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gewesen, und offenbar hatte man den Gutsherrn mit Gewalt hineingezerrt, und zwar zu spät, um ihn in diese oberflächliche Versöhnung einzuschließen.

      »Kirstie«, sagte Archie eines Tages, »was hast du eigentlich gegen deine Familie?«

      »Ich beklag’ mich ja gar nicht«, antwortete Kirstie errötend. »Ich hab’ kein Wort gesagt.«

      »Das weiß ich – nicht einmal guten Tag zu deinem eigenen Neffen.«

      »Ich brauche mich nicht zu schämen. Ich kann das Vaterunser mit gutem Gewissen beten. Wäre Hob krank oder in Not, ich tat’ ihn mit Freuden besuchen. Aber Scharwenzeln und Schöntun und Herumparlieren – nein, danke bestens!«

      Archie lächelte leise; er lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Ich glaube«, meinte er schlau, »du und Mrs. Hob seid nicht besonders gute Freunde, wenn ihr eure Kaschmirschals tragt.«

      Sie sah ihn schweigend an, ein rätselhaftes Funkeln in ihren Augen; und das war alles, was Archie je von der Schlacht der Kaschmirschals erfahren sollte.

      »Kommt keiner von ihnen je, dich zu besuchen?« forschte er weiter.

      »Mr. Archie«, entgegnete sie, »ich hoffe, ich weiß, was sich für meine Stellung schickt. Das wär’ mir eine schöne Sache, wenn ich Eures Vaters Haus mit einem schmutzigen, schwarzhäuptigen Clan vollstopfen möchte, von dem kein einziger (wenn ich’s denn schon offen sagen muß) das bissel Seife wert ist, das man an ihn verschwendet, mich selbst ganz allein ausgenommen! Nein, nein, die sind alle miteinander durch die verdammten schwarzen Ellwalds verdorben! Ich kann die Schwarzhaarigen nun mal nicht leiden!« Und in plötzlicher Erkenntnis Archies fügte sie hastig hinzu: »Nicht daß es bei den Mannsleuten so viel ausmacht, aber daß es reinweg unweiblich ist, kann wohl keiner bestreiten! Langes Haar ist eine Zierde der Frauenzimmer; dafür haben wir Zeugen genug – es steht schon in der Bibel –, und das ist doch ganz klar, daß der Apostel irgendein blondhaariges Mädel damit gemeint hat, denn – Apostel oder nicht – er war ja trotz allem doch nur ein Mannsbild wie Ihr selbst!«

      6

       Ein Blatt aus Christinas Gesangbuch

       Inhaltsverzeichnis

      Archie war ein fleißiger Kirchgänger. Sonntag für Sonntag durchmaß er mit jener kleinen Gemeinde das Zeremoniell des Gottesdienstes, hörte die Stimme von Mr. Torrance, einer schlecht gespielten Klarinette gleich, sprunghaft von Tonart zu Tonart sich steigern und erhielt Gelegenheit, des Geistlichen mottenzerfressenen Talar und schwarze Zwirnhandschuhe zu studieren, wenn der alte Herr die Hände im Gebet faltete oder sie beim Segen in ehrfürchtiger Andacht zum Himmel erhob. Der Hermistoner Kirchenstuhl war ein kleiner, viereckiger Kasten von den gleichen zwergenhaften Ausmaßen wie die Kirche selbst und umschloß einen Tisch, nicht viel größer als eine Fußbank. Hier saß Archie mit der Miene eines Prinzen, der alleinige unverkennbare Gentleman und wohlhabende Erbe der Gemeinde, und machte es sich bequem – sein Kirchenstuhl war der einzige mit Türen. Von hier aus konnte er ungestört die ganze Versammlung überblicken: gesetzte Männer in ihren Plaids, robuste Frauen und Töchter, Kinder, die unter dem Drucke des Gottesdienstes seufzten, und unruhige Schäferhunde. Seltsam, wie sehr Archie den Eindruck des Rassigen entbehrte; die Hunde mit ihren edlen Fuchsköpfen und wundervoll gebogenen Ruten waren von allen Anwesenden die einzigen, die einen Anspruch auf Adel erheben durften. Selbst die Cauldstaneslaper Gesellschaft bildete kaum eine Ausnahme. Dandie vielleicht, wenn er so dasaß und sich die nicht enden wollende Last des Gottesdienstes durch Versekritzeln erleichterte, zeichnete sich ein wenig durch sein leuchtendes Auge und eine gewisse Lebhaftigkeit des Ausdrucks und Straffheit des Körpers aus; aber selbst Dandie hatte den locker schlurfenden Schritt des Bauern. Die ganze übrige Gemeinde bedrückte Archie ähnlich dem lieben Vieh durch das Bewußtsein ihrer erdgebundenen Routine; ein Tag verlief wie der andere körperliche Arbeit in frischer Luft, Hafergrütze, Erbsmehlpfannkuchen, ein schläfriger Feierabend neben dem Kamin und eine lange, durchschnarchte Nacht in einem Wandbett. Und doch kannte er viele von ihnen als schlaue, humorvolle Menschen; charakterfeste Männer, tüchtige Frauen, die sich etwas zu schaffen machten und von ihren niedrigen Hütten einen gewissen Einfluß ausstrahlten. Er wußte außerdem, daß sie nicht anders waren als andere Menschen; unter der Kruste der Gewohnheit lebte Begeisterungsfähigkeit; er hatte sie vor Bacchus die Zimbel schlagen hören – hatte ihren lärmenden Zechgelagen über ihrem Whisky-Toddy beigewohnt, und auch die hölzernsten und strengsten unter ihnen, ja selbst jene feierlichen Kirchenältesten, waren in Dingen der Liebe der seltsamsten Bocksprünge fähig. Da waren Männer, deren abenteuerliche Lebensreise sich ihrem Ende nahte – Mädchen, die voll zitternder Neugier erst an der Schwelle des Lebens standen – Frauen, die Kinder geboren und vielleicht auch begraben hatten, die sich noch der Berührung zärtlicher, toter Händchen und des Trippelns jetzt erlahmter kleiner Füße erinnerten – er fragte sich in grenzenloser Verwunderung, wie es käme, daß unter all diesen Gesichtern keines wäre, das Erwartung, Bewegung, den Rhythmus und die Poesie des Lebens zeigte. »Oh, ein einziges lebendiges Gesicht!« seufzte er; und dann fiel ihm mitunter Lady Flora ein; ein andermal musterte er diese lebende Galerie vor ihm voller Verzweiflung und sah sich selbst seine unfruchtbaren Tage in jener freudlosen ländlichen Einöde beschließen, sah den Tod herannahen und die Leute unter den Ebereschen sein Grab schaufeln, während der Geist der Erde das riesenhafte Fiasko durch donnerndes Gelächter feierte.

      An dem betreffenden Sonntag stand es außer Frage, daß der Frühling endlich gekommen war. Es war warm; trotzdem schlummerte Frost in der Luft, der die Wärme indes nur noch willkommener machte. Der Bach rann an den flachen Stellen plätschernd und funkelnd zwischen Sträußen von Himmelsschlüsseln vorbei. Wandernde Düfte der Erde fesselten im Gehen Archies Geist; zu Momenten erfüllte ihn ätherische Trunkenheit. Das graue, quäkerische Tal war erst stellenweise aus seiner nüchternen Winterfärbung erwacht; er wunderte sich über seine Schönheit; sie erschien ihm als die Quintessenz der Schönheit dieser alten Erde, wohnhaft nicht im einzelnen, sondern aus dem Ganzen ihm entgegenatmend. Er entdeckte in sich einen unerwarteten Impuls zum Verseschreiben – er schrieb mitunter wirklich – lose, dahinstürmende Vierfüßler nach der Art Scotts –, und als er sich neben einem elfenhaften Wasserfall auf einen Stein niederließ, den ein gertenschlanker, im ersten Frühlingsgrün strahlender Baum beschattete, war er noch mehr erstaunt, daß ihm nichts einfallen wollte. Vielleicht war es nur sein Herz, das im Einklang mit dem ungeheuren Rhythmus des Weltalls schlug. Bald darauf sah er hinter einer Biegung des Tals die Kirche liegen; er hatte so lange gesäumt, daß bereits der erste Psalm im Verklingen war. Das nasale Psalmodieren, voller Schnörkel, Triller und anmutloser Verzierungen, schien ihm wie die Stimme der Kirche selbst, zum Dankgebet erhoben. »Alles lebt«, sagte er für sich und rief plötzlich laut: »Gott sei gelobt, alles lebt!« Er verweilte noch kurze Zeit auf dem Friedhof. Ein Büschel Himmelsschlüsselchen blühte dicht neben dem Fuß einer alten, schwarzen Grabtafel, und er blieb stehen, um die weitschweifige Aufschrift zu studieren. Die Blumen standen da in schneidendem Gegensatz zu der kalten Erde; plötzlich fiel ihm die Unfertigkeit des Tages, der Jahreszeit, der ihn umgebenden Schönheit auf – die Kühle in der Wärme, die groben, schwarzen Erdschollen neben den sich erschließenden Himmelsschlüsseln, der feuchte, erdige Geruch, der sich allseits unter die Düfte mischte. Die Stimme des greisenhaften Torrance schwang sich in Ekstase auf, und er fragte sich, ob auch Torrance in seinen alten Knochen die Luft dieses Frühlingsmorgens spüre; Torrance oder der Schatten dessen, was einst Torrance gewesen war und was so bald schon samt seinem Rheumatismus hier draußen in Sonne und Regen liegen mußte, während ein neuer Prediger seinen Platz einnahm und von seiner altvertrauten Kanzel donnerte. Der Jammer des Ganzen und etwas von der Kälte des Grabes ließen ihn einen Augenblick erschauern, und er beeilte sich, die Kirche zu betreten.

      Ehrfürchtig schritt er den Gang hinauf und ließ sich, ohne aufzublicken, auf seinem Platze nieder; er fürchtete, er hätte den freundlichen alten Herrn auf der Kanzel bereits gekränkt, und hütete sich geflissentlich, weiteren Anstoß zu erregen. Er vermochte dem Gebet nicht einmal in dessen Umrissen zu folgen. Strahlende Himmelsbläue, Wolken von Luft, ein Singen fallenden Wassers und zwitschernder Vögel stiegen gleich Ausstrahlungen

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