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auch die ›Wissenschaftlichkeit‹ der Sprache aus, für die ich mich entschuldige, denn sie ist, zugegeben, alles andere als Punk. Doch sie hilft vielleicht auch, Außenstehenden begreiflich zu machen, welches Fieber uns im Laufe der Achtziger gepackt und durch die Jahre getrieben hatte.

       Außerdem

      Dies hier ist ein Buch, kein Fanzine. Das heißt nicht, daß ich mir den Anstrich des Seriösen geben möchte – über Punk kann man nicht rein akademisch schreiben, ohne der Sache zu schaden. Es ist der Versuch, die Phänomene an sich zu fassen und historisch zu bewerten. Es ist an der Zeit.

      Zugegeben: Viel ist schon über Punk geschrieben worden, und wahrscheinlich wird auch noch viel darüber geschrieben werden. Eine ganze Menge von Leuten, die mit Punk aufwuchsen, sind inzwischen in ihrer akademischen Laufbahn nach oben gerutscht und nutzen diese Lage kokett, um nun mit der wilden Jugend zu schwadronieren. Ich finde das nicht grundsätzlich verwerflich. Also, wenn etwas Vernünftiges, Sachgerechtes dabei rauskommt. Die komplette Entwicklung der ›Bewegung‹ bis heute ist allerdings noch nicht geschrieben worden. Ich mache – zumindest hierzulande – einen Anfang und bitte zu korrigieren, wo auch immer mir Fehler unterlaufen sein könnten. Sollte es zu weiteren Auflagen kommen, können sie verbessert werden.

      Die vorliegende Ausgabe ist bereits gegenüber der ersten, 1995 erschienenen, und auch gegenüber der dritten überarbeiteten Auflage von 1996 stark korrigiert worden. Bei einem solchen Thema ist ein Ende der Korrekturen allerdings nicht abzusehen.

       Martin Büsser, Mai 1997

ERSTER TEIL

       Einleitung

      Wenn es nur noch um Musik geht

      Dann war alles nur ein Irrtum

      Volker Rühe macht jetzt Punkrock

      Es ist nichts mehr wert

      [… BUT ALIVE, »Scheiße erkennen«]

      Hardcore ist neben Punkrock die einzige Musik, die innerhalb der autonomen Linken eine solche internationale Akzeptanz erreichte, daß die kritische Aufarbeitung, die nicht nur ein Nachdenken über Musik, sondern über ein subkulturelles Medium mit all seinen Widersprüchen und Bruchstellen sein sollte, längst überfällig ist.

      Von Punk ausgehend eine ›Hardcore history‹ zu skizzieren, kann nicht allen an der Szene Beteiligten nach den Lippen reden, da Hardcore als soziopolitische Gegenkultur je nach Alter, Region und persönlicher Erwartung/Erfahrung anders erlebt wurde und wird. So entstand (wie auch schon im Punk) ein extrem weit gefächerter Aktionsradius, der von unpolitischen Fun-Bands bis zu Personen reicht, die Musik ganz in den Dienst der ›message‹ stellen oder sogar zugunsten von politischer Aktion aufgegeben haben; von strikten Alkohol- und Drogengegnern bis zu Personen, die unter dem ›harten Kern‹ Abgewracktsein verstehen und zelebrieren; von Menschen, die mit hohem Engagement und geringstem Einkommen Leben und Beruf Punk/Hardcore widmen bis hin zur kulturindustriellen Ausschlachtung, die (zum Teil mit Erfolg) versucht, aus Punk/Hardcore eine massenwirksame Jugendkultur zu erstylen.

      Weshalb ein solches Buch heute, Mitte der Neunziger? Verweist eine solche ›history‹ bzw. Bestandsaufnahme nicht gerade darauf, daß es sich bei dem Thema um ein abgeschlossenes Kapitel handelt und Punk/Hardcore als subkulturelle Erscheinung Geschichte geworden ist? Tatsächlich ist seit Beginn der Neunziger (zeitgleich mit dem Aufstieg und Fall von NIRVANA, der letzten ernsthaft punkinspirierten Mainstream-Band, die doch niemals Mainstream werden wollte) vieles in Bewegung geraten, was darauf hindeutet, daß Hardcore als rebellischer, radikaler Musikstil und Ausdrucksmittel der Linken an Referenz verloren hat: Während eine Großzahl der einst auf ihre überschaubare Szene und Selbstverwaltung so stolzen Bands sich plötzlich von Majorfirmen und MTV verwalten läßt (HENRY ROLLINS BAND, SICK OF IT ALL, Cro Mags u. a.), wächst gleichzeitig das Interesse der Linken an anderen musikalischen Ausdrucksformen, etwa an HipHop, Drum ’n’ Bass und Raggamuffin. Obwohl es noch heute in Sachen Punk/Hardcore eine Unzahl an musikalischem Nachwuchs gibt, ist die einst voller Emotionen gepflegte homogene Szene aufgebrochen und fand schließlich ihren Weg zur Massenkultur. Außerhalb dieser überschaubaren, familiären Szene jedoch ist die politische Relevanz von Hardcore blaß geblieben: Vom autonomen Jugendzentrum zur Mattscheibe gewechselt, haben viele Bands an Schärfe verloren und klingen gegenüber Rappern wie IceT nach harmund belanglosem weißen Trash.

      Während HipHop sich seiner Funktion als Massenkultur stets bewußt gewesen ist und von Anfang an lernte, in diesem Medium politisch zu agieren, sich also medienadäquat zu präsentieren, sind Schweiß, Slamdance und Stagediving, die direkte Energie, Intimität und Wut von Hardcore nicht auf einen Videoclip übertragbar. Andere Bands dagegen, die sich der Industrie (noch) entzogen haben, sind im Laufe der Zeit zu Konservendosen ihrer selbst geworden, reproduzieren sich selbst von Jahr zu Jahr ähnlich nostalgisch wie die RAMONES: Auf den fast jährlichen Tourneen von Heroen wie BAD RELIGION, THE FREEZE und NOFX versuchen Bands und Publikum einen Spirit aufzutauen, dessen Wurzeln bis zu zehn Jahre zurückliegen. Von Direktheit kann da kaum mehr die Rede sein. Damit sind Punk und Hardcore geworden, was sie nie sein wollten: konservativ – gegen alle Beteuerung, niemals sterben zu wollen und zu können, selbst schon ein Stück Musikgeschichte und damit oft so ranzig wie Mick Jagger und Manfred Mann.

      Ein Stück Geschichte, das sich daran abzeichnet, daß die allsommerlich stattfindenden Open-Air-Massenveranstaltungen vor Zehntausenden längst nicht mehr nur von Konsens-Bands aus dem Rock-/Popbereich getragen werden (z. B. U2, METALLICA), sondern daß dem gegenüber Hardcore Konsens geworden ist: Headliner des ›Rheinkultur Festivals‹ in Bonn 1994 waren SICK OF IT ALL und NOFX, das ›Bizarre Festival‹ in Köln präsentierte 1994 fast ausschließlich Hardcore-Bands (SPERMBIRDS, BIOHAZARD, BAD RELIGION). Einerseits ist Hardcore damit mehr Mittelpunkt des musikalischen Geschehens denn je, hat einen zentralen Stellenwert erlangt, der in den Neunzigern daneben nur noch HipHop und Techno zukommt; andererseits zeichnet sich damit auch ein Ende ab. Wo ein ›noch größer‹ kaum mehr möglich ist, bleibt in den meisten Fällen Stagnation. Und sei es, daß die Bands, irgendwann ausgequetscht wie Zitronen, saftlos liegengelassen, als ein bedauernswertes Häuflein Jahr für Jahr durch Pubs und kleine Clubs tingeln werden. Die Zukunft des Hardcore entspricht heute schon dem Scheideweg zwischen Joe Cocker (einst als neu und wild empfunden, heute flacher Radio-Mainstream) und MAN (einst als progressiver Psych-Underground gefeiert, heute tingeln sie abgehalftert von einem Provinzschuppen zum nächsten): Aufrechterhalten der Stadiongröße durch ein medienwirksam aufgebauschtes Revival ohne erkennbare Weiterentwicklung, oder Abnudeln alter Klischees vor einem kleinen, vergangenheitstrunkenen Publikum. Genau dort fängt ein Stil ja an, sich als ausgebranntes Relikt zu erweisen: wo große oder vermeintlich große Namen umkippen ins Lächerliche und manchmal auch Bedauernswerte.

      Darum ist es möglich, 1995 ohne Sentimentalität über dieses Thema zu schreiben und mögliche Fehler aufzuzeigen, die klarmachen, warum Punk/Hardcore als subkulturelle Bewegung nicht bestehen konnte, obwohl doch entscheidende Impulse für kommende Generationen gegeben wurden.

      Keine Musik stirbt von heute auf morgen. Wir befinden uns gerade im Dazwischen.

       Von Punk zu Hardcore

       Eine verwaschene Geschichte zum Geleit

      »Hardcore Punk« nannten die MANIACS aus Rothenburg 1984 einen Song, in dessen Refrain die beiden Wörter noch friedlich, ein- und dieselbe Aggression bezeichnend, nebeneinander stehen. Und Hardcore-Punk meinte zu Beginn der Achtziger noch: je härter, desto mehr Hardcore, also rotziger als der Rest (Bands wie EXPLOITED, G.B.H. und ABRASSIVE WHEELS galten damals z. B. als Hardcore). Die Frage nach der Henne und dem Ei läßt sich in diesem Fall leicht beantworten: Punk war zuerst da, Hardcore folgte irgendwann – wann genau, anhand welchen genauen Ereignisses oder anhand welcher Band, läßt sich schwer rekonstruieren. Weder stimmt es, daß Punk Mitte der Achtziger erledigt und ausgesaugt war (der EXPLOITED-Slogan ›Punks not dead‹ ziert noch heute mahnend

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