ZITRONEN) bedeutet, schillerndes Auftreten, durch das sich das Andere sofort als Anderes zu erkennen gibt. Und sich dadurch selbst ›findet‹ bzw. definiert.

      Bequeme Straßenkleidung, die den Handlungsspielraum nicht einschränkt, ersetzt das aufwendige Styling der Punks. Man stellt nichts mehr zur Schau und glaubt damit wiederum, Punk als extreme Form von Modebewußtsein entlarvt zu haben. Gegen die Scheinaffirmation des Hardcore erscheint Punk als das, was auch weltweit daraus gemacht wurde: Exotismus, ideales Objekt für Modeplakate und Postkarten.

      Gegenüber Punk (der dem Spiegel bereits 1978 eine Titelstory wert war) hatte Hardcore dadurch lange Zeit eine absolut geringe Medienattraktivität. Jugendliche, die eine extrem aggressive Musik hören und eine politische Einstellung haben, welche aus der Sicht bürgerlicher Medien ebenfalls als extrem eingestuft wird, sind durch ihre optische Neutralität als printwürdige Subkultur disqualifiziert. Lediglich bei Eskalationen, etwa im Rahmen des Häuserkampfes, zerrt die Kamera Personen an die Öffentlichkeit, die teilweise aus der Hardcore-Bewegung stammen, aber von der Presse nicht als solche eingeordnet werden.

      Hardcore als subversiv-rebellische Bewegung blieb damit in der Öffentlichkeit lange Zeit ähnlich unerkannt und nicht aufgearbeitet wie die Gruppe der Situationisten in den Fünfzigern. Greil Marcus widmete dem von ihm konstruierten historischen Dreigespann Dada-Situationismus-Punk mit Lipstick Traces einen fünfhundert Seiten umfassenden Essay. Obwohl sich Malcolm McLaren beim Gründen der SEX PISTOLS auf die Situationistische Internationale beruft, entspricht weniger das kaputte, medienwirksame Auftreten der Punks, sondern später erst das codierte Auftreten von Hardcore dem verborgenen situationistischen Spiel.

      Im Spiegel schließlich erscheint Hardcore erst 1993 ganz am Rande als musikalische Stilbezeichnung für Henry Rollins, nachdem das Wort – seiner komplexen geschichtlichen Bedeutung beraubt – längst schon von MTV inflationär für fast jede Form der härteren Musik gebraucht wird.

      Die Kritik an einem solchen Outfit, das gegen destruktives Punk-Abgewracktsein positiven Kämpfergeist zu vermitteln versucht, liegt auf der Hand. In der Tat ist Hardcore-Outfit (und damit gleichzeitig Outfit der autonomen Linken) oft mit dem der Neonazis bis auf kleine, nur noch für Insider erkennbare Abweichungen deckungsgleich (z. B. kurzgeschorene Haare, Bomberjacke, Militärhose, DocMartens). Gegenüber Punk dominiert hier männlich geprägtes Partisanentum. Schon die ersten Oi!-Bands wußten, daß Punk-Outfit möglicherweise schockt, aber nicht unbedingt aggressiv rüberkommt: Gegenüber dem Bandphoto von RED ALERT auf ihrer 83er We’ve Got The Power-LP möchte man Sid Vicious geradezu streicheln. Zahlreiche Oi!-Bands traten wie RED ALERT paramilitärisch-martialisch, mit kurzgeschorenen Haaren auf und ließen die Punks mit ihren strubbeligen Haaren demgegenüber süß und harmlos aussehen. Abgesehen von bunten Halstüchern, Armbändern u.ä., ist die optische Abgrenzung, die Hardcore später gegenüber Punk vorgenommen hat, aus diesem Grund nicht eigentlich originell gewesen, denn sie kopiert weitgehend das Outfit der im Zuge von Punk schon Ende der Siebziger populären Oi/Skinhead-Bewegung, nun zugunsten eines linken Militarismus der Uniformität abgewandelt. Ohrringe, Armbänder, Kopftücher und ähnlicher Flitter sind allerdings längst auch unter Neonazis salonfähiges, nicht ungewöhnliches Accessoire – die Verwirrung sozusagen komplett.

      Während der Demonstration gegen das Naziehepaar Müller und die Versammlung auf deren Gärtnereigelände in Mainz-Gonsenheim, an der 1993 etwa 1000 AntifaschistInnen teilnahmen, fragte eine ältere Passantin verwirrt: »Seid ihr jetzt für oder gegen die Müllers?«

      Auch dies gehört zur angesprochenen, Mißverständnisse in Kauf nehmenden Subversion: für Außenstehende nicht unbedingt als solcher decodierbarer linker Militarismus, der sich sowohl von Punk als demonstrativem Kaputtsein wie auch von der soften Hippie-Schiene abgrenzt.

      Daß die Übergänge natürlich fließend sind, daß auf Hardcore-Konzerten wie auf antifaschistischen Aktionen Kurzgeschorene neben Langhaarigen, Bomberjacken neben Batikhemden, Irokesenschnitte neben Baseballkappen zu sehen sind, ist dagegen eher ein Zeichen dafür, wie wenig die Linke sich de facto einer optischen Uniformität unterwerfen läßt.

      Neben dieser optischen Transparenz rechter und linker Gruppen stellt sich ein weiteres Problem: Nicht jeder Skater ist Hardcore; nicht alle, die eine Baseballkappe tragen, sind Hardcore; weil einige Hardcore-Accessoires wie Skateboard, Converse-Turnschuhe und Baseballkappen nicht spezifisch sind, sondern Standards der Jugendkultur, fällt es – was mit Punk einst so kaum möglich war – auch solchen Jugendlichen nicht schwer, sich in die Hardcore-Szene einzuklinken, sich mit Hardcore als Stil zu identifizieren, die politisch eher zum gemäßigten Spektrum gehören bzw. sich über Themen wie Antifaschismus und Sexismus noch keinerlei Gedanken gemacht haben. Jugendliche also, die tatsächlich (noch) eine mehr oder weniger verdeckte Doppelexistenz führen.

      Aber auch hierin sehen Hardcore-AktivistInnen eine ernstzunehmende Chance: Indem keine extrem von der Norm abweichende Kleiderordnung existiert, wird es einem im politischen Bewußtsein noch nicht gefestigten Jugendlichen leicht gemacht, an Hardcore-Konzerten teilzunehmen und damit schrittweise zu erfahren, welche politische Tragweite hinter dem Ganzen steht.

      Dirk [SLIME]: »Es ist verdammt wichtig, mal raus zu kommen aus dieser Antifa-Gemeinde, weg von einem Publikum, das sich von der Bühne eh nur seine Bestätigung holt – weg von diesem Heimspiel. […] Sind wir doch mal realistisch: Den Fünfzehnjährigen, der in seinem Plattenregal die ONKELZ neben SLIME stehen hat, gibt es mit Sicherheit, da brauchst du gar nicht groß suchen. Auch wir hatten mit Fünfzehn noch kein ausgeprägtes politisches Bewußtsein. Und doch kann ich nicht sagen, daß dieser Typ verloren sei. Da ist noch alles möglich. Und es ist wichtig, die bessere Möglichkeit zu geben.«

      Damit es nicht nach Verschwörungstheorie klingt: Die hier aufgezeichnete subversive Chance ist Folge der Abgrenzung von den Punks gewesen, aber keineswegs von Anfang an durchdacht oder gar geplant. Hier wurde eine Entscheidung getroffen, die dem Müll-Outfit etwas Positives entgegensetzte, dem rein extrovertierten ein auf Inhalte bezogenes Anderssein vorzog. Hardcore war anfangs, wie Andreas, Ex-Sänger der Stuttgarter Band SHARON TATE’S CHILDREN es beschreibt, »Punk ohne Müll und Syph«. Eine neue Ästhetik, die den Punks zu erkennen gab, daß eine auf Äußerlichkeiten aufgebaute Gegenkultur nur der Widerschein dessen ist, was abzulehnen sie vorgibt, Negativprojektion der auf Schein aufbauenden Gesellschaft.

      Ian MacKaye [MINOR THREAT/FUGAZI]: »Ich bin mir darüber bewußt, daß ich mit meinem Äußeren nicht viel, zumindest keine Inhalte demonstrieren kann. Und weil es mir um Inhalte geht, verschwende ich kaum Zeit für meine Kleidung und mein Aussehen.«

      Georg Simmel ging davon aus, daß Moden immer Klassenmoden sind, »daß die Moden der höheren Schicht sich von der der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sich anzueignen beginnt«.1 Eine These, die so im Spätkapitalismus nicht mehr stimmt, wo die Jeans als ursprüngliche Arbeiterhose ohne Klassenunterschiede getragen wird und gewisse Punk-Bestandteile, wie zum Beispiel zerrissene Hosen, in die Mode Einzug hielten.

      Dennoch wollte Punk (und noch viel stärker die Oi/Skinhead-Bewegung) Klassenzugehörigkeit zeigen,

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